# taz.de -- Gesundheit im Gazastreifen: Müll – die stille Bedrohung | |
> Die hygienische Lage im Gazastreifen ist katastrophal. Besonders unter | |
> Kindern breiten sich Infektionskrankheiten aus. | |
Bild: Sorgt sich um die Gesundheit ihrer Kinder: Fatma Muhammad in Deir al-Balah | |
KAIRO/DEIR AL-BALAH taz | Am Strand von Deir al-Balah im zentralen | |
Gazastreifen bereitet Fatma Muhammad eine Mahlzeit für ihre Familie, in | |
einem rostigen Topf auf offenem Feuer. Neben ihrem Zeltlager hat sich ein | |
Müllberg aufgetürmt. Weil der Abfall nicht abgeholt wird, wächst der Berg | |
jeden Tag weiter in den Himmel. Dort kreist hörbar eine israelische Drohne. | |
Der Gestank sei kaum auszuhalten, sagt Fatma Muhammad. „Mit dem Wenigen, | |
das ich zu Verfügung habe, koche ich, und dann essen wir in dem Gestank und | |
die Fliegen setzen sich aufs Essen“, erzählt sie. „Neben der Angst vor dem | |
Krieg und der Angst zu sterben werden jetzt die Kinder auch noch wegen des | |
Mülls krank“. | |
Denkt man an Krieg, dann denkt man zunächst an Tote, Verletzte und | |
zerstörte Häuser. Aber Krieg ist auch eine hygienische Katastrophe. Fatma | |
Muhammad gehört zu der rund einen Million Menschen, die nach UN-Angaben | |
wegen der israelischen Offensive im südlichen Gazastreifen [1][aus Rafah in | |
den mittleren Gazastreifen geflüchtet] sind. Die meisten von ihnen leben am | |
Strand in improvisierten Verschlägen und Zelten. | |
Weil es weder Infrastruktur für so viele Menschen noch irgendwelche | |
kommunalen Dienstleistungen gibt, herrschen furchtbare hygienische | |
Verhältnisse. Neben den Müllbergen entstehen immer mehr Abwasser-Seen, | |
Kinder spielen rund um stinkende Kloaken. Eine ihrer Beschäftigungen ist | |
es, das Abwasser mit Steinwürfen zum Platschen zu bringen. Mitten durch die | |
Zeltlager fließen offene Rinnsale. | |
Vor dem Al-Aksa-Krankenhaus, [2][dem letzten großen Spital] im zentralen | |
Gazastreifen, das noch halbwegs funktioniert, schaufeln Arbeiter Müll in | |
Container. Blutige Beutel mit Infusionen quellen heraus, im Container | |
liegen Spritzen und alte Mullbinden, über die bereits Maden krabbeln. Und | |
überall sind Fliegen. „Wir haben immer wieder versucht, mit der Verwaltung | |
darüber zu sprechen. Wir riskieren hier unser Leben“, beschwert sich Mahmud | |
al-Degran, einer der Arbeiter. | |
Drinnen im Krankenhaus würden nicht mehr nur Kriegsverletzte eingeliefert, | |
sondern auch immer mehr Menschen mit Krankheiten, die auf die hygienischen | |
Verhältnisse zurückzuführen seien, sagt der Arzt Muhammad Qandil. | |
„Infektiöse Krankheiten verbreiten sich immer mehr. Hautkrankheiten wie | |
Krätze oder Darminfektionen gerade bei Kindern.“ | |
Viele Mülllaster sind zerstört | |
Das [3][Hilfswerk UNRWA], die UN-Organisation, die für palästinensische | |
Flüchtlinge zuständig ist und im Gazastreifen in normalen Zeiten auch die | |
Müllabfuhr organisiert, ist praktisch handlungsunfähig. Im Mai warnte sie | |
vor schweren gesundheitlichen Auswirkungen für die Menschen. „Wohin man | |
auch schaut, sieht man einen Abfallhaufen“, schrieb die Organisation auf X. | |
„Uns wurde von israelischer Seite wiederholt der Zugang zu den Mülldeponien | |
verwehrt“, sagt die UNRWA-Sprecherin Louise Watridge per Telefon gegenüber | |
der taz. Watridge ist gerade nach London zurückgekehrt, bis vor wenigen | |
Tagen war sie im Gazastreifen, um sich ein Bild von der Lage zu machen. | |
Fast täglich, sagt sie, frage man bei den israelischen Behörden an, ob der | |
Müll abgeholt und zu den entlegenen Deponien gebracht werden könne, zu | |
denen auch israelische Checkpoints überquert werden müssten. Aber das werde | |
immer wieder verweigert. | |
„Dazu kommt, dass viele der Mülllaster zerstört oder beschädigt sind. Und | |
wir bekommen keine Ersatzteile, um sie zu reparieren.“ Ähnliches gelte für | |
zerstörte und beschädigte Abwassersysteme. An manchen Orten sei es zu | |
gefährlich, überhaupt an die Reparatur der Systeme zu denken. Ein weiteres | |
Problem sei der fehlende Treibstoff, der für die Abwasserpumpen benötigt | |
werde. | |
Verschärft wird die Lage durch die steigenden Temperaturen. „Moskitos, | |
Ratten und Mäuse leben zwischen den Müllbergen und den Zelten und | |
Verschlägen und verbreiten Krankheiten“, sagt Watridge. Anders als die | |
täglichen Luftangriffe und das Artillerie-Feuer ist die Müllkrise im | |
Gazastreifen eine stille Bedrohung. Die Menschen atmen die Krankheiten ein, | |
trinken und essen die Erreger, jeden Tag. | |
Anmerkung: Dieser Text basiert in Teilen auf Material eines vom Autor | |
beauftragten Kameramanns im Gazastreifen. | |
2 Jun 2024 | |
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## AUTOREN | |
Karim El-Gawhary | |
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