| # taz.de -- Flutkatastrophe in der Uralregion: Letzte Hoffnung Putin | |
| > Die Zerstörungen im Hochwassergebiet am Ural und in Südsibirien halten | |
| > an. Auch Nordkasachstan ist betroffen, scheint aber besser gewappnet zu | |
| > sein. | |
| Bild: Überschwemmung im russischen Orenburg am 14. April | |
| Moskau taz | Das Wasser in der Borissogleb-Straße in der Altstadt von Orsk | |
| ist nach Tagen zurückgegangen. Geblieben sind Baumstämme, Äste, | |
| herumliegende Autoreifen, schiefe Zäune, umgeworfene Kühlschränke. Matsch | |
| ist überall. Draußen in der Auffahrt, im Garten, im Schlafzimmer. Und viel | |
| Leid. Manchen Orsker*innen hatte [1][das Hochwasser des Ural] alles | |
| genommen. | |
| Tagelang hatte sich das Wasser weit über seinen normalen Pegel in mehreren | |
| Stadtteilen dieser 200.000-Einwohner*innen-Industriestadt an der Grenze zu | |
| Kasachstan gestaut, manche Straßen sind weiterhin eine hellbraune | |
| Wassermasse. | |
| Der Damm, der die Stadt in der Steppe hätte schützen sollen, hatte [2][dem | |
| Druck des Tauwassers und der abgelassenen Wassermassen] eines nahegelegenen | |
| Staudammes nicht standgehalten und war an mehreren Stellen gebrochen. Eine | |
| vorhersehbare Katastrophe, die die Behörden dennoch überrascht hatte, auch | |
| weil sie die Bedenken der Anwohner*innen übergangen hatten. Bis heute | |
| stehen nach Behördenangaben im gesamten Gebiet Orenburg mehr als 15.000 | |
| Häuser in den Fluten. | |
| Den politischen Schaden versucht die Gebietsverwaltung seitdem nur ungelenk | |
| zu begrenzen. Der Orenburger Gouverneur Denis Pasler verspricht | |
| Kompensationen und lässt kaum eine Gelegenheit aus, um den | |
| Stadtbewohner*innen mitzuteilen, dass es auch anderen Menschen auf der | |
| Welt nicht gut gehe. | |
| ## Viele Stadtteile stehen noch unter Wasser | |
| Manche Beamt*innen machen die Orsker*innen gar selbst für das Unglück | |
| verantwortlich. Diese stehen unterdessen für ein paar Flaschen sauberen | |
| Trinkwassers an und hoffen darauf, dass in ihren Häusern endlich wieder das | |
| Gas und der Strom eingeschaltet würden. „Es ist kalt, nass und | |
| hoffnungslos. Wer weiß, wann die Hilfe bei uns ankommt“, sagt eine | |
| Bewohnerin am Telefon. | |
| Während in Orsk die ersten Gutachter*innen ausgerückt sind, um den | |
| Schaden dort zu ermessen, wo das Wasser bereits zurückgegangen ist, stehen | |
| viele Stadtteile in der Regionalhauptstadt Orenburg mit einer halben | |
| Million Einwohner*innen noch unter Wasser. | |
| Bei manchen Häusern sind nur die Dächer zu sehen, auch wenn der | |
| Scheitelpunkt laut Behörden überschritten ist. Der Ural hatte in Orenburg, | |
| etwa 300 Kilometer westlich von Orsk und 1.500 Kilometer östlich von Moskau | |
| entfernt, einen Höchststand von 11,87 Meter erreicht. Das sind fast | |
| zweieinhalb Meter über der als kritisch definierten Marke. Am Montagmittag | |
| lag der Pegel noch bei 11,6 Metern. „Endlich geht es ein wenig zurück“, | |
| schreiben Orenburger*innen in ihren Chats. | |
| ## Hochwasser auch in Kasachstan | |
| In Südsibirien spitzt sich die Lage dagegen zu: Knapp 1.000 Kilometer | |
| nordöstlich von Orenburg überschwemmt der Fluss Tobol die | |
| Regionalhauptstadt Kurgan mit knapp 330.000 Einwohner*innen und die | |
| angrenzenden Ortschaften. Zwei Brücken hatte die Flut bereits zerstört. | |
| „Nehmen Sie ihre Familien, Dokumente, Wertsachen und gehen Sie möglichst | |
| früh!“, schrieb der Gebietsgouverneur Wadim Schumkow in seinem | |
| Telegram-Kanal. | |
| Auch Kasachstan leidet unter Hochwasser, scheint aber besser auf die | |
| Naturkatastrophe vorbereitet zu sein. Mehr als 100.000 Menschen hatten die | |
| Behörden bereits im Vorfeld evakuiert. Die Stadtverwaltungen verstärken die | |
| Dämme. Der kasachische Präsident Kassym-Schomart Tokajew sagte das für Juni | |
| geplante internationale Forum in der kasachischen Hauptstadt Astana ab, bei | |
| dem Vertreter*innen aus Politik und Wirtschaft aus unterschiedlichen | |
| Ländern über aktuelle Themen diskutieren wollten. | |
| Bilder, wie Arbeiter Sandsäcke anschleppen und die Flussufer des Ural, der | |
| auch in Kasachstan fließt, verstärken, erreichen auch die Menschen in Orsk. | |
| Sie sind voller Bewunderung für die Behörden Kasachstans. „Da werden die | |
| Probleme wenigstens ernst genommen, uns hat man dem Schicksal überlassen | |
| und windet sich aus der Verantwortung“, schreibt einer namens Alexei in | |
| einem Orsker Chat. Gebietsgouverneur Denis Pasler hatte noch in der | |
| vergangenen Woche erklärt, „alle“ seien „schuld“ am Dammbruch. Man sol… | |
| die Katastrophe dazu nutzen, um enger zusammenzurücken und gestärkt aus der | |
| Situation herauszugehen. | |
| ## Eine Flutkatastrophe ist nicht karriereförderlich | |
| Dass untere Behörden in Russland gar nicht eigenverantwortlich handeln, | |
| liegt auch [3][am System, das Präsident Wladimir Putin jahrelang errichtet | |
| hatte.] Die Macht ist so sehr auf ihn als einzigen konzentriert, dass sich | |
| regionale Vertreter*innen gar nicht trauen, auf irgendeine Art | |
| eigenmächtig zu handeln. Sie haben gar kein Interesse, sich in | |
| komplizierten Fragen zu verheddern. | |
| Und sie setzen sich lediglich dort ein, wo sie den größten Nutzen für ihre | |
| Karriere vermuten. Eine Flutkatastrophe ist kaum karriereförderlich. | |
| Deshalb hat es auch eine gewisse Logik, wenn sich Menschen in Orsk, | |
| Orenburg oder Kurgan auf den Straßen versammeln und Videobotschaften für | |
| Putin aufnehmen. „Wladimir Wladimirowitsch, helfen Sie uns“, rufen sie in | |
| die Kameras. Doch Wladimir Wladimirowitsch hält es nicht einmal für nötig, | |
| die Opfer im Katastrophengebiet zu besuchen. | |
| 15 Apr 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Inna Hartwich | |
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