# taz.de -- Folgen des Erdbebens und Tsunamis in Japan: 2.000 Leichen an Küste… | |
> Während ein starkes Nachbeben Tokio erschüttert, wurden in der | |
> Katastrophenregion an der Küste 2.000 Leichen entdeckt. Die offizielle | |
> Zahl der Toten steigt auf 5.000. | |
Bild: Ein schöner Augenblick inmitten der Katastrophe: Ein Soldat hat in Ishim… | |
TOKIO dpa/afp/dapd/rtr | Die offiziell bestätigte Zahl der Toten und | |
Vermissten nach dem Erdbeben und dem Tsunami ist in Japan auf 5.000 | |
gestiegen. Das teilte die japanischen Polizei mit. Lokale Behörden | |
befürchten jedoch, dass die tatsächliche Opferzahl weit darüber liegt. | |
Allein in der Präfektur Miyagi werden nach wie vor mehr als 10.000 Menschen | |
vermisst. Die Region war am schwersten von dem Erdbeben der Stärke 9,0 und | |
dem verheerenden Tsunami getroffen worden. | |
Rettungskräfte haben an der Küste der Präfektur Miyagi etwa 2.000 Leichen | |
entdeckt, berichtete der japanische Sender NHK am Montag unter Berufung auf | |
die Polizei. Die Hälfte der Leichen seien an Stränden auf der Halbinsel | |
Ojika gefunden worden, die andere Hälfte in der Stadt Minamisanriku. | |
Ein neues Nachbeben mit der Stärke 6,2 hat am Montag den Bahnverkehr in der | |
japanischen Hauptstadt zum erliegen gebracht. Japan Rail, der größte | |
Verkehrsbetrieb des Landes, stellte bis auf vier alle Stadtlinien ein. Und | |
auch diese sind teilweise unterbrochen. Nur 10 Prozent der Züge auf der | |
wichtigsten Ost-West Bahnlinie durch Tokio würden verkehren, berichtete das | |
japanische Fernsehen. Reisende drängten sich in den Stationen und warteten | |
geduldig doch noch einen Platz in einem Zug zu ergattern. Die | |
Warteschlangen reichten oft bis in die Bahnhofshallen. Zugverbindungen zum | |
Flughafen Narita wurden ebenfalls eingestellt. | |
Die japanische Regierung sagte unterdessen eine für Montag geplante | |
dreistündige Stromabschaltung in Tokio und anderen Städten ab. | |
Regierungssprecher Edano rief alle Bürger stattdessen zum Energiesparen | |
auf. Sollte das nicht reichen, werde die angekündigte Stromrationierung in | |
acht Präfekturen doch noch umgesetzt. Japan muss nach dem Ausfall einiger | |
Atomkraftwerke Ausfälle bei der Stromproduktion kompensieren. | |
## Nur mit Wasser und wenigen Lebensmitteln überleben | |
Die Bevölkerung an der Nordostküste wurde von Militär und Polizei | |
aufgefordert, sich wegen einer Tsunami-Gefahr an höher gelegene Orte zu | |
begeben. Die meteorologische Behörde teilte jedoch mit, Gefahr einer | |
weiteren tödlichen Welle bestehe nicht. Japan wurde seit Freitag von mehr | |
als 150 Nachbeben erschüttert; das jüngste mit einer Stärke von 6,2 löste | |
am Montag Tsunami-Alarm aus. | |
Unterdessen kämpften sich Bergungstrupps in den vom Beben der Stärke 9,0 | |
und dem folgenden Tsunami verwüsteten Orten an der Nordostküste mit | |
Kettensägen und Spitzhacken durch Trümmer vor. Oft fanden sie nur noch | |
Leichen. | |
"Die Menschen überleben mit nur wenig Lebensmitteln und Wasser", sagte ein | |
Beamter der Präfektur Iwata, eine der drei am härtesten getroffenen. "Wir | |
haben die Regierung (in Tokio) um Hilfe gebeten, aber die Regierung ist vom | |
Ausmaß der Schäden und der enormen Nachfrage nach Lebensmitteln und Wasser | |
überwältigt", sagte der Beamte Hajime Sato. "Wir bekommen nur zehn Prozent | |
von dem, was wir erbeten haben. Wir sind aber geduldig, weil alle im | |
Bebengebiet leiden." Zu den knappen Gütern gehörten auch Leichensäcke und | |
Särge, sagte Sato. | |
Wegen der Erdbebenkatastrophe hat der japanische Aktienmarkt derweil am | |
Montag starke Kursverluste verzeichnet. Der Nikkei-Index stürzte 6,2 | |
Prozent ab und schloss bei 9620 Punkten. Der breiter gefasste Topix-Index | |
brach 7,5 Prozent auf 847 Punkte ein und verzeichnete damit den größten | |
Tagesverlust seit der Lehman-Brothers-Pleite im Oktober 2008. Die Angst vor | |
schweren Nachbeben und weiteren Atomunfällen ließ die Kurse zahlreicher | |
Unternehmen in die Tiefe stürzen. Die Sorge vor langfristigen Engpässen bei | |
der Stromversorgung verschärfte den Ausverkauf. | |
## Investoren verkaufen aggressiv | |
Mit knapp 4,9 Milliarden Papieren wechselten so viele Anteilsscheine wie | |
nie zuvor ihren Besitzer in der Geschichte der Tokioter Börse. Die | |
Betreiberfirma mehrerer havarierter Reaktoren, Tepco, wurde wegen einer | |
Fülle von Verkaufsaufträgen vom Handel ausgesetzt. | |
"Investoren verkaufen aggressiv, weil sie kein Risiko eingehen wollen", | |
sagte der Berater Hiroshi Arano von Mizuho Asset Management. Man könne den | |
Umfang des Ausverkaufs nicht absehen. Der Analyst Shinichi Ichikawa von | |
Credit Suisse in Tokio sagte: "Es wird schwer werden für Japan, seine | |
Abhängigkeit vom Atomstrom zu beenden, denn solche Energie ist nötig, um | |
das stabile Wirtschaftswachstum der Volkswirtschaft zu halten." Wenn die | |
Inspektionen an den beschädigten Atomreaktoren negativ ausfallen sollten, | |
dürfte dies langfristige Auswirkungen auf die japanische | |
Wirtschaftsentwicklung haben. | |
Von den Kursrückgängen waren besonders Hersteller von Autos und Elektronik | |
sowie Betreiber von Ölraffinerien betroffen. Viele Unternehmen mussten | |
wegen der Zerstörungen die Produktion in wichtigen Fabriken einstellen. So | |
blieben alle Toyota-Werke in Japan am Montag geschlossen, die Produktion | |
soll bis Mittwoch ruhen. | |
## Notenbank pumpt Geld in den Markt | |
Die japanische Notenbank pumpt weiteres Geld in den Markt und weitet wegen | |
der Erdbebenkatastrophe ihr Programm zum Wertpapierkauf aus. Der Umfang | |
werde auf 40 Billionen Yen (knapp 350 Milliarden Euro) von zuvor 35 | |
Billionen Yen erhöht, teilte die Bank of Japan kurz vor Handelsschluss in | |
Tokio mit. Mit der weiteren Lockerung der Geldpolitik solle verhindert | |
werden, dass sich die Wirtschaftsstimmung verschlechtere. Die Notenbank | |
hielt an ihrem Wirtschaftsausblick fest. Die Industrieproduktion werde | |
wegen der Erdbebenkatastrophe aber wahrscheinlich bis auf Weiteres | |
zurückgehen. | |
Derweil will Singapur wegen der Probleme in den japanischen Atomanlagen die | |
Einfuhr von Nahrungsmitteln aus Japan auf mögliche Verstrahlungen | |
untersuchen. Es handele sich dabei um eine Vorsichtsmaßnahme und es würden | |
Proben der importierten Ware genommen, erklärte die Nahrungsmittelbehörde | |
des Stadtstaates am Montag. Bei der Untersuchung auf eine mögliche | |
radioaktive Verstrahlung hätten frische Produkte wie Fisch Vorrang. In | |
Singapur gibt es zahlreiche japanische Restaurants, besonders Sushi ist bei | |
den Menschen sehr beliebt. [1][Im Reaktor 3 des Atomkraftwerks Fukushima 1 | |
in Japan hatte es am Montagvormittag (Ortszeit) zwei Explosionen gegeben]. | |
Das Erdbeben in Japan dürfte nach einer ersten Branchenschätzung alleine an | |
Gebäuden versicherte Schäden von bis zu 35 Milliarden US-Dollar angerichtet | |
haben. Darin seien die Folgen des Tsunami noch nicht enthalten, teilte der | |
auf Risikoanalysen spezialisierte Versicherungsdienstleister AIR Worldwide | |
am Wochenende in Boston mit. | |
## 70 Länder erklären Solidarität | |
Auch Schäden an der Infrastruktur oder Produktionsausfälle haben die | |
Experten noch nicht eingerechnet. Vorläufig beziffern sie die erwarteten, | |
versicherten Gebäudeschäden auf 15 bis 35 Milliarden Dollar. Die | |
Unsicherheit ist den Angaben zufolge noch groß, weil wichtige Daten zur | |
Ausbreitung der Erdbebenwellen noch nicht bekannt sind. | |
Die internationale Erdbebenhilfe für Japan nimmt unterdessen Fahrt auf: | |
Rettungsmannschaften aus den USA begannen am Montag mit der Suche nach | |
Vermissten im vom Beben und Tsunami zerstörten Nordosten des Landes. Zudem | |
beraten die USA Japan in Fragen der atomaren Sicherheit. Ein chinesisches | |
Rettungsteam nahm ebenfalls seine Arbeit auf. "Wir werden Japan weitere | |
Hilfe zur Verfügung stellen, wenn dies nötig ist", sagte der chinesische | |
Ministerpräsident Wen Jiabao. Südkorea schickte am Montag 102 Helfer nach | |
Japan. Mehr als 70 Länder erklärten, dem asiatischen Land beistehen zu | |
wollen und boten Unterstützung an. Aus mindestens zwölf Ländern sind | |
bereits Hilfsteams in Japan eingetroffen. Aus Deutschland sind | |
beispielsweise Spezialisten des Technischen Hilfswerkes im Einsatz. | |
Nach Einschätzung der japanischen Regierung handelt es sich um die | |
schwerste Krise des Landes seit dem Zweiten Weltkrieg. Bei dem Erdbeben und | |
dem anschließenden Tsunami kamen vermutlich mehr als 10.000 Menschen ums | |
Leben. Millionen Menschen sind ohne Strom und Wasser. Heftige Nachbeben | |
erschütterten am Montag das Land. Zudem kam es erneut zu einer | |
Wasserstoffexplosion in einem Atomkraftwerk. | |
14 Mar 2011 | |
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