| # taz.de -- Eric Steels „Minyan“ auf der Berlinale: Die Farben von Brighton… | |
| > Der Spielfilm „Minyan“ erzählt von der Identitätssuche eines jungen | |
| > homosexuellen Immigranten im jüdisch geprägten Brooklyn der 1980er Jahre. | |
| Bild: Heimliches Begehren: Samuel H. Levine in „Minyan“ von Eric Steel | |
| Das Geld ist knapp, und Davids gläubiger Großvater soll nach dem Tod seiner | |
| Frau in ein jüdisches Seniorenwohnheim ziehen. Doch die bezahlbaren | |
| Wohnungen dort sind begehrt. Nur das Versprechen, mit dem 17-jährigen Enkel | |
| den nötigen zehnten Mann zu stellen und damit den Minjan (Gemeinschaft von | |
| zehn jüdischen Männern oder Frauen, die zu einer Lesung der Tora und zu | |
| besonders wichtigen Gebeten zusammen kommen müssen) für den jüdischen | |
| Gottesdienst in der Einrichtung zu garantieren, ermöglicht dem Großvater | |
| den Einzug in das Altersheim. | |
| David kommt dieser Verpflichtung aus Liebe zu seinem feinsinnigen Großvater | |
| nach, hadert aber zunehmend mit dem jüdischen Glauben. Denn seine | |
| Homosexualität, die heimliche Lust und das Begehren scheinen ihm | |
| unvereinbar mit den moralischen Vorstellungen der orthodoxen Gemeinde und | |
| den Erwartungen der Familie. | |
| In seiner Adaption der gleichnamigen Erzählung des kanadischen Autors | |
| David Bezmozgis verlegt Eric Steel die Handlung von Toronto nach Brighton | |
| Beach, in das russisch-jüdisch geprägte Viertel im Süden Brooklyns. In | |
| durchdringenden Herbstfarben skizziert „Minyan“ ein atmosphärisch | |
| dichtes Bild der Stadt vor der Gentrifizierung im November des Jahres | |
| 1986. | |
| ## East Village in den 80ern | |
| Gleichzeitig verbindet der 1963 geborene Regisseur in seinem Spielfilmdebüt | |
| die literarische Vorlage mit seinen eigenen Erfahrungen als homosexueller | |
| Jugendlicher in der [1][New York Schwulenszene] im East Village der 1980er | |
| Jahre, die damals von Aids erschüttert wurde. | |
| Auch David, dargestellt von Samuel H. Levine, entdeckt in den Clubs des | |
| East Village, jenseits der russisch-jüdischen Community in Brighton Beach, | |
| eine reizvolle, unbekannte Welt und stürzt sich unbedarft in erste sexuelle | |
| Abenteuer. Sehnsüchtig greift er die vielfältigen neuen Anregungen auf, die | |
| er im tristen Alltag seines russischen Elternhauses so vermisst. | |
| Denn sein Vater, ein ehemaliger Boxtrainer der UdSSR, und seine Mutter, die | |
| Zahnärztin ist, aber keine Zulassung zum Praktizieren in den USA hat, | |
| leben fest eingebunden in den Traditionen ihrer Herkunft. Nur | |
| teilnahmslos folgt David dem Thorastudium in der Jeschiwa, während er | |
| gierig Romane von James Baldwin verschlingt und mit Begeisterung am | |
| Literaturunterricht in der staatlichen Schule teilnimmt. | |
| Mit einem guten Gespür für Andeutung und Konkretion führt Steel die | |
| unterschiedlichen Lebenswelten in dieser Außenseitergeschichte umsichtig | |
| zusammen. Glücklicherweise widersteht der Filmemacher letztlich dem | |
| Versuch, die im Drehbuch angelegten Analogien zwischen Schoah- und | |
| Aids-Überlebenden auszuerzählen. | |
| Erst die Bekanntschaft mit Herschel und Itzik, zwei sehr unterschiedlichen | |
| Männern, die als Paar im Seniorenwohnheim neben Davids Großvater leben, | |
| eröffnet dem Jungen unverhofft eine neue Perspektive und zeigt einen Weg | |
| aus dem schwierigen Identitätskonflikt. Der zehnte Mann zu sein erhält | |
| nicht nur für den Heranwachsenden eine ganz neue, wirksame Bedeutung. | |
| 28 Feb 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Eva-Christina Meier | |
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