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# taz.de -- Flutkatastrophe in Russland: „Was wird aus uns?“
> Nach dem Dammbruch in Russland am Ural wollen die Menschen Antworten von
> ihrer Regierung. Doch der Gouverneur weist jegliche Verantwortung von
> sich.
Bild: Schleppende Rettung: Helfer:innen in Orsk nahe der Grenze zu Kasachstan
Moskau taz | Während [1][das Wasser noch in den Straßen von Orsk steht] und
sich nur langsam zurückzieht, versammeln sich mehrere Hundert Menschen am
Montagabend vor der Verwaltung der Stadt. Eine Lenin-Statue thront vor dem
Theater hinter ihnen, die Tram ruckelt am Platz der Komsomolzen vorbei.
Hierher hat es der Ural nicht geschafft, der einige Kilometer weiter wegen
eines mehrfachen Dammbruchs knapp 7.000 Häuser in dieser Industriestadt an
der Grenze zu Kasachstan überschwemmt hatte.
„Wir wollen nur eins wissen: Was wird aus unseren Häusern? Was wird aus
uns?“, schreit eine Frau fast. „Wie sollen wir weiterleben? Wer übernimmt
die Verantwortung?“, fragt ein Mann. Sie sind wütend, weil sie sich auf
sich allein gestellt fühlen. Die Behörden hatten die Menschen gewarnt, bloß
nicht bei einer „nicht sanktionierten Versammlung“ mitzumachen. Vor dem
ansteigenden Wasser des Urals warnten sie die Menschen dagegen zu spät.
Dieser Unmut treibt die Orsker*innen auf die Straße, [2][in einem Land,
in dem demonstrieren gefährlich ist und Fragen unerwünscht sind.]
Die Frauen und Männer umkreisen Wassili Kosupiza, wollen Antworten von
ihrem Bürgermeister. Er war es, der sie noch am vergangenen Mittwoch zur
Ruhe bringen wollte. Der Damm werde schon halten, es gebe keine Gefahr,
hatte dieser gesagt. Keine zwei Tage später stand die Altstadt von Orsk
komplett unter Wasser. Kosupiza kommt bei diesem spontanen Protest kaum zu
Wort. Antworten kann er nicht liefern. „Verschwinde“, schreien die
Menschen. „Tritt ab!“, „Schande!“.
Orsk ist eine politisch verschlafene Stadt. Wenn hier Menschen auf die
Straße gehen, dann sind es keine Forderungen nach mehr Freiheiten und
Menschenrechten, es geht ihnen schlicht ums Überleben. Es geht um Wasser
und Brot, um Gas und um Strom. Es geht um ein Dach über dem Kopf – und doch
auch um etwas Politisches: Die Verantwortung dafür, dass hier trotz
Bedenken, auch aus dem benachbarten Kasachstan, offensichtlich vieles
schiefgelaufen ist. Deshalb fordern sie den Rücktritt ihres Bürgermeisters.
## Anmaßende, verächtliche Floskeln aus den Behörden
Die Mächtigen aber sind in der Kommunikation mit den Menschen kaum geübt.
Wie losgelöst sie von den Problemen des aufgebrachten Volkes sind, zeigt
sich auch in Orsk, als Denis Pasler, der Gouverneur des Gebietes Orenburg,
zu einigen Demonstrant*innen spricht. „Das sind halt die Bedingungen,
unter denen wir leben. Es gab den Herbst, den Winter, den Regen und jede
Menge anderer Faktoren“, sagt er in der Orsker Stadtverwaltung. Eine
„unkontrollierbare Horde“ aber wolle „einen einzigen Verantwortlichen
finden“, meint er. Diesen „einzigen“ werde es nicht geben. „Wir sind al…
schuld. Jetzt sollten wir uns als echte Patrioten vereinen, das überstehen
und als stärker Gewordene da rausgehen.“
Es sind anmaßende, ja verächtliche Floskeln, die weder Verständnis noch
Mitgefühl für das Leid der Menschen ausdrücken. Pasler schaut starr ins
Gesicht der Notleidenden und sagt herablassend: „Glaubt ihr, ihr seid die
Einzigen, die darunter leiden? Ich habe meinen ersten Urlaub seit fünf
Jahren nicht angetreten, bin hier bei euch, hatte keine Zeit, mich zu
waschen, mich umzuziehen. Der ganzen Region geht es nicht gut.“ Entwertung
und Bagatellisierung der Sorgen von anderen sind alltäglich in Russland.
[3][Eine Schuld will niemand eingestehen.] Aber einen Schuldigen finden
will jeder. Pasler verspricht, dass „alles wiederhergestellt“ werde, sagt,
Kompensationen würden ausgezahlt. Was seine Sätze allerdings für jeden
einzelnen bedeuten, wird keinem klar. „Wo liegen denn diese Listen aus, von
denen sie alle sprechen? Wo kann ich mich eintragen, damit ich wenigstens
die 50.000 Rubel (umgerechnet 500 Euro) für mein verlorenes Vermögen
bekomme? Ich werde von einer Notunterkunft zur nächsten geschickt“,
schreibt eine Frau namens Julia in einem Orsker Chat.
Die Wasserpegel steigen derweil weiter. Nun nicht mehr in Orsk, sondern
weiter westlich. Das Wasser zieht in die Gebietshauptstadt Orenburg, deren
Bürgermeister seinen Einwohner*innen immerhin deutlich sagt: „Es wird
so schlimm wie nie.“
9 Apr 2024
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## AUTOREN
Inna Hartwich
## TAGS
Russland
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