# taz.de -- Entlastungspaket der Bundesregierung: Wer hat, der kriegt | |
> Das Entlastungspaket der Ampel ist sozial unausgewogen. Steuergeschenke | |
> helfen ärmeren Menschen kaum. Ein 0-Euro-Ticket wie in Spanien würde | |
> unterstützen. | |
Bild: Ökonom*innen weisen darauf hin, dass bei der geplanten Steuerentlastung … | |
Neulich rief in der Berliner S-Bahn eine ältere Frau den Fahrgästen zu: | |
„Vergesst nicht, armen Menschen Geld zu geben, die Regierung tut es nicht. | |
Auch Olaf Scholz bekommt 300 Euro Energiepauschale!“ Obwohl die Frau mit | |
ihrem Appell lediglich allgemeines Desinteresse und vereinzeltes Schmunzeln | |
erntete, hatte sie doch einen zentralen Kritikpunkt an der bisherigen | |
Krisenpolitik der rot-grün-gelben Bundesregierung angesprochen: Per | |
Gießkannenprinzip wird Geld an alle Bürger*innen, ob arm oder reich, | |
verteilt, statt diejenigen gezielt zu unterstützen, die angesichts | |
steigender Energie- und Lebensmittelpreise in existenzielle Not geraten. | |
Um die Bürger*innen zu entlasten, schnürt die Ampelkoalition ein Paket | |
nach dem anderen. Bislang vor allem zugunsten der Wirtschaft und von | |
Gutverdiener*innen. Die jüngsten Maßnahmen mit einem Gesamtvolumen von | |
stattlichen 65 Milliarden Euro sollen nun die Fehler der Vergangenheit | |
ausbügeln. Mit Einmalzahlungen für Rentner*innen und Studierende, einer | |
[1][Erhöhung des Kinder- und Wohngeldes], Steuererleichterungen und einer | |
Strompreisbremse sollen auch armutsbetroffene Menschen in die Lage versetzt | |
werden, Grundbedürfnisse wie Heizen, Essen und Miete noch bezahlen zu | |
können. | |
Doch löst das Entlastungspaket sein Versprechen auch ein? Und vor allem: | |
Ist es sozial gerecht? Auf den ersten Blick mutet es so an, schließlich | |
werden ärmere Haushalte durch die Sozialtransfers tatsächlich entlastet. | |
Bei genauerem Hinsehen entpuppen sich die Maßnahmen aber doch als sozial | |
unausgewogen: So weisen Ökonom*innen darauf hin, dass bei der geplanten | |
Steuerentlastung mehr als die Hälfte bei den oberen 20 Prozent ankommt – | |
die nun wirklich keine Hilfe benötigen, um über den Winter zu kommen. | |
Auch gegen die größte Belastung der privaten Haushalte – die Gasrechnung – | |
gibt es keine passgenauen Maßnahmen. Dabei hätte ein Gaspreisdeckel sowie | |
ein [2][Moratorium für Gas- und Stromsperren] sicherstellen können, dass | |
niemand im Dunkeln sitzen und frieren muss. | |
## Das 9-Euro-Ticket war die sinnvollste Maßnahme | |
Auch die Einmalzahlungen sind kaum dazu geeignet, die Menschen von den | |
steigenden Lebenshaltungskosten zu entlasten. Nicht nur, weil eine | |
einmalige Geldspritze langfristig keine Probleme löst und 300 Euro nicht | |
ausreichen, um die Preissteigerung bei Gas um bis zu 200 Prozent | |
auszugleichen. Vor allem aber werden auch hier wieder pauschale | |
Geldgeschenke auch denen gemacht, die sie gar nicht brauchen. Denn nicht | |
alle Rentner*innen oder Studierenden brauchen finanzielle Unterstützung, | |
einige von ihnen sind durchaus wohlhabend. | |
Es ist wie mit der Energiepauschale für Erwerbstätige: Warum sollte | |
Bundeskanzler Olaf Scholz, der rund 30.000 Euro im Monat verdient, oder | |
eine Topmanagerin mit Topgehalt steuergeldfinanzierte Unterstützung | |
erhalten, während eine alleinerziehende Mutter von drei Kindern nicht weiß, | |
wie sie ihren Einkauf bezahlen soll? | |
Sozial gerecht ist das nicht. Doch kann der Staat den Anspruch sozialer | |
Gerechtigkeit überhaupt einlösen? Per Definition müsste er dann | |
sicherstellen, dass die Lebensbedingungen, Chancen und Möglichkeiten für | |
alle Menschen annähernd gleich sind. In einer kapitalistischen | |
Gesellschaft, in der eine Minderheit die Mehrheit der Gesellschaft | |
ausbeutet, ist das per se unmöglich. Doch auch ohne die Abschaffung des | |
Kapitalismus kann der Staat zumindest eine Annäherung an dieses Ziel | |
erreichen. Und Maßnahmen verabschieden, die soziale Ungleichheit abmildern | |
und soziale Härten abfedern – statt diese wie durch die Gasumlage noch zu | |
vergrößern. | |
Die einzige Krisenmaßnahme, die diesen Anspruch erfüllt hat, wurde nach nur | |
drei Monaten wieder abgeschafft: Das 9-Euro-Ticket. Dadurch wurde allen, | |
auch armen Menschen, Mobilität ermöglicht, die so vom sozialen Status | |
entkoppelt wurde. Mit dem nun geplanten 49- oder 69-Euro-Ticket wird | |
Mobilität wieder zu einem Privileg, das man sich leisten können muss. Dabei | |
macht Spanien vor, wie es geht: Ein per Übergewinnsteuer finanziertes | |
[3][0-Euro-Ticket für alle]. Das ist das einzige Gießkannenprinzip, das | |
wirklich hilft – der Umwelt und den Menschen. | |
10 Sep 2022 | |
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## AUTOREN | |
Marie Frank | |
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