# taz.de -- Gesundheitspolitikerin übers Impfen: „Wir haben alle Kanäle gen… | |
> Gefühlte Wahrheit oder Fakt? Eine neue Studie spricht für den Erfolg | |
> gezielter Impfaktionen, sagt die Berliner Gesundheitsstadträtin Carolina | |
> Böhm. | |
Bild: Bezirk mit Kontrasten: Die Thermometersiedlung in Steglitz-Zehlendorf | |
taz: Frau Böhm, Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) | |
hat vergangene Woche angekündigt, in bestimmten Quartieren noch einmal | |
verstärkt Impfungen anzubieten, und dabei einen Zusammenhang zwischen | |
Impfskepsis und Migrationshintergrund impliziert. Kann man das aus Ihrer | |
Sicht so halten? | |
Carolina Böhm: Man muss ehrlicherweise sagen: Das hat sie so | |
undifferenziert nicht gesagt. Ihr Punkt war: Es gibt bestimmte Communitys, | |
in denen bestimmte Gerüchte kursieren, die die Menschen davon abhalten, | |
sich impfen zu lassen. Und damit müssen wir uns sachlich auseinandersetzen, | |
auf die Leute zugehen und versuchen, da aufzuklären. | |
Nichtsdestotrotz sind das ja eher gefühlte Wahrheiten. Denn Zahlen, wo | |
genau in Berlin besonders wenige Menschen geimpft sind, [1][hatte Frau | |
Giffey nicht vorzuweisen]. Sollte sich Politik nicht besser auf Fakten | |
stützen? | |
Genau, es fehlen leider insgesamt bezirksspezifische Daten, deswegen haben | |
wir im Bezirk Steglitz-Zehlendorf auch eine Studie erstellt, die | |
Gesundheits- und Sozialdaten zusammenträgt, um die Angebote genauer | |
zuschneiden zu können. | |
Beim Thema Infektions-Hotspots hat man Steglitz-Zehlendorf mit seinen | |
Einfamilienhaussiedlungen sicher nicht zuallererst auf dem Zettel. | |
Gerade die Kontraste sind bei uns im Bezirk groß. Nehmen wir die | |
[2][Thermometersiedlung] im Südosten: Da leben 4.600 Menschen auf engstem | |
Raum in einer Hochhaussiedlung, 45 Prozent der Kinder sind hier | |
Transferleistungsempfänger, der Anteil von Menschen mit | |
Migrationshintergrund liegt bei 50 Prozent. Weil wir befürchtet haben, dass | |
diese Menschen mit den bestehenden Impfangeboten schlechter erreicht | |
werden, hatten wir hier im vergangenen Sommer eine mobile Impfaktion, bei | |
der wir in einer großen Turnhalle an einem Wochenende 2.000 Menschen | |
geimpft haben. Und nun wollten wir in der Studie natürlich auch wissen: Hat | |
das etwas gebracht? | |
Was genau haben Sie untersucht? | |
Wir haben Sozialdaten zu einzelnen Gebieten: Einwohnerdichte, Anteil der | |
Menschen mit Transferleistungsbezug und Anteil der Menschen mit | |
Migrationshintergrund. Und wir haben die Infektionszahlen, die wir | |
ebenfalls den Sozialräumen zuordnen können. Diese Daten haben wir für die | |
vier bisherigen Infektionswellen ausgewertet. | |
Machen das andere Berliner Bezirke auch? | |
Soweit ich weiß, sind wir bisher die einzigen, die das so für die einzelnen | |
Infektionswellen ausgewertet haben. | |
Und zu welchen Ergebnissen kommen Sie? | |
Wir sehen recht genau, welche Gebiete mit welchen Sozialdaten in welchen | |
Infektionswellen besonders stark betroffen waren. Das war bei der ersten | |
Welle vor allem der gutbetuchte Teil Zehlendorfs, wo die Menschen das Virus | |
am Anfang aus dem Urlaub – durchaus aus Skigebieten – mitgebracht hatten. | |
In der zweiten Welle gab es sehr viele Ausbrüche in Pflege- und | |
Gemeinschaftseinrichtungen. Wir sind hier der lebensälteste Bezirk mit | |
einer sehr hohen Dichte an Pflegeeinrichtungen. Das spiegelt sich auch | |
darin wieder, dass wir zwar mit der Inzidenz unter dem Berliner | |
Durchschnitt liegen, aber trotzdem an der dritten Stelle, was die | |
Todesfälle betrifft. In der dritten Welle sehen wir die klare Verschiebung | |
des Infektionsgeschehens in die ärmeren Gebiete, und das gibt uns | |
Anhaltspunkte für die Gründe, warum Menschen dort ungeschützter sind. | |
Und die wären? | |
Das kann die Art sein, wie Menschen arbeiten: In Jobs, zu denen sie jeden | |
Tag mit dem öffentlichen Nahverkehr hinfahren müssen und in denen sie | |
zwangsläufig Kontakte haben. Oder wie sie leben: in engen Wohnungen, in | |
denen es schwieriger ist, sich zu isolieren. Oder ihr Zugang zu | |
Informationen: etwa bei Menschen ohne entsprechende Deutschkenntnisse oder | |
digitale Ressourcen, die man braucht, um eine Impfung zu vereinbaren. | |
Aber das sind doch auch wieder Vermutungen, oder? | |
Ich würde sagen, Vermutung ist da zu schwach. Wir sind auf dem Weg, | |
Zusammenhänge herzustellen. Das machen wir ja jenseits der Pandemie auch. | |
Zum Beispiel, wenn wir bei den Einschulungsuntersuchungen feststellen, dass | |
Kinder in bestimmtenGebieten gesundheitlich besonders belastet sind und | |
dann spezielle, auf die Bewohner zugeschnittene Angebote machen. | |
In der dritten Infektionswelle – im Frühsommer 2021 – hatten Sie die große | |
Impfaktion in der Thermometersiedlung. Konnten Sie da eine besondere | |
Impfskepsis von Menschen mit Migrationshintergrund feststellen? | |
Ich war an allen drei Tagen vor Ort und augenscheinlich – ich weiß, das ist | |
schwierig, aber mehr kann ich ja nicht sagen – waren viele Menschen mit | |
Migrationshintergrund bei den Geimpften. Aber das wird natürlich nicht | |
erhoben. Der Parameter Migrationshintergrund ist für mich auch nicht | |
wichtig, um einen möglichen Zusammenhang zu Impskepsis herzustellen, | |
sondern um die Menschen besser ansprechen zu können. | |
Wie haben Sie das in der Thermometersiedlung gemacht? | |
Wir haben dort mit dem Quartiersmanagement alle Informationskanäle genutzt, | |
über die Kitas und Schulen, soziale Kanäle, mehrsprachige Aushänge in allen | |
Häusern. Als die Aktion zunächst etwas stockte, sind wir sogar spontan mit | |
dem Lautsprecherwagen durch die Siedlung gefahren. Die Enge, in der die | |
Menschen dort leben, ist sicher ein Nachteil für das Infektionsgeschehen. | |
Aber für die Erreichbarkeit bei solchen Aktionen ist es ein Vorteil: Das | |
hat sich natürlich sehr schnell herumgesprochen, dass wir jetzt vor Ort | |
sind. | |
Was sagt Ihre Studie über den Erfolg dieser mobilen Impfaktion? | |
In der vierten Welle war die Thermometersiedlung gar nicht mehr bei den | |
besonders betroffenen Gebieten, sondern hat sich gleich um mehrere Stufen | |
verbessert, während andere Gebiete im Fokus blieben. Das ist zwar kein | |
Beweis, aber doch ein starkes Indiz dafür, dass spezifische sozialräumliche | |
Impfaktionen großen Erfolg haben. | |
Warum machen Sie das dann nicht die ganze Zeit schon? | |
Je nach Impfressourcen, die der Senat den Bezirken zur Verfügung gestellt | |
hat, haben wir immer wieder kleinere Angebote gemacht, zum Beispiel auf dem | |
Obi-Parkplatz in der Goertzallee oder im Boulevard der Schlossstraße. Das | |
nächste Gebiet, in dem wir in der Abstimmung mit dem Senat sind, liegt in | |
Zehlendorf-Süd am Rande der Hilfswerksiedlung, in der auch sehr viele | |
Menschen leben. Unsere Studie hat uns in diesem Vorgehen bestärkt. | |
12 Jan 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Giffeys-Vor-Ort-Impfen/!5826813 | |
[2] /Betongold-meets-Brennpunkt/!5646463 | |
## AUTOREN | |
Manuela Heim | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Coronavirus | |
Impfung | |
Franziska Giffey | |
Schwerpunkt Coronavirus | |
Wochenkommentar | |
Franziska Giffey | |
Franziska Giffey | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Nachrichten zur Coronakrise: Scholz für Impfpflicht ab 18 Jahren | |
Der Kanzler verteidigt, dass die Impfpflicht fraktionsübergreifendend | |
beschlossen wird. Boris Johnson räumt einen Party-Besuch während des | |
Lockdowns ein. | |
Neue Berliner Stratgie beim Impfen: Letztlich zählt nur das Ergebnis | |
Menschen den Impfstoff hinterhertragen zu müssen nervt. Doch das ist | |
zweitrangig – entscheidend sind mehr Impfungen. Ein Wochenkommentar. | |
Giffeys Vor-Ort-Impfen: Strategie ohne genaue Analyse | |
Für den neuen Impfansatz gerade in Brennpunkten scheint es keine feste | |
Basis zu geben. Konkreten Impfzahlen für Kieze und Stadtteile liegen nicht | |
vor. | |
Giffeys neue alte Corona-Strategie: Fußläufig zum Impfangebot | |
Die neue Regierende Franziska Giffey (SPD) will über dezentrales Impfen in | |
Brennpunkten noch nicht Geimpfte erreichen. Schulen sollen offen bleiben. |