| # taz.de -- Fußball-WM 2018 in Russland: Säufer, Schläger, Sümpfe | |
| > Viel spricht derzeit nicht für einen Erfolg des Turniers. Die | |
| > Nationalmannschaft hat sich blamiert, die Liga dümpelt vor sich hin. | |
| Bild: Diese Uhr in der Nähe des Kreml zählt die Tage bis zum Beginn der WM in… | |
| ## Die Sbornaja | |
| Alexandr Kokorin und Pawel Mamajew, noch Mitglieder der russischen | |
| Nationalmannschaft, backen dieser Tage ganz kleine Brötchen. Nicht dass | |
| Kokorin, Stürmer beim FC Zenit St. Petersburg, und Mamajew, | |
| Mittelfeldspieler beim FK Krasnodar, während der EM einen besonderen | |
| Beitrag geleistet hätten, um Ruhm und Ehre ihres Vaterlandes zu mehren. | |
| Bekanntermaßen musste die Sbornaja schon nach der Vorrunde nach Hause | |
| fahren. | |
| Was auf dem Feld nicht klappte, holten die beiden Kicker in einem | |
| exklusiven Etablissement namens Twiga Club in Monte Carlo nach und ließen | |
| es krachen. In dem Club sollen sie 500 Flaschen Champagner der Marke Armand | |
| de Brignac zum Schnäppchenpreis von 500 Euro das Stück bestellt haben. | |
| Während die hochpreisigen Getränke serviert wurden, erklang die russische | |
| Hymne. | |
| Dmitri Peskow, Sprecher von Präsident Wladimir Putin, empörte sich ob | |
| dieser „schamlosen Zurschaustellung von Arroganz“, die Angehörigen der | |
| russischen Elite seit jeher ja völlig fremd ist. Aber auch im Volk rumort | |
| es angesichts miserabler Spielbilanz und luxuriöser Eskapaden. Eine | |
| Petition mit dem Titel „Wir wollen stolz sein und uns nicht schämen müssen�… | |
| bekam innerhalb kurzer Zeit mehr als 120.000 Unterschriften. Darin wird | |
| gefordert, die gesamte Nationalmannschaft zu feuern und sich nach frischen | |
| Spielern umzusehen. „So wie die Kinder an Neujahr warten alle Russen auf | |
| ein Wunder. Doch seit Jahrzehnten warten sie vergeblich“, heißt es in der | |
| Petition. | |
| Russlands Sportminister Witali Mutko kündigte eine Rundumerneuerung des | |
| Teams für September an. Dabei komme es nicht so sehr darauf an, in welcher | |
| Liga die Spieler unterwegs seien, sondern darauf, dass sie den großen | |
| Wunsch hätten, für ihr Land zu spielen. Nun ja! | |
| ## Die Infrastruktur | |
| Von dem ehemaligen russischen, 2010 verstorbenen Regierungschef Wiktor | |
| Tschernomyrdin ist der Ausspruch überliefert, man habe es diesmal besser | |
| machen wollen, aber es wurde wie immer. Der Mann hatte recht, und das hat | |
| er auch noch heute, wenn man sich ansieht, wie weit die Vorbereitungen für | |
| die Fußball-WM 2018 gediehen sind. | |
| Im Mai dieses Jahres waren laut Angaben der Internationalen | |
| Entwicklungsabteilung der Russischen Föderalen Tourismusagentur gerade mal | |
| rund 35.000 Zimmer in internationalen Hotelketten verfügbar. Tourismuschef | |
| Waleri Korowkin räumte ein, dass die Hälfte der sogenannten Hotels | |
| eigentlich keine seien, weil der Standard zu niedrig sei. Nun mag ja das | |
| Campieren in freier Wildbahn in Sotschi ganz reizvoll sein, aber wer will | |
| das schon in Samara oder in Kaliningrad? Der Fifa hat Russland jedenfalls | |
| mitgeteilt, bis 2018 1,1 Milliarden US-Dollar in die touristische | |
| Infrastruktur investieren zu wollen. | |
| Im Bereich Telekommunikation sieht es ganz düster oder, um mit den drei | |
| Anbietern MTS, Vimpelcom und MegaFon zu sprechen, bedrohlich aus. Die | |
| Herausforderung ist eine doppelte: Bis 2017 – dann wird in Russland der | |
| Confed-Cup ausgetragen – müssen Netzverbindungen in den Stadien und | |
| Austragungsorten für zusätzlich 220.000 Nutzer, bis 2018 für zusätzlich | |
| 700.000 Nutzer geschaffen werden. | |
| Pünktlich zum Achtelfinale der WM tritt auch noch ein Antiterrorgesetz in | |
| Kraft, das die Speicherung von Nutzerdaten für mindestens sechs Monate | |
| vorsieht. Bislang sind die technischen Voraussetzungen nicht gegeben. Sie | |
| zu schaffen erfordert Investitionen in mehrstelliger Millionenhöhe. Noch | |
| ist unklar, woher dieses Geld kommen soll. | |
| Auch die Bauarbeiten in den zwölf Stadien verlaufen nicht nach Plan. In der | |
| Zenit Arena in St. Petersburg (nach Fertigstellung das teuerste Stadion der | |
| Welt) wird seit 2006 gewerkelt. Seitdem haben sich die Kosten mehr als | |
| versechsfacht. Besonders harte Brocken sind offensichtlich die Spielstätten | |
| in Samara und Kaliningrad. In Samara wurden die Arbeiten unterbrochen – es | |
| gab Unstimmigkeiten mit dem beauftragten Unternehmen wegen der Kosten. | |
| In Kaliningrad ist der sumpfige Untergrund ein veritables und kostspieliges | |
| Problem. Igor Schuwalow, der Erste Vizepräsident der Russischen | |
| Föderation, sagte unlängst, Grund und Boden für das Stadion seien | |
| seinerzeit vom Gouverneur vorgeschlagen und von der Regierung und dem | |
| Präsidenten für gut befunden worden. Denn das eröffne Kaliningrad die | |
| Möglichkeit zu einer ganz andere Entwicklung. So kann man das auch sehen. | |
| ## Die Hooligans | |
| Der Schock von Marseille ist noch lange nicht verdaut. Durchtrainierte | |
| russische Schlägerbanden haben rund um das Spiel der russischen | |
| Nationalmannschaft gegen England eine Schneise der Verwüstung durch die | |
| Hafenstadt geschlagen. So ist er also, der russische Fußballfan, lautete | |
| schnell das Urteil. Und es stand die Frage im Raum, was das wohl für die WM | |
| 2018 bedeuten würde. Die Welt zu Gast bei Schlägern? | |
| In der Tat gibt es in Russland eine ausgeprägte Hooliganszene. Videos mit | |
| inszenierten Schlägereien zwischen Hooligangruppen der großen Klubs sind | |
| zuhauf im Internet zu finden. Da lässt sich schnell herausfinden, ob die | |
| Fantruppen von Zenit St. Petersburg oder die Schläger von ZSKA Moskau | |
| stärker sind. Von den Behörden werden diese Gruppierungen äußerst kritisch | |
| beäugt. Um keinen Ärger mit der Polizei zu riskieren, weichen die Hooligans | |
| auf Kampfplätze außerhalb der Städte aus, schlagen sich in Wäldern oder | |
| abgelegenen Vorortbahnhöfen. | |
| Umso erstaunter war man, dass Mitgliedern genau dieser sattsam bekannten | |
| Schlägertrupps keine Hindernisse in den Weg gelegt wurden, als sie sich für | |
| eine Reise zur EM nach Frankreich anmeldeten. Sie reisten zum Teil mit dem | |
| offiziellen Fanklub der Nationalmannschaft ins EM-Land – angeführt von | |
| Alexander Schprygin, einem bekannten Neonazi mit besten Kontakten in den | |
| Kreml. Der Verdacht, dass kriminelle Handlungen dieser Problemfans von den | |
| russischen Behörden zumindest billigend in Kauf genommen wurden, liegt auf | |
| der Hand. | |
| Nachdem die russischen Hooligans von Politikern in der Heimat zunächst | |
| regelrecht in Schutz genommen wurden, legt die Regierung nun einen | |
| bemerkenswerten Aktivismus an den Tag, was die Bekämpfung der | |
| Hooliganproblematik betrifft. So soll eine Datei angelegt werden, in der | |
| die Namen russischer und ausländischer Gewalttäter mit Fußballbezug | |
| gesammelt werden. Zudem soll sich der Geheimdienst FSBum das Problem | |
| kümmern. Hohe Strafen für Gewalttäter stehen im Raum. | |
| Der forsche Fanaktivist Schprygin verspricht sich davon besonders viel. Es | |
| werde sich schon keiner etwas trauen, wenn er dabei riskiere, in Sibirien | |
| zu landen, meinte er nach seiner Rückkehr aus Frankreich. | |
| ## Der Klubfußball | |
| Das Interesse am Vereinsfußball hält sich in Russland in Grenzen. Die WM | |
| 2018 ist in dieser Hinsicht so etwas wie ein Entwicklungshilfeprojekt. Mit | |
| den neuen Stadien sollen endlich auch mehr Zuschauer angelockt werden. Die | |
| Zahl der Zuschauer lag in der abgelaufenen Saison der Premjer Liga im | |
| Schnitt bei 11.000. Etliche Spiele ziehen nicht viel mehr als 5.000 | |
| Zuschauer an. | |
| Das liegt gewiss zum einen an den unwirtlichen Arenen aus Sowjetzeiten, in | |
| denen so mancher Klub spielt, zum anderen auch an der unterirdischen | |
| Stimmung in den Stadien, in denen es regelmäßig zu rassistischen | |
| Beschimpfungen schwarzer Spieler kommt, vor allem aber am immerwährenden | |
| Chaos in den Klubführungen. | |
| Die meisten Vereine gehören reichen Investoren, andere großen | |
| Staatsunternehmen wie der aktuelle Meisterschaftsdritte Zenit St. | |
| Petersburg, der unter dem Logo des Energiekonzerns Gazprom aufläuft. Das | |
| Oligarchenprinzip macht es den Trainern schwer, eine Mannschaft in Ruhe | |
| aufzubauen. Gefällt einem Investor nicht, was er auf dem Platz sieht, | |
| fordert er schon mal die sofortige Trainerentlassung oder stellt die | |
| Gehaltszahlung ein. So wäre der Vizemeister der abgelaufenen Saison um ein | |
| Haar aus dem Wettbewerb genommen worden, weil kein Geld mehr in den Klub | |
| floss. | |
| Immer wieder geraten russische Klubs in Konflikt mit den Regeln des | |
| Financial Fairplay der Uefa, die vorschreiben, dass ein Verein nicht mehr | |
| Geld ausgeben darf, als er einnimmt, was im Oligarchenfußball in Russland | |
| so gut wie unmöglich ist. | |
| In Konflikt mit der Uefa ist auch der FK Krasnodar aus dem Süden Russlands | |
| geraten. Dieser gilt, was die Jugendarbeit betrifft, als vorbildlich. | |
| Krasnodar unterhält in der ganzen Region Fußballschulen und betreibt in der | |
| Stadt am Kaukasus eine Fußballakademie mit zehn Trainingsplätzen, einem | |
| modernen medizinischen Zentrum und einem Internat für Jugendspieler. Ziel | |
| des Klubs ist es, schon bald die Mehrzahl der Spieler aus diesen | |
| Nachwuchseinrichtungen zu rekrutieren. | |
| Davon würde gewiss auch die überalterte Nationalmannschaft profitieren. | |
| Finanziert hat das Jugendprogramm, wie kann es anders sein, ein Milliardär, | |
| der russische Einzelhandelskrösus Sergei Galitski. Was für den russischen | |
| Fußball gut sein mag, gefällt der Uefa indes nicht. Auch Krasnodar hat | |
| wegen Verstößen gegen das Financial Fairplay einen blauen Brief bekommen. | |
| 11 Jul 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Barbara Oertel | |
| Andreas Rüttenauer | |
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