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# taz.de -- Herzchen statt Sternchen auf Twitter: As you like it
> Auch bei Twitter wird man von Kitsch-Ikonografie nicht verschont. Die
> neuen Herzchen sind ein Schritt hin zur Infantilisierung der
> Kommunikation.
Bild: Okay, das Herzilein hier ist offline. Und ohne Absender
Bei Twitter, der sympathischen People-Plattform für Medienarbeiter und
andere Menschendarsteller, regieren seit Dienstag die Herzen. Das soziale
Netzwerk hat nämlich die „Fav“- durch eine „Gefällt mir“-Funktion ers…
Das heißt: Wo man früher Tweets mit einem Sternchen versah, kann man jetzt
nur noch mittels eines leicht adipös anmutenden Herzchens „liken“.
Twitters Produktmanager Akarshan Kumar hat die Änderung damit begründet,
dass der vormalige Stern gerade für Neulinge „ab und an verwirrend“ gewesen
sei und man es den Nutzern mit dem Herz, das die Test-User angeblich
„liebten“, nun einfacher machen wolle. Auf dem 140-Zeichen-Dienst, der sich
weitestgehend ja als Erregungsgemeinschaft versteht, sorgte das naturgemäß
für Empörung.
Verfügte das verhältnismäßig neutrale Sternsymbol nämlich über eine
Vielzahl potenzieller Bedeutungen, es konnte „Gefällt-mir“ meinen, aber
eben auch als Bookmark oder Lesebestätigung verwendet werden, funktioniert
Letzteres jetzt nur noch bedingt. Einen Artikel über rechte Gewalt
beispielsweise mit einem Herzchen zu behängen, das, so hat es Twitter für
die ganz Lobotomierten auch noch mal aufgeschrieben, „love“, „hugs“, �…
five“, „wow“ oder „aww“ bedeuten könne, wirkt etwa geschmacklos und …
Missverständnissen führen.
Wem jetzt die Augenbraue nach oben zuckt und [1][#firstworldproblems]
stoßseufzen will, hat einerseits natürlich recht. Anderseits mag man in
diesem Fall aber auch das Symptom einer übergeordneten Entwicklung
erkennen. Er zeigt nämlich pars pro toto, wie soziale Kommunikation von
Internetkonzernen latent reguliert, kanalisiert und effektiver nutzbar
gemacht wird.
## Türsteher des Realen
Weiß man spätestens seit Kant, dass es keine „Wirklichkeit an sich“ gibt,
sondern diese immer nur vermittelt existiert, fungieren Google, Facebook
und Twitter heute als eine Art Türsteher des Realen, entscheiden sie doch
wie und vor allem in welchem Kontext wir Informationen konsumieren.
Im Zusammenspiel von „Gemeinschaftsstandards“ und technologischem
Möglichkeitsraum, Anzahl verfügbarer Zeichen, Bilder und so weiter entsteht
so jeweils eine spezifische Ordnung des Sagbaren. Damit sind soziale Medien
also eben nicht nur bloße Hilfsmittel der Kommunikation, sondern besitzen,
so sagt der Informationsphilosoph Luciano Floridi, selbst eine
„ontologische Macht“.
Erfolgt unser Weltzugang vorrangig über Bildschirme, „strukturieren und
prägen sie unsere Weltanschauung von innen heraus – im eigentlichen Sinne
des Wortes“. Das neue Twitter-Herz lässt sich als bewusste Lenkung des
Zeichenverkehrs begreifen. Denn wie das Unternehmen ja selbst sagt, geht es
bei der Änderung um kommunikative Komplexitätsreduktion, um Dezimierung von
Doppeldeutigkeiten.
## Gelenkte Semiokratie
Nur dient die weniger den Nutzern als dem eigenen Businessplan.
Ambivalenzen und Ambiguitäten sind für die meisten Internetkonzerne nämlich
lediglich ökonomische Störquellen. Besteht das Geschäftsmodell von
Facebook, Instagram und Twitter doch eben darin, aggregierte Daten
möglichst genau zu erheben und auszuwerten, um personalisierte Reklame zu
erstellen und Werbekunde zu gewinnen.
Wie die meisten anderen sozialen Netzwerke wird somit auch Twitter immer
mehr zur gelenkten Semiokratie, zu einer Herrschaft der Zeichen, die auf
verwertbare Eindeutigkeiten abzielt.
## Noch mehr Zumutungen
Und als ob das nicht schon problematisch genug wäre, besteht ein weiterer
Affront in der institutionalisierten Infantilisierung, die damit
einhergeht. Ist es für jeden erwachsenen Menschen eigentlich schon Zumutung
genug, an der Supermarktkasse zum Sammeln von Herzchen aufgefordert zu
werden, bleibt man nun auch beim Kurznachrichtendienst von dieser
verkitschten Ikonografie der Impertinenz nicht verschont.
Ob ästhetisch empfindliche Gemüter sich nun mit dieser verordneten
Gefallsucht abfinden oder das Twittern sogar sein lassen, bleibt freilich
ihnen überlassen. Oder mit Shakespeare gesagt: As you like it.
4 Nov 2015
## LINKS
[1] https://twitter.com/search?q=%23firstworldproblems&src=tyah
## AUTOREN
Nils Markwardt
## TAGS
Twitter / X
Digitale Medien
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