# taz.de -- FDP-Ministerpräsident in Thüringen: Kemmerich tritt sofort zurück | |
> Ministerpräsident Thomas Kemmerich gibt sein Amt nun schneller als | |
> erwartet wieder ab. Die Koalitionsspitzen in Berlin fordern eine Neuwahl | |
> in Thüringen. | |
Bild: Und tschüss! Kemmerich geht endlich | |
BERLIN/ERFURT dpa/epd | Der Rücktritt des Thüringer Ministerpräsidenten | |
Thomas Kemmerich (FDP) verschafft CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer und | |
der großen Koalition eine Verschnaufpause. Nun müsse nicht nur rasch ein | |
neuer Ministerpräsident im Thüringer Landtag gewählt werden. Die | |
Koalitionspartner seien im übrigen „davon überzeugt, dass unabhängig von | |
der Wahl eines neuen Ministerpräsidenten baldige Neuwahlen in Thüringen | |
erforderlich sind“, hieß es in einer am Samstag nach einem Sondertreffen | |
des Koalitionsausschusses in Berlin veröffentlichten Erklärung. | |
Kemmerich teilte nahezu zeitgleich mit: „Hiermit erkläre ich meinen | |
Rücktritt als Ministerpräsident des Freistaates Thüringen mit sofortiger | |
Wirkung.“ Sämtliche Bezüge aus dem Amt des Ministerpräsidenten und des | |
geschäftsführenden Ministerpräsidenten werde er an die Staatskasse | |
zurückgeben. Kemmerich war am Mittwoch [1][mit den Stimmen von CDU und AfD | |
zum Ministerpräsidenten in Thüringen] gewählt worden – dies rief heftige | |
Kritik hervor. Einen Tag später hatte er [2][seinen Rücktritt angekündigt] | |
– aber bislang nicht vollzogen. | |
Kemmerich bleibt nach der Verfassung auch nach seinem Rückzug noch im Amt | |
bis ein neuer Ministerpräsident gewählt ist – allerdings nur | |
geschäftsführend. Ihm ist aber jetzt die Möglichkeit genommen, eine | |
Vertrauensfrage im Landtag zu stellen. „Unbenommen ist dem Landtag aber die | |
Möglichkeit, ganz regulär einen neuen Ministerpräsidenten zu wählen“, sag… | |
der Jenaer Verfassungsrechtler Michael Brenner der Deutschen | |
Presse-Agentur. | |
Die Spitzen der großen Koalition hatten vor dem Rücktritt Kemmerichs | |
Kontakt mit FDP-Chef Christian Lindner. Das bestätigte der SPD-Vorsitzende | |
Norbert Walter-Borjans nach der Sitzung des Koalitionsausschusses. Die | |
Situation in Thüringen sei durch das Verhalten der FDP ganz wesentlich | |
beschleunigt worden, sagte Walter-Borjans mit Blick auf die Wahl | |
Kemmerichs. | |
Christian Lindner habe mittlerweile eingesehen, „dass das ein | |
schwerwiegender Fehler war“. Man habe gesagt, es müsse klar sein, „dass es | |
jetzt diesen Rücktritt geben wird. Das können wir bestätigen“, sagte er auf | |
die Frage, ob es Kontakt mit Lindner gegeben habe. Es sei „richtig, dass | |
die FDP ihrerseits diese Position auch so mitgetragen hat“. | |
## Linke: Ramelow steht bereit | |
Die Linke sieht nach der Rücktrittserklärung Kemmerichs den Weg für die | |
Wahl von Bodo Ramelow in das Amt frei. „Bodo Ramelow steht bereit, er hat | |
ein Kabinett, das er nach seiner Wahl berufen kann“, sagte der | |
Vizevorsitzende der Thüringer Linken, Steffen Dittes, am Samstag der | |
Deutschen Presse-Agentur in Erfurt. Thüringen müsse möglichst schnell eine | |
handlungsfähige Regierung bekommen. Er gehe davon aus, dass die | |
Ministerpräsidentenwahl von Ramelow noch im Februar im Landtag erfolgen | |
könne, so Dittes. Kemmerich hatte am Samstag seinen sofortigen Rücktritt | |
erklärt. | |
Erwartungen habe die Linke allerdings an die CDU und die FDP, die nach dem | |
politischen Beben der vergangenen Tage angekündigt habe, mit dafür zu | |
sorgen, dass es wieder stabile politische Verhältnisse in Thüringen gibt. | |
„Wir haben die Erwartungshaltung, dass Bodo Ramelow im ersten Wahlgang | |
gewählt wird. Das schafft man nicht mit Enthaltungen und einem dritten | |
Wahlgang“ sagte Dittes. Die Linke fordere CDU und FDP darum auf, Ramelows | |
Wahl zu unterstützen. Seiner rot-rot-grünen Koalition fehlen vier Stimmen | |
im Parlament. | |
Nach einem Krisentreffen mit der CDU-Vorsitzenden Annegret | |
Kramp-Karrenbauer hatten der Thüringer CDU-Parteivorstand und die | |
Landtagsfraktion eine aktive Unterstützung einer Ramelow-Wahl jedoch | |
ausgeschlossen. Sie erklärten: „Wir werden Initiativen, die darauf | |
abzielen, im gewählten Thüringer Landtag eine Regierung zu bilden, nicht | |
blockieren. Die CDU-Fraktion im Thüringer Landtag wird einen von der Linken | |
aufgestellten Ministerpräsidenten entsprechend ihrer Grundsätze nicht aktiv | |
ins Amt wählen.“ | |
Der Generalsekretär der Thüringer CDU hat sich nach dem Rücktritt | |
Kemmerichs zurückhaltend gezeigt. „Das nehmen wir zur Kenntnis“, sagte der | |
CDU-Politiker Raymond Walk am Samstag. „Das ist Sache der Bundes- und der | |
Thüringer FDP.“ | |
Für eine mögliche erneute Ministerpräsidentenwahl würde eine einstimmig | |
gefasste Beschlusslage der CDU weiter gelten, wonach sie keinen Kandidaten | |
stellt. Auch habe Landeschef Mike Mohring immer klar darauf hingewiesen, | |
dass er nicht als Kandidat zur Verfügung stehe, sagte Walk. | |
## Erklärung von CDU, CSU und FDP | |
Die SPD-Co-Vorsitzende Saskia Esken sagte in Berlin, die gemeinsame | |
Stellungnahme der Koalition vom Samstag sei „in großer Einigkeit“ mit CDU | |
und CSU zustande gekommen. Es sei wichtig, dass sich „drei Parteien des | |
demokratischen Spektrums auch nochmals darauf geeinigt haben, dass es unter | |
gar keinen Umständen eine Zusammenarbeit mit der AfD geben kann“. Die FDP | |
sei als weitere Partei des demokratischen Spektrums gut beraten, sich in | |
dieser Frage auch einer Klärung zuzuwenden. | |
„Regierungsbildung und politische Mehrheiten mit Stimmen der AfD schließen | |
wir aus. Das ist und bleibt die Beschlusslage der die Koalition tragenden | |
Parteien für alle Ebenen“, heißt es in der Erklärung von CDU, CSU und SPD. | |
Nicht nur die Entwicklung in Thüringen dürfte etwas Spannung aus der großen | |
Koalition im Bund von CDU, CSU und SPD genommen haben, auch der Rücktritt | |
des erheblich in die Kritik geratenen Ost-Beauftragten der Bundesregierung, | |
Christian Hirte (CDU), auf Betreiben von Kanzlerin Angela Merkel dürfte | |
dazu beigetragen haben. Hirte, der Thüringer CDU-Vize ist, hatte | |
ausdrücklich zur Wahl Kemmerichs gratuliert. | |
## Weitere Reaktionen | |
Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU), der einer | |
Jamaika-Koalition von CDU, FDP und Grünen vorsteht, rät der CDU, eine | |
Regierung mit Beteiligung der Linkspartei unter Umständen zu tolerieren. | |
Bisher hat die CDU-Spitze dies unter Verweis auf einen Parteitagsbeschluss | |
von 2018 ausgeschlossen. | |
Die CDU lehne eine Koalition mit der Linkspartei genauso ab wie mit der | |
AfD, sagte das CDU-Präsidiumsmitglied in Kiel am Rande einer Klausurtagung | |
der Spitze der Nord-CDU. „Aber klar ist auch: Wenn Linkspartei und AfD im | |
Landtag eine Mehrheit haben, reicht das als Antwort nicht aus.“ | |
Linkenchef Bernd Riexinger twitterte: „Der Kemmerich-Rücktritt ist | |
folgerichtig. Der große politische Flurschaden bleibt. Unverantwortlich und | |
erschreckend, was sich da manche Politiker der CDU und FDP geleistet haben. | |
Danke an alle, die politisch wach waren und schnell reagiert haben.“ | |
SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil twitterte: „Drei lange Tage hat der | |
Mann, der nur mit den Stimmen der rechtsextremen Höcke-AfD ins Amt kam, | |
Thüringen unnötig ins Chaos gestürzt. Dieses miese Schauspiel hat dank | |
klarer Kante nun ein Ende.“ | |
Der Fraktionschef der Grünen im Erfurter Landtag, Dirk Adams, erklärte nach | |
dem Rücktritt vom Samstag [3][im Kurznachrichtendienst Twitter]: „Der | |
Rücktritt ist konsequent, kommt aber viel zu spät!“ Der Landesvorstand der | |
Thüringer SPD hatte bereits zuvor sofortige Neuwahlen gefordert. Vor dem | |
Hintergrund der Ministerpräsidentenwahl vom Mittwoch müssten die Wähler neu | |
über die Zusammensetzung des Landtages entscheiden, hieß es in einer am | |
Samstag in Erfurt verbreiteten Erklärung. | |
8 Feb 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Thueringens-neuer-Ministerpraesident/!5662119 | |
[2] /Nach-der-Wahl-in-Thueringen/!5658340 | |
[3] https://twitter.com/GruenerDirk/status/1226149486793285632 | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Thüringen | |
Schwerpunkt Landtagswahl Thüringen | |
Thomas Kemmerich | |
FDP | |
Alternative für Deutschland (AfD) | |
Annegret Kramp-Karrenbauer | |
Schwerpunkt Thüringen | |
Erfurt | |
Schwerpunkt Thüringen | |
Lesestück Recherche und Reportage | |
Thomas Kemmerich | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Möglicher Pakt mit der AfD in Thüringen: Bedrohte Brandmauer | |
Die CDU in Thüringen findet es ok, dass die AfD einen Antrag von ihr | |
unterstützt. Tatsächlich ist das nichts anderes als eine Normalisierung von | |
Rechtsextremismus. | |
Rückzug der CDU-Chefin: AKK macht schlapp | |
Die Thüringen-Krise erreicht die CDU-Spitze: Kramp-Karrenbauer verzichtet | |
auf Kanzlerkandidatur und Parteivorsitz. Grüne warnen CDU vor Rechtsruck. | |
AfD in Thüringen: Gaulands cleverer Schachzug | |
Der AfD-Chef will, dass die Partei in Thüringen für Ramelow stimmt. Selbst | |
wenn die Faschisten ihn wählen, heißt das nicht, dass er der Falsche ist. | |
Anti-FDP-Demonstration in Erfurt: Protest, der sich lohnt | |
Mitten in der Anti-FDP-Demo bricht Jubel aus: Thomas Kemmerich geht. Doch | |
das Problem mit der AfD bleibt. | |
Ost-Beauftragter der Bundesregierung: Hirte gibt den Stab ab | |
Die nächste Rücktrittsankündigung in der Thüringen-Krise: Christian Hirte | |
ist über einen Tweet gestolpert. In der CDU wird zudem die Auflösung der | |
Werte-Union gefordert. | |
FDP in Thüringen: Was für ein Theater | |
Thomas Kemmerichs Wahl zum Ministerpräsident von Thüringen ist umstritten. | |
Was sagt die FDP-Basis dazu? Zu Besuch bei der Ortsgruppe in Ilmenau. | |
Nach der Wahl in Thüringen: Der Cowboy lenkt ein | |
Thomas Kemmerich wird wohl als Kurzzeitministerpräsident in die Geschichte | |
eingehen. Neuwahlen sind aber noch nicht ausgemacht. |