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# taz.de -- Feministische Pornos: Por? Yes!
> Alice Schwarzer wollte Pornos noch verbieten, heute machen ihre
> Nachfolgerinnen solche Sexfilme selbst. Dabei scheitern sie oft an ihrer
> eigenen Schwanzfixierung.
Bild: Neue Ästhetik: Film von Angie Dowling aka Rusty Cave.
Einzelne Szenen in diesem Text sind für LeserInnen unter 18 Jahren nicht
geeignet.
Ein Klick, und die Welt von Doppel-Anal, Deep-Throat-Orgien und Cumshots
steht offen. Millionen Clips und viele kostenlos. Gib mir mehr, betteln die
Frauen vor, während und nach ihrer Zurichtung. Und die Hardcore-Branche ist
durchaus gewillt. Tiefer in den Rachen, härter in die Möse, dicker in den
Arsch. "Irgendwann fährt den Frauen ein Zug durch den Anus." So in etwa
prophezeit es eine ehemalige Darstellerin im Dokumentarfilm "9to5. Days in
Porn".
Als sich Teile der Emanzipationsbewegung, angeführt von ihrer Grand Dame
Alice Schwarzer, in den Achtzigern der PorNo-Kampagne verschrieben, mögen
sie solche Entwicklungen im Blick gehabt haben. "Pornografie ist die
verharmlosende oder verherrlichende, deutlich erniedrigende sexuelle
Darstellung von Frauen oder Mädchen in Bildern und/oder Worten", definierte
Schwarzer in ihrem Gesetzentwurf für ein Pornoverbot. Der Erfolg
beschränkte sich auf Moralisierung. Ein Verbot kam nicht, und die
Hardcore-Branche wuchs in jeder Hinsicht.
Während man in Deutschland noch in geschlossenen Gruppen die eigene Vagina
betrachtete, war sie in den USA schon Gegenstand von queeren Live-Acts. Das
war die andere Seite des sogenannten Feminist Sex War: nicht verbieten,
sondern selbst machen. Frauen produzierten ihre ersten Pornos. Erst langsam
schwappte dieser Aktivismus nach Europa und noch viel langsamer nach
Deutschland. Er ging einher mit einem Verwischen der Grenzen zwischen Kunst
und Pornografie.
Es gibt eine Öffnung hungriger als der Mund. Niemals satt. Dort wirst du
enden. Früher oder später. Pfirsich, Schwammpilz, Pflaume, Apfel. Feuchte
Muschi. Feuchte Früchte. Feuchte Spucke. Feuchtes Loch. Niemals satt. Cut.
Ende der Neunziger sprengte die französische Regisseurin Catherine Breillat
die Grenzen mit "Romance XXX". Damit war sie eine der Ersten in Europa, die
explizit sexuelle Darstellung raus aus dem Schmuddelkino und auf die
Leinwand der Art-House-Lichtspielstätten brachte. Virginie Despentes zog
ein Jahr später mit "Baise Moi – Fick mich!" nach und verhandelte
Sexualität und Gewalt aus Sicht der Frau. Zu "9 Songs" ließ Michael
Winterbottom 2004 ein Liebespaar ficken – und hielt die Kamera drauf.
Einer der Höhepunkte in diesem neuen, schwer definierbarem Genre ist
"Shortbus" aus dem Jahr 2006. John Cameron Mitchell zeigt intelligent Sex
als Befreiungsakt. Anders als der klassische Porno betten diese Filme
pornografische Szenen in ihre Erzählung ein: Dort, wo es Sex gibt, sieht
man eben richtigen Sex. Die Streifen laufen im Kino und dann im
öffentlich-rechtlichem Fernsehen nach 23.30 Uhr.
Die Pornobranche wird von dieser Nische nicht berührt. Das Image des
Erwachsenenfilms bleibt klebrig. Mit Einsamkeit behaftet. Unvereinbar mit
einer links-intellektuellen Lebenseinstellung.
"Wartet, ich bin noch nicht locker. Es ist gar nicht so leicht
abzuschalten. Können wir nicht erst mal einen Kaffee trinken. Ich komme mir
so … Ihr bestellt mich einfach her, damit ich meinen Schwanz zeige." Erst
mal ein Kaffee. "Ist es jetzt besser?" - "Ja, alles wieder okay." Sex.
"Freut ihr euch, dass ich da bin?" - "Ja, sehr." - "Wartet, jetzt geht's
erst richtig los. Stöhn mal ein bisschen." Er kommt. "Ihr wolltet doch,
dass ich ganz ich selbst bin, oder?" - "Hmmm." - "Ihr habt ein paar gute
Szenen, oder? Von hinten war gut." Cut.
Mit immer krasseren Szenen hält die Hardcore-Branche das ewig gleiche
Publikum bei der Stange. So, als gebe es nur Privatfernsehen, und das muss
immer schriller, lauter, tabuloser werden, um die Langeweile der Gewöhnung
zu durchbrechen. Insofern ist das Internet eine wunderbare Offenbarung in
Sachen Zielgruppengewinnung.
Niemand muss mehr Separées betreten, in denen jeder Gegenstand von Sperma
zu kleben scheint. Das Web fühlt sich cleaner an, und die Gruppe
derjenigen, die zugunsten der Neugier, der Faszination am Tabu, der eigenen
Stimulation die Schamschwelle überwinden, wächst zwangsläufig. Hier kommt
er, der Moment des feministischen, des künstlerischen, des ethisch
korrekten Pornos.
Die Frage, ob es inzwischen auch ein 3sat der Pornobranche gibt,
beantwortet Laura Méritt mit PorYes: "Wir wollen das Feld nicht der
herkömmlichen Industrie überlassen." Méritt holte vor zwei Jahren mit der
Erstverleihung ihres feministischen Porn-Awards einen Hauch verspäteten
Sex-War nach Deutschland. Die Gegner_innen sind noch da und die Mechanismen
der Ablehnung auch.
Aber die Neugierigen haben Lust bekommen: auf den Porno, der die Vielfalt
von Sexualität, von Lustsubjekten, von Befriedigung zeigt. Der sich zur
Nachahmung empfiehlt, ohne dass frau zuvor den Anus weiten oder Würgreflex
abtrainieren muss. Bei dem mann auch mal ohne 90-Grad-Ständer ins Bild
kommen und ohne mechanisch ins Gesicht gewichste Ejakulation wieder gehen
darf.
An diesem Wochenende verleiht Laura Méritt zum zweiten Mal ihren
feministischen Porn-Award. Bis auf das Urgestein Birgit Hein ist keine
Deutsche unter den Nominierten. Die Französin Emilie Jouvet etwa begleitet
in ihrer Reportage "Too much Pussy – Feminist Sluts In The Queer X Show"
sieben Künstlerinnen, Musikerinnen und Pornostars. Sie sind alle lesbisch
oder bisexuell und haben Sex vor Zuschauern. Das alles im Namen des
Feminismus.
Angie Dowling aka Rusty Cave geht einen anderen Weg und bedient sich in
"Madam and Eve" der Mainstreamporno-Ästhetik. In nahezu jeder Szene stecken
sich Frauen in Latex-Krankenschwestern-Outfits und billigen
Plastik-Highheels Dildos in die rasierten Muschis. Das mag im Sinne von
Beatriz Preciados "Kontrasexuellem Manifest" sein: "Der Dildo ist nicht der
Phallus, und er repräsentiert nicht den Phallus, weil der Phallus nicht
existiert." Leider erfüllt Rusty Cave bei ihrer Umsetzung auch die
primitivsten heterosexuellen Männerfantasien.
Gentlemens Club. Gelangweilte Typen. Die zwei Frauen auf dem Billardtisch
legen los. Die eine leckt der anderen die Pussy. Stöhnen. Einer der Typen
holt sich einen runter. Bierbauch, Brille, Fischmund. Der Mann ist nur ein
Männchen und die Girls sind plötzlich riesengroß. Die Riesenmuschi
verschluckt das Männchen und holt sich an ihm einen runter. Dildoman. Cut.
Dass feministischer Porno nicht nur lesbisch sein muss, zeigt die Schwedin
Mia Engberg in ihrer vom Staat mitfinanzierten Kurzfilmsammlung "Dirty
Diaries". Zum Beispiel "Skin": Zwei Körper sind komplett in Strumpfanzüge
gehüllt. Sie streicheln sich zart, erkunden und küssen sich. Nach und nach
kommt es zur Entblößung. Sie nimmt seinen Schwanz in den Mund, er leckt
sie. Der Mann steckt sanft seinen Penis in die Vagina und ejakuliert am
Ende nicht.
Das ist ein klares Zeichen. Die sichtbare Lust der Frau steht an erster
Stelle, so steht es auch in Laura Méritts Kategorien für den feministischen
Porno. Aber gehört der männliche Höhepunkt nicht zur weiblichen Lust dazu?
Müssen wir uns noch immer vom Phallus befreien?
Die schwulen Regisseure scheinen längst einen Schritt weiter zu sein. Sie
lassen das Politische, Erzieherische, Emanzipatorische aus ihren Filmen
heraus. "Die schwule Pornoemanzipation läuft schon seit den Siebzigern. Man
hat alles gesehen, und es ist alles da gewesen", sagt Claus Matthes,
Kurator des Ende Oktober stattfindenden Pornfilmfestivals Berlin.
Die aktuelle Tendenz im schwulen Porno ist, Sex so zu zeigen, wie er ist:
die Unsicherheit vor dem Ficken, der Akt an sich – von hart bis 08/15. Eine
klare Besinnung zur Natürlichkeit, wie sie bei Travis Mathews' "I Want Your
Love" zu sehen ist. Der Regisseur aus San Francisco zeigt Intimität und
Unbeholfenheit zugleich. Es ist ein authentischer und erregender Kurzfilm
und damit Stimme einer neuen queeren Kinobewegung.
Krempeln die Feminist_innen und Ästhet_innen endlich in Deutschland den
Pornomarkt um? Auf dem letzten Plakat der weltweit größten Erotik-Fachmesse
Venus räkelte sich bis vor zwei Wochen noch eine mit Photoshop
glattpolierte Nymphe mit bittendem Blick. Dort stand das Vergnügen der
Männer an erster Stelle. Erstmals wurde der feministische Porno aber auch
auf der Mainstream-Messe diskutiert.
Nur eine Frage von Angebot und Nachfrage, und die analogen und digitalen
Videotheken räumen ihre Regale frei für die "guten Pornos".
14 Oct 2011
## AUTOREN
M. Heim
E. Ippolito
## TAGS
Porno
Feminismus
Pornofilm
Porno
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