# taz.de -- FPÖ-Wahlkampf nach Strache-Video: Jetzt erst recht! | |
> Bei der Abschlusskundgebung vor der EU-Wahl in Wien wird Strache in | |
> Schutz genommen. Ex-Innenminister Kickl bläst zum Generalangriff auf die | |
> ÖVP. | |
Bild: Ex-Innenminister Kickl lobt sich bei der Wahlveranstaltung selbst | |
Als die Medizinjournalistin Karin aus dem Wiener Bezirk Liesing das | |
[1][inzwischen berühmte Ibiza-Video] im Fernsehen sah, „sind mir die Tränen | |
runtergeronnen weil ich nicht glauben konnte, dass man so dumm sein kann | |
als Politiker“. Sie steht Freitagnachmittag mit einem rot-weiß-roten | |
Fähnchen auf dem Viktor-Adler-Markt in Wien-Favoriten und wartet auf den | |
Auftritt der neuen Partei-Führung. Eine Stunde nach dem offiziellen Beginn | |
der Abschlusskundegebung zum EU-Wahlkampf ist der Platz noch schütter | |
besetzt. Das Skandal-Video hat also augenscheinlich doch seine Auswirkungen | |
auf die FPÖ-Basis. | |
Frauen mit Kopftuch schieben ihre Kinderwägen vorbei. Eingeklemmt zwischen | |
Döner-Stuben, russischen Lebensmittelgeschäften, vietnamesischen | |
Imbissbuden, Balkan-Grills und Parks, die kinderreichen Zuwandererfamilien | |
als Wohnzimmer dienen, sehen sich viele Menschen im Arbeiterbezirk | |
Favoriten wie Fremde im eigenen Land. In diesem Biotop hat die FPÖ in den | |
vergangenen Jahrzehnten unter verunsicherten Proletariern, die früher SPÖ | |
gewählt haben, reiche Ernte gehalten. Kein Wunder, dass sie dieses Ambiente | |
für ihre wichtigen Auftritte wählt. | |
Gerhard, ein pensionierter Postbeamter und Taxifahrer, trägt sogar | |
unverdrossen seine Kappe mit dem Logo hc strache. Er versteht gar nicht, | |
was das Problem sein soll an dessen Plänen, die halbe Republik für | |
Parteispenden an eine russische Oligarchin zu verschachern: „Das sagt doch | |
jede Partei. Aber nur er wird publik gemacht, weil er kaputt gemacht werden | |
soll“. Der Mittfünfziger Peter, von Beruf Chauffeur, sieht das ähnlich: | |
„Pech gehabt. Er sagt doch nur, was alle machen“. Aber Strache habe | |
zumindest aus seinen Fehlern gelernt und sei zurückgetreten. | |
Karin würde ihm einen besseren PR-Berater empfehlen: „Es war blöd, dass die | |
zwei Idioten sich da hineinbegeben haben. Das wär mir nie eingefallen“. Für | |
solche Treffen solle man doch bitte eine Umgebung wählen, „wo man selber zu | |
Hause ist und sauft sich nicht mit Wodka nieder“. Richtig verwerflich sei | |
aber, dass Bundeskanzler Kurz gleich die ganze Regierung gesprengt habe: | |
„Er soll ja dem Soros nahestehen“, wittert sie eine Verschwörung, bei der | |
der Milliardär und angebliche Architekt einer Überflutung Europas mit | |
Flüchtlingen George Soros seine Finger im Spiel habe. | |
Rachegelüste gegen die ÖVP | |
Auf der Bühne tobt sich inzwischen die John Otti Band aus, die | |
Heinz-Christian Strache bei allen großen Auftritten mit volkstümlicher | |
Beschallung begleitet hat. „Viele haben geglaubt, dass wir heute nicht da | |
sein werden“, brüllt der Band-Leader vor einem Banner, das die neue Parole | |
ausgibt: „Jetzt erst recht!“. | |
Als Einpeitscherin tritt Petra Steger auf, die sich um ein Mandat für das | |
EU-Parlament bewirbt. Die smarte Juristin spinnt die Dolchstoßlegende, die | |
der durch das Ibiza-Video verunsicherten Parteibasis Mut machen soll. | |
Strache habe zwar „einen Fehler gemacht“. Aber er habe sich „jahrelang | |
aufgeopfert und für unser Land gekämpft, dafür gebührt ihm Dank“. | |
Unterbrochen vom Sprechchor „Strache, Strache“ lobt sie „unzählige | |
großartige Reformen“, die der FPÖ zu verdanken seien. Aber mit der | |
[2][Forderung nach dem Rücktritt von Innenminister Herbert Kickl] „hat die | |
ÖVP ihr eigentliches Gesicht gezeigt“. Sie habe „aus Machtgier den | |
erfolgreichsten Innenminister der Zweiten Republik“ abgeschossen. | |
Unter Sprechchören „Herbert, Herbert“, betritt dann auch der Angesprochene | |
die Tribüne und zählt, immer wieder von Applaus unterbrochen, seine | |
Leistungen auf, allen voran, „dass wir diesen Asylmissbrauch“ abgestellt | |
hätten und „eine Reiseroute, die es viel zu lange gegeben hat, auf den Kopf | |
stellen: wir haben dafür gesorgt, dass nicht mehr von Süden nach Norden, | |
sondern von Norden nach Süden gereist wird“. Das Ziel sei Null Flüchtlinge. | |
„Es war eine populäre Regierung, die jetzt ohne jede Not in die Luft gejagt | |
worden ist“. Gegen den verlorenen Koalitionspartner, mit dem man lange ein | |
harmonisches Miteinander gemimt hatte, empfindet er jetzt nur mehr | |
Rachegelüste. Und er bläst zum Generalangriff auf die „ÖVP-Alleinregierung, | |
ein schwarzes Machtkartell. Das ist das Ergebnis dieser Wahlbeeinflussung | |
aus dem Ausland“. Fans, deren Gesichter vom langen Warten in der Sonne | |
knallrot geworden sind, kommen jetzt richtig in Fahrt: „Kurz muss weg, Kurz | |
muss weg!“ | |
Der eigentliche Hauptredner, nämlich Harald Vilimsky, Spitzenkandidat für | |
das EU-Parlament, hält sich gnädig kurz. Er verspricht „die größte | |
Wählerrückholaktion in Österreich, die es je gegeben hat“. Denn diese | |
vergangene Woche „war für uns politisch ein Sturm, ein Gewitter, es war ein | |
Atomangriff“. Und erfragt sich in Anspielung auf das heimlich aufgenommene | |
Video, „für wie blöd erachten uns linke Netzwerke, vor allem wenn sie aus | |
Deutschland kommen, zehn Tage vor der Wahl das gegen uns in Stellung zu | |
bringen“. Bevor der designierte Parteichef Norbert Hofer noch einmal mit | |
„Jetzt erst recht!“ zur Stimmabgabe aufruft, spielt John Otti zum Anheizen | |
der patriotischen Stimmung den Radetzkymarsch. | |
25 May 2019 | |
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## AUTOREN | |
Ralf Leonhard | |
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