# taz.de -- Es kriselt bei Twitter: Ärger um die Timeline | |
> Kurz vor seinem 10. Geburtstag stagniert Twitter wirtschaftlich. Berichte | |
> über eine neue Sortierung lösen Protest aus. Chef Jack Dorsey versucht zu | |
> beruhigen. | |
Bild: Der schläft nur! | |
San Francisco dpa | Eine Idee treibt eingefleischte Twitter-Nutzer auf die | |
Barrikaden noch bevor man sie in Aktion sehen konnte. Der Dienst wolle eine | |
neue Sortierung einführen, bei der die einzelnen Tweets nach | |
Relevanz-Algorithmen angeordnet werden, statt wie bisher einfach | |
nacheinander, [1][schrieb die Website] Buzzfeed am Wochenende. Das wäre | |
eine Abkehr von einem Grund-Prinzip von Twitter und würde den Dienst ein | |
Stück mehr wie Facebook machen. Die Diskussion darüber – natürlich bei | |
Twitter selbst – kippte schnell in Untergangs-Stimmung mit dem Schlagwort | |
[2][#RIPTwitter]. | |
Mitgründer und Chef Jack Dorsey versuchte in einer [3][Serie von Tweets], | |
die Gemüter zu beruhigen. „Wir haben nie geplant, die Timelines nächste | |
Woche neu zu ordnen“, schrieb er. Zugleich wurde deutlich, dass es | |
Änderungen geben wird – aber sie sollen behutsam ausfallen. „Wir lieben den | |
Livestream. Das sind wir“, betonte Dorsey. Der Tweet-Stream werde | |
„verfeinert“, damit er sich noch aktueller anfühle. | |
Der aufgeregte Ton der Debatte ist typisch für die Stimmung kurz vor dem | |
zehnten Geburtstag des Kurznachrichtendienstes. Die Aktie steckt im | |
Kurskeller, weil das Wachstum der Nutzerzahlen auf ein Tröpfeln gefallen | |
ist. Im Januar nahm eine ganze Riege von Top-Managern den Hut. Und einer | |
davon – Produktchef Kevin Weil – soll laut Medienberichten ausgerechnet zur | |
Foto-Plattform Instagram des Rivalen Facebook gegangen sein. Der bekannte | |
Technologie-Journalist Josh Topolsky, ein langjähriger Twitter-Fan, sieht | |
den Dienst an Relevanz verlieren. Die Überschrift [4][seines vielbeachteten | |
Artikels] beim renommierten Magazin New Yorker: „Das Ende von Twitter“. | |
In dieser Atmosphäre braucht Twitter-Mitgründer Dorsey, der im vergangenen | |
Sommer zunächst kommissarisch und dann dauerhaft an die Firmenspitze | |
zurückkehrte, schnell einen großen Wurf. Die bisherige Bilanz seiner | |
Chef-Aktivitäten sind ein Stellenabbau, das zunächst nur in den USA | |
verfügbare Angebot „Moments“, bei dem Tweets zu aktuellen Ereignissen | |
zusammengefasst werden, sowie die Ankündigung, einen Verzicht auf die | |
Tweet-Obergrenze von 140 Zeichen zu testen. Und bei den von Nutzern als | |
„Favoriten“ markierten Tweets wurde das Symbol [5][von einem gelben Stern | |
auf ein rotes Herz geändert], was ebenfalls für viel Ärger in der Community | |
sorgte. | |
Wenn Dorsey an diesem Mittwoch wieder nur Quartalszahlen präsentieren kann, | |
die die Börsianer enttäuschen, könnte ein großer Produkt-Umbau eine | |
willkommene Ablenkung sein. Zugleich schränkte Buzzfeed ein, man habe nicht | |
in Erfahrung bringen können, ob die Änderung generell gelten solle, oder | |
Nutzer die freie Auswahl bekämen. Das Tech-Blog The Verge und ein | |
Social-Media-Experte des Senders NBC schrieben, man werde auf die | |
Algorithmen-Sortierung [6][auch verzichten können]. | |
## Viel Bedeutung, wenig Erlös | |
Seit Dorsey am 21. März 2006 testweise den allerersten Tweet verschickte, | |
hat sich Twitter zu einer etablierten Möglichkeit entwickelt, den Puls der | |
Welt zu spüren. Wenn irgendwo etwas passiert, ist die Wahrscheinlichkeit | |
groß, dass dies einen am schnellsten über Twitter erreicht. Auch wenn sich | |
bei dramatischen Entwicklungen wie den jüngsten Terror-Anschlägen in Paris | |
frische Fakten mit falschen Informationen vermischen – Twitter ist so etwas | |
wie das globale Nervensystem der News-Branche geworden. Das Problem: Allein | |
damit kann ein Dienst kein Geld verdienen. | |
Die Lösung von Twitter ist, von Unternehmen bezahlte Tweets in den | |
Nachrichtenstrom der Nutzer einzuschleusen – ähnlich wie das Facebook | |
macht. Mit dem Versprechen, dass sie durch eine Fokussierung auf bestimmte | |
Zielgruppen auch zu den Interessen der Nutzer passen. Das bringt mit | |
zuletzt gut 300 Millionen Nutzern einen Umsatz von etwa zwei Milliarden | |
Dollar pro Jahr. Aber Twitter steckt nach wie vor in den roten Zahlen fest | |
– auch wenn der Dienst dank seiner Geldreserven noch jahrelange Verluste | |
verkraften könnte. | |
Zum Vergleich: Facebook verbuchte zuletzt einen Quartalsgewinn von 1,56 | |
Milliarden Dollar bei 5,84 Milliarden Dollar Umsatz. Bei den Nutzerzahlen | |
hat das weltgrößte Online-Netzwerk mit seinen knapp 1,6 Milliarden | |
Mitgliedern Twitter eh längst abgehängt. Es ist auch die Lernkurve, die | |
Twitter bremst: Wer es sinnvoll nutzen will, muss erst Zeit und Energie in | |
die Auswahl der Quellen investieren, denen man folgt. Die Versuche von | |
Twitter, neuen Mitgliedern den Einstieg einfacher zu machen, lösten bisher | |
keine Wachstumsschübe aus. | |
7 Feb 2016 | |
## LINKS | |
[1] http://www.buzzfeed.com/alexkantrowitz/twitter-to-introduce-algorithmic-tim… | |
[2] https://twitter.com/hashtag/RIPTwitter?src=hash | |
[3] https://twitter.com/jack/status/696083407588106240 | |
[4] http://www.newyorker.com/tech/elements/the-end-of-twitter | |
[5] /Herzchen-statt-Sternchen-auf-Twitter/!5245793 | |
[6] http://www.theverge.com/2016/2/6/10927874/twitter-algorithmic-timeline | |
## TAGS | |
Twitter / X | |
Soziale Netzwerke | |
Twitter / X | |
Twitter / X | |
„Islamischer Staat“ (IS) | |
Twitter / X | |
Twitter / X | |
Twitter / X | |
Twitter / X | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Online-Netzwerk Twitter: Der verschmähte Publikumsliebling | |
Twitter ist beliebt bei NutzerInnen, enttäuscht aber an der Börse. Die | |
Plattform findet weit und breit keine KaufinteressentInnen. | |
Twitters tristes Jubiläum: Nett sein lohnt sich nicht | |
Der Kurznachrichtendienst Twitter wird zehn Jahre alt. Aber er kränkelt | |
schon länger vor sich hin. Warum eigentlich? | |
Twitter schließt 125.000 Konten: Verdacht auf Terrorismus | |
Twitter hat 125.000 Konten geschlossen, die IS-Unterstützern zugeschrieben | |
werden. Außerdem werden zahlreiche ähnliche Konten weiter beobachtet. | |
Mehrere Manager verlassen Twitter: Umbau in der Chefetage | |
Die Aktie ist im Keller, das Wachstum der Nutzer-Zahlen kommt nicht in Gang | |
– Twitter kämpft mit massiven Problemen. Jetzt gehen auch noch mehrere | |
Manager. | |
Längenbegrenzung auf Twitter: In der Kürze liegt der Reiz | |
Ein Tweet kann maximal 140 Zeichen haben. Noch. Das Online-Netzwerk Twitter | |
überlegt, die Begrenzung aufzuheben. Das freut nicht jeden. | |
Herzchen statt Sternchen auf Twitter: As you like it | |
Auch bei Twitter wird man von Kitsch-Ikonografie nicht verschont. Die neuen | |
Herzchen sind ein Schritt hin zur Infantilisierung der Kommunikation. | |
Details zu Börsengang von Twitter: Eine Milliarde Dollar angepeilt | |
Die Investoren sollen von der Reichweite angelockt werden und Geld in die | |
Kassen des Kurznachrichtendienstes spülen. An der Börse will Twitter | |
künftig TWTR heißen. |