| # taz.de -- Electronic Jazz von Flying Lotus: Bezug zum Jenseits | |
| > Verrückte Takte, rasend schnelles Spiel: „You’re Dead!“, das neue Album | |
| > von Flying Lotus, interpretiert den Tod als superschlaue Trip-Musik. | |
| Bild: Auf Augenhöhe mit Flying Lotus | |
| Wären die Kuschelrocker von Coldplay ihm nicht zuvorgekommen, Steven | |
| Ellison alias Flying Lotus hätte für den von ihnen gewählten Albumtitel | |
| „Death And All His Friends“ sicherlich Verwendung gefunden. Der Kalifornier | |
| genösse in einer fiktiven Albumnamenvergabestelle sogar Vorzugsbehandlung | |
| in Sachen morbide Leitmotive. Denn der Tod steht dem 30-jährigen | |
| Elektronikproduzenten aus Los Angeles schließlich schon länger gut. So gut, | |
| dass er nun selbst ein Album zum Thema Tod gemacht hat: Nun kommt also auch | |
| die Welt der Electronica endlich in den Genuss eines Todesalbums. | |
| Für diese Feststellung genügt dem Connaisseur bereits der Blick auf Flying | |
| Lotus’ vorherige Albumtitel. Nach dem retrospektiven Geburtsjahrgangsdebüt | |
| „1983“ widmete sich FlyLos Blick dem „Los Angeles“ der dystopisch | |
| durchhauchten Gegenwart, um sodann zum „Cosmogramma“ überzugehen – das | |
| Horoskop als spiritueller Griff nach der Zukunft. | |
| 2012 veröffentlichte Ellison mit „Until The Quiet Comes“ dann eine | |
| Entschleunigungsmaschine, die von Traumwelten und astraler Reinkarnation | |
| kündete. Die klangliche Reduktion – weg vom Beat, hin zur Fläche – sowie | |
| der Kurzfilm zum Album schrieben das Konzept Tod erstmals in | |
| Großbuchstaben. | |
| Und nun? Ist die Zukunft scheinbar aufgebraucht. Was bleibt, ist ein | |
| Leichensalat in Jazz-Vinaigrette: „You’re Dead!“ | |
| ## Gunther von Hagen im Purgatorium | |
| Mit gutem Grund warnten diverse Multiplikatoren anlässlich des neuesten | |
| Albumtrailers vor magendrehenden Bildern: Menschenschnitte wie bei Gunther | |
| von Hagen treffen comicmäßig überzeichnet auf multidimensionale | |
| Nervenzellen, reichlich umhertreibendes Gedärm und offene Schädeldecken. So | |
| stellt sich Flying Lotus das Purgatorium offensichtlich vor. | |
| Wie klingt die Zwischenwelt? Es ist der Fusionsound des elektrischen | |
| Jazzerneuerers Herbie Hancock sowie erneut das musikalische Erbe von | |
| Ellisons Großtante, der Jazzpianistin Alice Coltrane, das den 38 Minuten | |
| neben der konzeptionellen Klammer eine Form gibt. „Ich wollte unbedingt | |
| Musik machen, die aus dem Geist dieser Gattung geboren ist, anstatt wieder | |
| bei den Beats anzusetzen“, betont Flying Lotus mit Nachdruck. | |
| Wo Electronic Jazz zuletzt mehr der Rechtfertigung eines wilden | |
| Stilmischmaschs diente, taucht „You’re Dead!“ nun tatsächlich unter die | |
| Genreoberfläche. Der inhaltliche Jenseitsbezug ist hier übrigens besonders | |
| interessant, bedenkt man, wie sporadisch sich das Genre abseits von | |
| Marschmusik bei Begräbnissen in New Orleans mit dieser Thematik | |
| auseinandergesetzt hat. | |
| ## Futurismus verkörpern | |
| Hilfreich erweist sich derweil, dass FlyLo inzwischen das nötige Prestige | |
| besitzt, um die Gästeliste seiner Produktionen frei bestimmen zu können. So | |
| wirkt Herbie Hancock höchstselbst gleich zweimal mit: Den beiden | |
| freigeistigen Skizzen „Tesla“ und „Moment Of Hesitation“ drückt der | |
| Tastenmann seinen Stempel auf. Die versammelten Rap-Features dienen | |
| unterdessen vor allem als pars pro toto. Snoop Dogg taucht vorrangig als | |
| Repräsentant des Goldenen HipHop-Zeitalters auf, Kendrick Lamar als | |
| Erneuerer von Westcoast-Rap, und Flying Lotus selbst gibt ein Stelldichein | |
| als MC Captain Murphy, der den Genrefuturisten verkörpern darf. | |
| Demgemäß findet sich das oeuvreführende Motiv des periodenhaften | |
| Zeitabschnitts auch bei den Gästen wieder. Apropos Captain Murphy: Nach | |
| seiner Albumpremiere „Duality“ (2012) scheint Flying Lotus weiteres | |
| Selbstbewusstsein zum Ausbau seines Rapper-Alias getankt zu haben. Es | |
| heißt, ein zweites Werk sei bereits in Arbeit. | |
| Auf „You’re Dead!“ wiederum nutzt FlyLo den Leitgedanken „Tod im Gewand… | |
| Jazz“ für jede Menge Anarchie: Auf nudelige Pinseleien zur Eröffnung folgen | |
| Progrock und Psychedelia. Anschließend verheiratet er einen Gospelchor mit | |
| Instrumental-HipHop, um alsbald den einzigen althergebrachten Beats-Moment | |
| „Eyes Above“ in ein analoges Fusion-Gerüst hinüberzuretten. | |
| ## Steigbügelhalten beim apokalyptischen Reiter | |
| Die Handlungsorte wechseln noch ein Stück weit hektischer als in den | |
| bisherigen Werken. Den Vorwurf von Muckertum konnte Ellison letztlich nie | |
| ganz entkräften, und das möchte er offensichtlich auch gar nicht. Die halb | |
| ausformulierten Skizzen leben vielmehr gerade vom ADHS ihres Schöpfers, der | |
| ihnen den Steigbügel hält, sie für Sekunden bis Minuten als apokalyptische | |
| Reiter auf die Synapsen der Hörer zurasen lässt, nur, um dann die Zügel | |
| ruckartig wegzuschmeißen, die Songstruktur aufzureißen und die | |
| Aufmerksamkeit in eine völlig andere Dimension zu beamen. | |
| Schlangenbeschwörung! Buddhistische Tempelglöckchen! | |
| Dirty-Projectors-Sirenen! Gespensterfilmsoundtrack! Kartografen verfallen | |
| hier der Reihe nach dem Wahnsinn. Was hinter dem nächsten atonalen | |
| Tastenanschlag oder unvollendeten Drumpattern lauert, ist stets ungewiss. | |
| Das macht die Angelegenheit einerseits hochspannend, weil unberechenbar | |
| statt linear. Andererseits ertappt man sich beim Hören häufiger bei der | |
| Frage, wieso FlyLos Angst vor dem Songformat dramatisch zuzunehmen scheint. | |
| Rap- und Gesangsbeiträge lösen sich in der Jazzsuppe so gut auf, dass die | |
| Stimmen kaum als Anker dienen können. Stellenweise rotiert das Album stur | |
| am verirrten, alleingelassenen Hörer vorbei. Das füttert den im Raum | |
| stehenden Vorwurf, sein Produzent treibe die Fragmentierung seiner Tracks | |
| mitunter auf die Spitze der Beliebigkeit. | |
| „Wir haben ein Geek-Album gemacht“, beschreibt der talentierte wie | |
| hyperaktive Musiker die Zusammenarbeit mit Thundercat, einem Wegbegleiter | |
| seines Labels Brainfeeder. „Es gibt verrückte Takte und rasend schnelles | |
| Spiel.“ Diese zweifelsohne intelligente, pophistorisch stets informierte, | |
| aber anstrengende Art von Trip-Musik läuft auf keiner noch so | |
| wohlinformierten Veranstaltung mehr als Hintergrundbeschallung. | |
| Die GlitchHop-Gefolgschaft, die Flying Lotus zu Beginn seiner Karriere um | |
| sich geschart hat, lässt das zerfahrene „You’re Dead!“ voller Fragezeich… | |
| zurück. Und mit Electronica im herkömmlichen Sinn hat die überaus analoge | |
| Jazzabstraktion unter Einsatz von Fender Rhodes und Minimoog-Synthesizern | |
| nur noch wenig gemein. | |
| Der Tod bleibt eben auch bei Flying Lotus eine reichlich komplizierte | |
| Angelegenheit. Als Metapher für eine (weitere) künstlerische Übergangsphase | |
| ergibt der postmortale Schwebezustand allerdings absolut Sinn. Mit | |
| Wiedergeburt ist in jedem Fall zu rechnen. | |
| 25 Oct 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Matthias Manthe | |
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