# taz.de -- Glücksspielsucht bei Fußballprofis: Topp, die Wette killt | |
> Fußballprofis scheinen besonders gefährdet für Glücksspielsucht zu sein. | |
> Früher kümmerte das kaum einen, nun werden Vereine und Verbände aktiver. | |
Bild: Bundesliga-Alltag: Zynisches Geschäft mit Suchtkranken | |
Den 25. Juli 1989 wird Günter Breitzke nie vergessen. Besser gesagt: An | |
dieses eine Spiel, an diesen seinen Triumph, denkt Breitzke womöglich jeden | |
Tag. Im Fritz-Walter-Stadion zu Kaiserslautern kreuzen an diesem | |
Sommernachmittag im Supercup-Finale Meister FC Bayern und DFB-Pokalsieger | |
Borussia Dortmund die Klingen. Es ist ein Prestigeduell. An diesem heißen | |
Nachmittag macht Breitzke das Spiel seines Lebens. | |
Der quirlige Stürmer, der damals gern mit Ball am Fuß aus dem Mittelfeld in | |
die gefährliche Zone dribbelt, macht mit den Bayern-Verteidigern Roland | |
Grahammer und Jürgen Kohler gewissermaßen, was er will. Zwei Tore markiert | |
Breitzke beim 4:3-Sieg der Dortmunder selbst, ein weiteres bereitet er | |
mustergültig vor. Die Zuschauer sind beeindruckt. Teamchef Franz | |
Beckenbauer will alles über den damals 22-Jährigen wissen. Er sieht in ihm | |
einen für die WM in Italien ein Jahr später. Mit Breitzke, der ein Jahr | |
zuvor aus der 6. Liga in Köln zum BVB gewechselt war, scheint ein neuer | |
Stern am deutschen Fußballhimmel aufzugehen. | |
Heute sitzt Breitzke in einer 28-Quadratmeter-Wohnung in Köln-Stammheim. Er | |
lebt von staatlicher Unterstützung. Seit Jahren schon: Sozialhilfe, Hartz | |
IV, heute heißt das Bürgergeld. Es wurde nichts aus der ganz großen | |
Karriere. Breitzke ist Ende der 80er zwar ein genialer Fußballer. Noch | |
leidenschaftlicher aber [1][ist er als Zocker unterwegs.] | |
Der Sohn eines Jockeys wettet auf Pferderennbahnen, verzockt sein Geld in | |
Spielbanken. 1991 – Breitzke ist mittlerweile hoch verschuldet – wachen sie | |
bei Borussia Dortmund endlich auf. Breitzkes Gläubiger – darunter | |
zwielichtige Gestalten aus dem Milieu – haben derart viel Druck gemacht, | |
dass sich Breitzke kaum noch aus seinem kleinen Appartement in | |
Dortmund-Herdecke traut. Der damalige BVB-Manager Michael Meier entschuldet | |
Breitzke, gewährt ihm vom BVB aus einen Kredit. Im Gegenzug will er | |
Breitzkes Bankkonto unter Beobachtung stellen. Der lehnt ab. | |
## Eindimensionales Leben | |
Es ist das Ende für Breitzke beim BVB. Wenig später wechselt er zu | |
Zweitligist Fortuna Düsseldorf, es ist der Beginn eines nun auch sportlich | |
steilen Abstiegs. Breitzke spielt noch ein paar Jahre in unteren Ligen, | |
hört 1998 ganz auf. „Es ist ganz klar, dass niemand mit dem Verlauf der | |
Karriere Günter Breitzkes zufrieden sein kann. Er war ein Supertalent, aus | |
dem viel mehr hätte werden können“, sagt Meier rückblickend. Der gewiefte | |
Finanzexperte räumt freimütig ein: „Ich wusste damals nicht, was Spielsucht | |
wirklich bedeutet. Wir hätten Breitzke vom Verein aus viel besser betreuen | |
müssen.“ | |
Natürlich: Heute ist das alles ganz anders. Die Profiklubs unterhalten | |
Nachwuchsleistungszentren (NLZ), die Vereine haben beinahe mehr Trainer, | |
Betreuer und „Für-irgendwas-Verantwortliche“ als Spieler beschäftigt. Und | |
doch ist eines gleich geblieben: Die Spieler führen meist ein | |
eindimensionales Leben: Außer Training und Spiel ist da meist nicht viel. | |
Und: Viele tippen gern auf Sportereignisse. Auch die Freude am Glücksspiel | |
ist weit verbreitet. | |
Angesichts [2][des regelrecht explodierten Wettspielmarktes] mit | |
mittlerweile nahezu unendlichen Gelegenheiten von Wettplatzierungen im | |
Internet kommt suchtgefährdend hinzu: Wetten kann anonym passieren – | |
niemand muss es mitbekommen. Und: Das Geschäft mit Sportwetten ist geradezu | |
explodiert. Weltweit werden jährlich zwischen 700 Milliarden und einer | |
Billion Euro umgesetzt. In Deutschland allein sind es ungefähr vier | |
Milliarden Euro. | |
Gut möglich, dass gerade Fußballprofis besonders gefährdet für | |
Glücksspielsucht sind. Weil sie glauben, sie seien „vom Fach“ und hätten | |
mehr Know-how als andere, könnten sie sich bessere Gewinnchancen | |
ausrechnen. Thomas Patzelt, Gründer des Vereins spielfrei24.de, glaubt | |
genau dies: „Das Tückische an Sportwetten ist, dass sie vermitteln, man | |
könne durch Know-how seine Gewinnchancen erhöhen. Gerade Personen, die | |
selbst Sportler sind, glauben dann vielleicht, das Ergebnis beeinflussen zu | |
können.“ Dazu kommt, dass es gerade im Fußball ja eher als positive | |
Eigenschaft gilt, nicht verlieren zu können und dranzubleiben. | |
## Problem der Wettmanipulation | |
Beim Glücksspiel sind aber genau diese Fast-Gewinne, die einem suggerieren | |
„Beim nächsten Mal klappt’s“, besonders fatal. Patzelt, ehemals selbst | |
Betroffener und seit 13 Jahren „clean“, glaubt zudem: „Die Beschaffung des | |
‚Stoffs‘, also des Geldes, mag für Fußballprofis vielleicht zunächst | |
einfacher sein, aber grundsätzlich ist die Krankheit einkommensunabhängig. | |
Mir hätten Sie damals eine Million auf den Tisch legen können – ich hätte | |
alles verzockt. Man verliert mit der Zeit auch einfach den Bezug zum Geld.“ | |
[3][Die Vereinigung Deutscher Vertragsspieler (VDV)] hat auf jeden Fall | |
eine potenzielle Gefahr für ihre Mitglieder erkannt. Schließlich sind | |
Fußballwetten gerade für Profis ein heikles Feld: Um Wettmanipulationen | |
vorzubeugen, dürfen Profis weder jemals auf Ergebnisse des eigenen Vereins | |
tippen, noch dürfen sie auf Wettbewerbe tippen, in denen ihr Verein | |
involviert ist. | |
In enger Abstimmung und Unterstützung des DFB und der DFL führt die VDV | |
daher regelmäßig Präventionsschulungen gegen Match-Fixing (Spiel- und | |
Wettmanipulation) und Glücksspielsucht für Profis und Talente durch. Sie | |
hat zahlreiche Präventions-Initiativen aufgesetzt, regelmäßig sendet sie | |
zum Beispiel Ex-Profis in die NLZs der Klubs, die Vorträge vor den jungen | |
Spielern halten. VDV-Geschäftsführer Baranowsky erklärt: „Als | |
Profifußballergewerkschaft betreiben wir Präventionsarbeit gegen | |
pathologisches Spielen und bieten bei konkreten Anfragen vertrauliche | |
Expertenhilfe über die von uns mitinitiierte Beratungsstelle ‚Mental | |
gestärkt‘ an.“ Baranowski findet: „Politik und Sportveranstalter sind | |
gefordert, den Schutz vor Glücksspielsucht zu verbessern.“ | |
Ein Verein, der die Angebote der VDV gern annimmt, ist Eintracht Frankfurt. | |
Im NLZ am Riederwald kümmert sich Diplom-Pädagoge Anton Schumacher um all | |
jene Herausforderungen, vor denen die Eintracht-Profis von morgen täglich | |
stehen: Schule, Ausbildung, berufliche Orientierung – kurz: den Plan B, | |
sollte es mit der Profikarriere doch nicht klappen. Und, ein ganz | |
wichtiges Thema: Prävention. Auch in Sachen Glücksspiel- und Wettsucht. | |
„Der Tag im NLZ ist für die Jungs normalerweise so dicht getaktet, dass da | |
keine Langeweile aufkommen kann“, erklärt Schumacher. | |
## Schwierige Übergangszeit | |
Und doch sieht er Gefahren für die Heranwachsenden, die ja ohnehin erst ab | |
der Volljährigkeit überhaupt auf Sportereignisse wetten dürfen. „Wir kennen | |
zum Beispiel den großen Reiz der Sportwetten, das geht natürlich auch an | |
unseren Jungs nicht vorbei. Daher sind die Vorträge und Schulungen von | |
Ex-Profis über die Gefahren und Risiken des Wettgeschäfts absolut | |
sinnvoll.“ | |
Die „Breitzke-Problematik“ von einst – viel Freizeit, Langeweile, das | |
nötige Kleingeld – sieht Schumacher am ehesten in der Zeit des Übergangs | |
von der Jugend zu den Senioren: „Im Bereich Übergang von der U 19 zur U21, | |
dort, wo die Spieler maximal einmal am Tag mit Training beschäftigt sind | |
und ansonsten Freizeit haben, spielt sicherlich am ehesten das Thema | |
Langeweile eine Rolle.“ | |
Man habe die jungen Leute dann zwar nach wie vor im Blick und mache | |
Angebote wie Sprach-Fortbildung, Praktika oder soziale Engagements. | |
Letztlich seien die Spieler aber volljährig und eigenverantwortlich | |
unterwegs. Man habe, so Schumacher, zwar eine große Verantwortung den | |
Spielern gegenüber, sei aber auch nicht alleinverantwortlich für deren | |
Schicksal. „Die Berater, die Freunde, Familie und womöglich Lebensgefährten | |
– sie alle haben in dieser Phase ebenfalls großen Einfluss auf die | |
Spieler“, sagt Schumacher. Die Kontrolle der Vereine sei also mindestens | |
einmal stark eingeschränkt. | |
Breitzke wurde einst überhaupt nicht kontrolliert. Er spielte, bis er | |
ruiniert war. Nach dem Ende seiner Fußballkarriere fehlte ihm der Antrieb, | |
einen anderen Job anzunehmen. Er zog zurück ins Kinderzimmer seines | |
Elternhauses, später in die Sozialwohnung in Stammheim. Wo er heute lebt | |
und vermutlich immer wieder an den 25. Juli 1989 denken muss. | |
1 Jan 2025 | |
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## AUTOREN | |
Olaf Jansen | |
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