# taz.de -- Fifa-Chef Gianni Infantino: Alles außer Kontrolle | |
> Fifa-Präsident Gianni Infantino geht für seinen Job mit Verve aufs Ganze. | |
> Im März könnte er zum Verkäufer seiner eigenen Organisation gekürt | |
> werden. | |
Bild: Fifa-Präsident Gianni Infantino hat lohnende Ideen | |
BERLIN taz | Zwanzig Fußbälle hatte Gianni Infantino zu diesem besonderen | |
Ehrentag ins Veranstaltungszentrum Costa Salguero von Buenos Aires | |
mitgebracht. So hätte es der Präsident des Weltfußballverbands vermutlich | |
auch gehandhabt, wenn er in Ruanda bei 20 Waisenkindern eingeladen gewesen | |
wäre. In diesem Fall aber waren die Bälle für die 20 wichtigsten | |
Regierungschef dieser Welt bestimmt, die am 1. Dezember zum G20-Gipfel | |
zusammengekommen waren, um sich über die aus ihrer Perspektive drängendsten | |
Probleme dieser Erde auszutauschen. | |
Bei der Gelegenheit kam in dem erlesenen Kreis erstmals der mächtigste Mann | |
des Fußballs zu Wort. Argentiniens Präsident Mauricio Macri, einst | |
Vereinsboss des Erstligisten Boca Juniors, hatte die Idee bei einem netten | |
Plausch mit Infantino, wie dieser später verriet, beim Weltwirtschaftsforum | |
in Davos, einem anderen Elitenzirkel, ausgeheckt. | |
Die geschenkten Bälle sollten vermutlich das Einfache und das Unbedarfte | |
symbolisieren („Wir wollen nur spielen“), mit seinen Worten unterstrich | |
Infantino indes sein großes Sendungsbedürfnis. Die Wirtschaftsleistung des | |
Fußballs, erklärte er den Staatschefs, entspreche der Wirtschaftskraft | |
eines mittelgroßen Staates, und er verwies auf das noch brachliegende | |
Potenzial des Fußballs jenseits Europas. „Vielleicht“, sagte er, „können | |
wir eines Tages auch der G20 beitreten.“ | |
Selbst wenn man das als Witz versteht, bleibt der Nachgeschmack von | |
Größenwahn. An der Vorstellung seines Vorgängers Sepp Blatter gemessen, | |
irgendwann einmal im Weltall Wettbewerbe austragen zu können, allerdings | |
eine bodenständige Vision. | |
## Gegenwind auch in den eigenen Reihen | |
Für den Moment war Gianni Infantino aber schon mit seiner Einladung nach | |
Buenos Aires sehr glücklich. Er versicherte: „Wir fühlen uns geehrt, für | |
sie ein glaubwürdiger und verlässlicher Partner zu sein.“ Diese Art von | |
Krönung hätte für Infantino vermutlich zu keinem besseren Zeitpunkt kommen | |
können. Denn in diesem Jahr hat es der Fifa-Chef mit seinen | |
Eigenmächtigkeiten so weit auf die Spitze getrieben, dass immer mehr | |
Menschen den von ihm einst ausgerufenen Reformkurs der Fifa nur noch für | |
tollkühne Propaganda halten. Der Gegenwind ist auch in den eigenen Reihen, | |
insbesondere in Europa, stärker geworden. | |
Im Juni, als er auf dem Fifa-Kongress in Moskau kurz vor Beginn der WM | |
wieder einmal in einer polyglotten Rede auf Italienisch, Französisch, | |
Englisch, Deutsch und Spanisch von der „neuen Fifa“ schwärmte, von ihrer | |
Integrität, Transparenz und ethischen Aufrichtigkeit, sprach ihn hernach | |
ein Journalist auf ein Verfahren der Ethikkommission gegen die | |
Generalsekretärin Fatma Samoura an. | |
Infantino lächelte und erwiderte mit einem Verweis auf seinen Kahlkopf: | |
„Sie müssen immer das Haar in der Suppe finden.“ Mehr sagte er dazu nicht. | |
Selten lässt er sich auf Kritik ein, viel lieber macht er sich Gedanken | |
über die Motive von Kritik. Zu Beginn seiner Amtszeit sorgte die | |
Anschaffung einer Matratze für 10.500 Euro auf Fifa-Kosten für viel | |
Aufregung. Der Schweizer Boulevardzeitung Blick erklärte er kürzlich: „Bei | |
solchen Anschuldigungen habe ich manchmal das Gefühl, dass es einigen | |
Leuten halt auch nicht passt, dass ich als Sohn italienischer Gastarbeiter | |
Fifa-Präsident geworden bin. Oder dass es nicht alle gerne sehen, dass | |
meine Generalsekretärin eine Frau, schwarz und Muslimin ist.“ | |
## Anerkennung von höchster Stelle | |
Eine Erklärung, die erahnen lässt, wie viel Stolz der Sohn einer | |
Kioskbesitzerin und eines Zeitungsausträgers empfunden haben muss, als er | |
beim G20-Gipfel sprechen durfte. Und gern interpretierte der 48-Jährige | |
seinen erstmaligen Auftritt bei den wichtigsten Staatschefs auch als | |
Anerkennung seiner Reformanstrengungen von höchster Stelle. | |
Wie immer man das bewerten mag, eines steht fest: Gianni Infantino setzt | |
neue Maßstäbe in der Kunst der Fifa-Präsidenten, sich jeglicher Kontrolle | |
zu entziehen. Das ist umso erstaunlicher, als das am Tag seiner Wahl zum | |
Präsidenten verabschiedete Reformpaket ihn stärker beschränkte als seine | |
Vorgänger. Laut den neuen Fifa-Statuten soll der Präsident vornehmlich | |
repräsentative Aufgaben ausüben, die entscheidungsmächtigere Position nimmt | |
auf dem Papier die von Infantino bestellte Generalsekretärin Fatma Samoura | |
ein, weil ihr die operativen Aufgaben übertragen werden. | |
Diese Art von Gewaltenteilung untergräbt Infantino aber geschickt, weil er | |
maßgeblich auf die Personalauswahl Einfluss nehmen kann, wie er das etwa | |
bei der Absetzung der gegen ihn ermittelnden Führung der Ethikkommission im | |
Jahr 2017 machte. Cornel Borbely und Hans-Joachim Eckert mussten gehen. | |
Anfang dieses Jahres forderte der Europarat die Schaffung eines externen | |
Kontrollorgans für Verbände wie Uefa und Fifa. Vorausgegangen war ein | |
Fifa-kritischer Bericht der luxemburgischen Abgeordneten Anne Brasseur, der | |
unter anderem die eigenmächtige Besetzung von Schlüsselpositionen in der | |
Fifa durch Infantino bemängelte. | |
Diejenigen, die Geschäfte machen wollen, lassen sich von der angeblichen | |
Gewaltenteilung in der Fifa und vom Europarat schon gar nicht schrecken. | |
Sie wissen, dass alle Macht von Infantino ausgeht. Deshalb haben sich | |
einige diskret an den Mann aus Brig im Wallis gewandt. Sie wollten anonym | |
bleiben, hatten jede Menge Geld, aber angeblich fast keine Zeit. 60 Tage, | |
um genau zu sein. Mitte März hatte Infantino die geheime | |
25-Milliarden-Dollar-Offerte dem Fifa-Council präsentiert. Es gehe um | |
den Verkauf von zwei noch zu schaffenden Turnierformaten, einer erweiterten | |
Klub-WM und einer globalen Nations League, so hieß es damals. Die Geldgeber | |
kämen irgendwo aus Asien und dem Nahen Osten. | |
## Jede Menge Geld aus Saudi-Arabien | |
Das Angebot steht immer noch im Raum. Eine Taskforce der Fifa beschäftigt | |
sich damit. Nächsten März bei der Fifa-Council-Sitzung in Miami soll eine | |
Entscheidung fallen. Mittlerweile weiß man dank aus der Fifa geleakter | |
Papiere einiges mehr. Neben den beiden Turnieren geht es auch um den | |
Verkauf von Fifa-Rechten, von Digital- und Archivrechten bis hin zu Rechten | |
zur Vergabe von Weltmeisterschaften. Dies alles soll unter dem Dach einer | |
neu zu gründenden Firma geschehen, an der die Fifa 51 Prozent hält und als | |
deren Aufsichtsratschef Gianni Infantino eingestellt wird. Und bei den | |
beiden Großunternehmen, die in das Konsortium einsteigen wollen, fließt | |
jede Menge Geld aus Saudi-Arabien. | |
Noch wiegelt man bei der Fifa ab. Es sei nur eine Idee von vielen gewesen. | |
Der Ausverkauf der eigenen Organisation, er wäre der spektakulärste Versuch | |
der Geldvermehrung in der Fifa-Geschichte. Gianni Infantino geht im | |
wahrsten Sinne des Wortes aufs Ganze, um seine Macht abzusichern. Im | |
Februar 2016 setzte er sich im Kampf um den Fifa-Thron vor allem deshalb | |
überraschend gegen den favorisierten bahrainischen Kandidaten Scheich | |
Salman bin Ibrahim al-Chalifa durch, weil er den nationalen Verbänden im | |
Moment des größten moralischen Bankrotts des Weltverbands höhere Rendite | |
versprach, als es der gescheiterte Sepp Blatter eh und je getan hatte. Die | |
damals bereits avisierte WM-Erweiterung auf 48 Teilnehmer sollte das | |
ermöglichen. | |
Dass dieses Versprechen im Widerspruch zu der vor seiner Wahl | |
verabschiedeten Fifa-Reform und der damit verbundenen Entmachtung des | |
Präsidenten verbunden war, zeigte nur von Anfang an, welch großer Spieler | |
Infantino ist und wie gut er das reformresistente Fifa-System, in dem er | |
groß geworden ist, verstanden hat. | |
Im Juni 2019 soll nun seine Wiederwahl auf dem Fifa-Kongress in Paris auch | |
durch die Gewinnung neuer Geldquellen aus dem Nahen Osten abgesichert | |
werden. Und damit diese noch reichhaltiger sprudeln, unternimmt Infantino | |
derzeit alles, um Katar, dem Gastgeber der WM 2022, den verfeindeten | |
Nachbarstaat Saudi-Arabien, Bahrain oder die Vereinigten Arabischen Emirate | |
als Co-Gastgeber aufzuzwingen. Mit dem Mittel der um vier Jahre | |
vorgezogenen Erweiterung der WM auf 48 Teilnehmer soll das gelingen. Der | |
positive Nebeneffekt wäre, dass sich Infantino als politischer Brückenbauer | |
feiern lassen könnte. | |
Angesichts der verfahrenen Situation im Nahen Osten scheint dies jedoch | |
wenig realistisch. Jene, die bereits jetzt Gianni Infantinos Ende nahen | |
sehen, weil er zu riskant spielt, sollten den Schweizer nicht | |
unterschätzen. Über seine Wunschvorstellungen für die WM 2022 sagte er | |
kürzlich: „Wenn es klappt ist es großartig, wenn es nicht klappt, ist es | |
auch großartig.“ Infantino ist nahezu unschlagbar. | |
29 Dec 2018 | |
## AUTOREN | |
Johannes Kopp | |
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