# taz.de -- Frauen im Fußball: Hochklassig wie nie | |
> Mit sechs Jahren entdeckte unsere Autorin ihre Liebe zum Fußball. Damals | |
> war es Frauen noch verboten, im Verein zu kicken. | |
Bild: Tika-Taka vom Feinsten: Barcelona gegen Real Madrid | |
Ich fahre dieses Jahr früher aus dem Urlaub zurück als mein Liebster, weil | |
ich die [1][Fußballeuropameisterschaft der Frauen] sehen will. Zum | |
Auftaktspiel des deutschen Teams gegen Dänemark bin ich wieder in Hamburg, | |
denn auf der griechischen Insel Chios, wo wir gerade sind, interessiert | |
sich niemand für das Turnier. Vermutlich nicht mal der Besitzer unserer | |
Lieblingsbar, der im vergangenen Jahr die Partien der [2][Männer-EM] mit | |
Beamer projizierte. | |
Das kann ich nicht riskieren, denn ich freue mich auf die Spiele wie | |
verrückt. Weil die besten Frauenteams inzwischen hinreißend kicken. Etwa | |
neulich die Partie Barcelona gegen Real Madrid im Viertelfinale der | |
Champions League. Tikitaka vom Feinsten! | |
Frauenfußball ist hochklassig wie nie, weil er sich professionalisiert hat. | |
In England muss jeder Premier-League-Club ein Frauenteam melden, die | |
Spielerinnen profitieren von der Infrastruktur der Männer. In der Super | |
League, der höchsten Spielklasse, sind alle Fußballerinnen Profis, | |
verdienen durchschnittlich umgerechnet 35.000 Euro im Jahr. In der | |
Bundesliga muss manche Spielerin neben dem Fußball jobben, weil sie von | |
ihrem Sport nicht leben kann. | |
Auch spanische Clubs sind den deutschen in manchem voraus, verbinden | |
Professionalität mit geschicktem Marketing. Als Barcelona im Halbfinale der | |
Champions League mit 5:1 gegen Wolfsburg gewann, kamen 91.648 Fans ins | |
Stadion Camp Nou – Weltrekord! | |
## Der Zauber von Wembley | |
Das alles hätte ich mir nicht träumen lassen, als ich mich vor 56 Jahren in | |
diesen Sport verliebte, 1966 beim Weltmeisterschaftsfinale England gegen | |
Deutschland in Wembley. Ich war sechs und sah das Spiel zusammen mit meinen | |
Eltern am Schwarz-Weiß-Fernseher im Wohnzimmer. | |
Natürlich wusste ich noch nichts über Fußball, konnte Technik, | |
Körpereinsatz, Taktik nicht würdigen, doch die Dramatik des Spiels hat mich | |
ergriffen. Meine aufgewühlten Eltern mussten nach der Niederlage mal an die | |
Luft, ich an ihrer Hand war tief bewegt: „Wir sind Vize-Weltmeister.“ | |
Seitdem spiele ich. Früher allein im Garten. Auf dem Schulflur. Im Hof. Im | |
Park. Es brauchte nur einen Ball, zwei Taschen und ein paar Jungs, die | |
einen mitmachen ließen. | |
Kicken im Verein war Mädchen und Frauen damals noch verboten. Der Deutsche | |
Fußball-Bund rechtfertigte seinen Beschluss 1955 mit Thesen des | |
niederländischen Professors Frederik J. J. Buytendijk: „Das Fußballspiel | |
als Spielform ist also wesentlich eine Demonstration der Männlichkeit“, | |
schrieb er 1953. Buytendijk, der Psychologie und Physiologie lehrte, zählte | |
zu den Gründern des Weltverbands für Sportmedizin. „Das Treten ist wohl | |
spezifisch männlich; ob darum das Getretenwerden weiblich ist, lasse ich | |
dahingestellt. Jedenfalls ist das Nichttreten weiblich.“ | |
## Keine Sorge um die Beine | |
Solche ideologischen Sätze, verkauft als Wissenschaft, waren seinerzeit | |
Mainstream. Als sich 1970 andeutete, dass der DFB das Fußballverbot für | |
Frauen aufheben würde, lud ZDF-Moderator Wim Thoelke Fußballerinnen ins | |
„Aktuelle Sportstudio“. Thoelke in Anzug und Krawatte mit Einstecktüchlein, | |
die Frauen in Trikots, Stutzen und kurzer Hose. | |
„Nun sind Frauen immer etwas empfindlich, was ihre Beine betrifft“, sagte | |
Thoelke, und die Kamera fuhr die nackten Beine einer Spielerin hinauf. „Und | |
mit Recht empfindlich, wie wir Männer meinen. Haben Sie keine Sorge, | |
Fräulein Emig?“ Hatte sie nicht. „Trotzdem sagen Tausende von Männern, sie | |
können doch nicht mal stoppen.“ Thoelke verlangte nach einem Ball. „Wollen | |
wir mal stoppen üben.“ Er warf den Frauen der Reihe nach den Ball zu, bekam | |
ihn zurückgespielt. „Sehen Sie, das ist das Schöne an Frauen: Sie gehen | |
auch mit einem Ball zart um – hoffentlich nicht nur mit dem Ball.“ | |
Nachzuschauen ist das auf Youtube. | |
Als der DFB das Fußballverbot für Frauen 1970 aufhob, konnte von | |
Gleichstellung noch keine Rede sein: Spiele dauerten nur zweimal dreißig | |
Minuten, Stollenschuhe waren verboten, die Winterpause dauerte sechs | |
Monate. Ich war zehn und träumte davon, in der Nationalelf zu spielen. In | |
der Männer-Nationalelf. Eine andere gab es noch nicht. | |
## Fernsehen ohne Finale | |
In Bochum-Laer, wo ich groß wurde, gab es auch kein Vereinsteam für | |
Mädchen. Ich kickte weiter mit Jungs und später jungen Männern. Erst mit | |
21, beim Uni-Fußball in Göttingen, traf ich Frauen, die Fußball liebten wie | |
ich und mich mit in ihren Club nahmen. | |
Das erste offizielle Länderspiel der Frauen, gegen das Team der Schweiz, | |
war da noch nicht gespielt. Es fand 1982 unter Ausschluss der | |
TV-Öffentlichkeit statt. Erst bei der Europameisterschaft 1989 übertrug die | |
ARD erstmals ein Spiel der Nationalelf im Fernsehen – das Halbfinale | |
Deutschland gegen Italien, die deutschen Spielerinnen gewannen im | |
Elfmeterschießen. Das Finale wurde dann nicht mehr gezeigt. | |
Bei der diesjährigen Europameisterschaft in England werden ARD und ZDF alle | |
31 Spiele im Fernsehen oder als Livestream im Internet präsentieren. | |
Endlich Sichtbarkeit für die Fußballerinnen! Auch im Alltag der Bundesliga | |
tut sich was. Seit der vergangenen Spielzeit überträgt der Bezahlsender | |
Magenta TV alle Partien der Saison, und die ARD-Sportschau zeigt eine | |
Zusammenfassung des Top-Spiels. | |
Allerdings kicken die Teams der obersten Spielklasse oft vor wenigen | |
hundert Fans, in meist kleineren Stadien. Dort lassen sich Spiele nicht so | |
attraktiv präsentieren wie in den Arenen der Männer-Bundesliga, wo mehr als | |
40 Kameras das Spielgeschehen aus allen möglichen Perspektiven einfangen | |
und dramatisieren. Es war ein großer Schritt, dass Bayern München und | |
Wolfsburg in diesem Jahr drei Heimspiele in der Champions League vor | |
Tausenden von Fans in den großen Stadien spielen konnten. | |
## Sexismus selbst bei Siegen | |
Trotz struktureller Benachteiligung war das deutsche Frauenteam | |
jahrzehntelang extrem erfolgreich – holte acht Europameistertitel, wurde | |
zweimal Weltmeister. Die Heim-WM 2011 sollte ein Höhepunkt werden. Ich weiß | |
noch, wie ich ihr entgegenfieberte. Nie zuvor berichteten die Medien so | |
ausführlich. Teils verfolgten 19 Millionen Fans die Spiele des deutschen | |
Teams im Fernsehen, doch es schied bereits im Viertelfinale aus, gegen die | |
späteren Weltmeisterinnen aus Japan. | |
Als zweifelhafter Höhepunkt blieb mir dieses Turnier dennoch in Erinnerung: | |
Nike präsentierte Mittelfeldstar Lira Bajramaj mit dem Spruch: „Wer scharf | |
aussieht, schießt auch schärfer.“ Der Spiegel porträtierte Kim Kulig als | |
„Lockenwunder“, „modisch gekleidet und stets geschminkt“, durch die WM … | |
den Rang von „Germany’s Next Topmodel“ befördert. | |
Der Playboy, natürlich, trieb die Sache auf die Spitze. Unter der | |
Überschrift „WM-Vorspiel mit scharfen Schüssen“ veröffentlichte er eine | |
Fotostrecke. „Die schönsten Nationalspielerinnen zeigen uns, was das heißt: | |
echtes Ballgefühl.“ Zu sehen waren allerdings keine Spielerinnen des | |
aktuellen WM-Kaders, sondern die zweite Garde. Das Aufmacherfoto zeigte sie | |
an und in einem Teich, mit offenem Haar, geschminkt, in durchsichtigen, | |
weit ausgeschnittenen Hemdchen, die an alte Fußballtrikots erinnerten. Mit | |
Fußball als Leistungssport hatte diese Inszenierung etwa so viel zu tun wie | |
ein Kletterturm im Freizeitpark mit der Kangshung-Wand des Mount Everest. | |
Mir kam es so vor, als sei die Überbetonung von Weiblichkeit und | |
Attraktivität der Spielerinnen die Kehrseite des alten Klischees der | |
lesbischen Mannweiber mit Haaren auf den Beinen. | |
## Der Speed, die Dribblings, der Torinstinkt | |
Sportlich hätte es für das Nationalteam in den vergangenen Jahren besser | |
laufen können. Bei der Europameisterschaft 2017 und der Weltmeisterschaft | |
2019 war jeweils im Viertelfinale Schluss – die Qualifikation für Olympia | |
wurde verpasst. Haben die Deutschen den Anschluss verloren? Ich hoffe, | |
nicht. In England setzt Nationalcoach Martina Voss-Tecklenburg auf ein | |
starkes, junges Team. Ich freue mich schon auf den Speed von Jule Brand, | |
die Dribblings von Klara Bühl, den Torinstinkt von Lea Schüller. | |
Es ist eine selbstbewusste Generation, die ihren Sport weiter voranbringen | |
will. Die US-Spielerinnen setzten kürzlich durch, dass der Verband ihnen | |
die gleichen Prämien zahlt wie den Männern. Der Fokus der deutschen | |
Spielerinnen liegt vorerst auf dem Alltag in ihren Clubs: „Dass die Mädels | |
da von den Bedingungen her alle ungefähr auf einem Niveau sind“, zitiert | |
dpa die Wolfsburgerin Lena Lattwein: „Das ist mir wichtiger, als die Lücke | |
zu den Männern zu schließen.“ | |
In England trifft das Team auf viele andere, denen der Titel zuzutrauen | |
ist: die Gastgeberinnen, die auf die einzige Profi-Liga Europas bauen | |
können; die traditionell starken Skandinavierinnen; auf den amtierenden | |
Europameister aus den Niederlanden; die Französinnen, die mit Lyon die | |
Champions League gewonnen haben, die spanischen Tikitaka-Fußballerinnen… | |
Ich wünsche mir die deutschen Spielerinnen im Finale! Und freue mich | |
außerdem schon auf den Saisonstart mit meinem Team Union 03 in Hamburg. Ich | |
kicke da jetzt mit Frauen, die meine Töchter sein könnten. Oder auch meine | |
Enkelinnen. Denn eine Ü60-Spielrunde für Frauen existiert nicht. Vielleicht | |
gibt es die ja, wenn die jetzigen Nationalspielerinnen so alt sind wie ich. | |
6 Jul 2022 | |
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## AUTOREN | |
Martina Keller | |
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