# taz.de -- Festival Foto Wien 2019: Das Leben im Hinterland | |
> Alltag zwischen Hof und Wirtshaus, Nutztier und Natur: Das Festival Foto | |
> Wien hat eine Fülle sehenswerter Ausstellungen zu bieten | |
Bild: Detail aus: Anne Golaz, Mooty, aus der Serie Corbeau, 2004-17 | |
Eine schönere Zentrale als Otto Wagners ikonische Postsparkasse kann sich | |
ein Festival wie die Foto Wien gar nicht wünschen. Eine passendere auch | |
nicht. Denn Wagners Jugendstilikone – Anfang des 20. Jahrhunderts in | |
moderner Stahlbetonbauweise als Sparkasse für den „kleinen Mann“ errichtet | |
und trotzdem irgendwie die Grandezza des bürgerlichen 19. Jahrhunderts | |
ausstrahlend – ist nicht nur architektonisch ein Schwellenbau, ein Haus auf | |
halbem Weg zwischen Historismus und Moderne. | |
Seit der bisherige Eigentümer – die BAWAG P.S.K., die das Haus 2013 an die | |
Signa Holding verkauft hat – nun endgültig ausgezogen ist, steckt das | |
momentan leergeräumte Gebäude ebenso nutzungstechnisch im Dazwischen. Und | |
auch die Foto Wien, die dieses Gebäude nun in bester Zwischennutzungsmanier | |
für gerade einmal 18 Tage als Festivalzentrale bespielt, befindet sich | |
gerade im Transitorischen, im Neuanfang. | |
Denn es gibt das Festival schon seit 15 Jahren, nur hieß es bis zur letzten | |
Auflage anders, „Eyes On“. Gegründet 2004 als Wiener Variante des auf eine | |
französische Initiative zurückgehenden Europäischen Monats der Fotografie, | |
der auch in Paris, Athen, Berlin, Ljubljana oder Budapest abgehalten wird, | |
wurde das Festival im Zuge einer Umstrukturierung im vergangenen Jahr aus | |
der Kulturabteilung der Stadt Wien, die es bislang direkt ausgerichtet hat, | |
ausgelagert. | |
## Die Postsparkasse als räumlicher Anker des Festivals | |
Nun wird es vom Kunst Haus Wien veranstaltet, dessen Direktorin Bettina | |
Leidl sich ohnehin konsequent auf Fotografie spezialisiert hat. Neben dem | |
sehr viel prosaischeren Namen ist die wohl größte Neuerung eben die | |
Einrichtung einer Festivalzentrale, die es so bislang nicht gab. Leidl | |
möchte dem neuen, alten Festival damit einen räumlichen Anker geben – und | |
die Foto Wien entsprechend auch inhaltlich stärker verzurren und deutlicher | |
kuratieren. | |
Das ist unbedingt zu begrüßen. Denn angesichts eines Programms mit mehr als | |
130 Kooperationspartnern – von den großen Institutionen der Stadt über | |
Privatsammlungen und Galerien bis hin zu Off-Spaces und kleinen Showrooms – | |
hat ein in der Tendenz dezentrales und eher als Dachmarke funktionierendes | |
Festival wie dieses in der Umsetzung naturgemäß einen Hang zur | |
Unübersichtlichkeit. | |
Ein wenig schade ist aber schon, dass dann auch die doch eigens zum Zwecke | |
der Bündelung und Fokussierung eingerichtete Festivalzentrale den | |
strukturell wirkenden Fliehkräften einer solchen Veranstaltung nicht so | |
richtig etwas entgegenzusetzen vermag. Denn statt dort eine durchgehend | |
kuratierte Schau zu installieren, werden mehr als ein Dutzend separate | |
Ausstellungen präsentiert – von der sorgfältig zusammengestellten | |
Mini-Intervention des Kurators Walter Seidl zum Thema „Urbanität“ über | |
Einzelpositionen bis hin zur Studentenschau und einer | |
Bürgerbeteiligungsausstellung zum Wiener Gemeindebau. | |
## Sehenswerte Ausstellungen und Arbeiten | |
Trotzdem: Sowohl in der Festivalzentrale als auch bei den | |
Kooperationspartnern finden sich tolle und wirklich sehenswerte | |
Ausstellungen und Arbeiten. Beispielsweise „Der illegale Film“ von Martin | |
Baer und Claus Wischmann, eine äußert kurzweilige und größtenteils aus | |
Found-Footage bestehende 80-minütige filmische Annäherung ans komplexe | |
Thema Bildrecht unter den Vorzeichen des Digitalen; oder die kleine, aber | |
feine Ausstellung, die Fiona Liewehr in der Galerie rauminhalt | |
zusammengestellt hat und in der Arbeiten der holländischen | |
Fotografenlegende Ed van der Elsken auf 80er-Jahre-Berlin-Bilder von Esther | |
Friedman und aktuelle Aufnahmen des österreichischen Fotografen Markus | |
Mittringer treffen. | |
Ins Auge sticht in der Festivalzentrale aber vor allem Mathieu Asselins | |
beeindruckende Arbeit zum Agrarchemie- und Saatgutriesen Monsanto. Asselins | |
hier in Form einer multimedialen Gesamtinstallation mit Fotos, Filmen, | |
Aktienkursen, Akten und sogar einer eigenen Zeitung präsentierte Recherche | |
breitet minutiös die verschiedenen Aspekte der räuberischen Politik des | |
inzwischen vom Bayer-Konzern übernommenen Unternehmens aus. | |
Von den Schadenersatzprozessen wegen krebserregenden Mitteln wie Glyphosat | |
angefangen bis hin zu den Knebelverträgen, die Bauern abschließen müssen, | |
wenn sie genetisch verändertes Saatgut kaufen. Dass Asselins Projekt nicht | |
neu ist und bereits mehrfach gezeigt wurde, tut seiner Aktualität keinerlei | |
Abbruch. | |
## Landwirtschaft als großes Thema | |
Überhaupt: Landwirtschaft. Wenn auf der Foto Wien ein Thema wiederholt | |
aufgegriffen wird, dann die fotografische Auseinandersetzung mit dem „Land“ | |
als Gegenpol zur „Stadt“ als klassischem Sujet der Fotografie. Zum Beispiel | |
in der von Verena Kaspar-Eisert im Kunst Haus kuratierten großangelegten | |
Ausstellung „Über Leben am Land“, die das Dokumentarische wie auch eine | |
gewisse Fokussierung auf die Härten des Landlebens bereits im | |
doppeldeutigen Titel vor sich herträgt. | |
Das Land wird in dieser großen Ausstellung mit insgesamt 20 Künstler*innen | |
ganz bewusst als Provinz ins Auge genommen – als strukturschwaches | |
„Hinterland“, wenn man so will, das mit den verkitschenden Klischees einer | |
städtischen Perspektive wenig zu tun hat: Bilder von Misthäufen und | |
hochgezüchteten Bullen, von tristen Bushaltestellen, Futtersilos und leeren | |
Straßen. | |
Ähnlich findet sich das auch in der Albertina wieder, in der Retrospektive | |
des Grazer Fotografen Manfred Willmann, dessen fantastischer und lapidar | |
betitelter Zyklus „Das Land“ hier in aller Breite zu sehen ist. | |
Fotografiert in den Jahren 1981 bis 1993 in der Südsteiermark, porträtieren | |
auch Willmanns ebenso dokumentarische wie subjektiv eingefärbte Bilder den | |
Alltag auf dem Land zwischen Hof und Wirtshaus, Nutztier und Natur | |
schonungslos und zugleich einfühlsam. | |
Oft entschied Willmann sich dabei für die Nahaufnahme und bildet | |
dekontextualisierte Details ab, leuchtet diese aber mit hartem Blitzlicht | |
ganz buchstäblich erschöpfend und mit großer Tiefenschärfe aus. Spätestens | |
angesichts dieser längst kanonischen, über ein Vierteljahrhundert alten und | |
dennoch immer noch frisch und erstaunlich aktuell, beinahe zeitlos | |
wirkenden Farbaufnahmen stellt sich aber die Frage, wie idealisierend auch | |
der Blick auf die Härten des Landlebens am Ende ist. Denn poetisch | |
überhöhend arbeitet nicht nur der Weichzeichner; poetische Überhöhung | |
findet sich auch in der Betonung von harten Konturen und scharfen Kanten. | |
9 Apr 2019 | |
## AUTOREN | |
Dominikus Müller | |
## TAGS | |
zeitgenössische Fotografie | |
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