# taz.de -- Hip Hop wird instrumental: Der Tod der Reimemonster | |
> Hiphop hat Reime und Machogesten satt. Dope Beats und Tribe Vibes werden | |
> dieser Tage in der Tradition des großen Produzenten J Dilla gemacht – | |
> ohne Rapper. | |
Bild: J Dilla, alias James D. Yancey (1974-2006), der beste Produzent, den Hiph… | |
Der 10. Februar 2006 ist ein schwarzer Tag für die Hiphop-Nation. Denn an | |
jenem Tag verliert sie James D. Yancey, genannt J Dilla, an die | |
Immunkrankheit Lupus. Wie kein anderer Produzent steht Dilla für die | |
Weiterentwicklung von Hiphop, einer spätestens seit der Jahrtausendwende | |
stagnierenden Musikrichtung. | |
Die letzten Monate seines Siechtums verbrachte Dilla bereits im | |
Krankenbett, Sampler und Plattenspieler hatte er aber bis zuletzt bei sich. | |
Und so hielt die Welt bereits vor seinem Tod sein Testament in den Händen: | |
„Donuts“, ein Instrumentalkonzeptalbum – nach seiner zuckrigen | |
Lieblingsspeise betitelt. Wobei der Begriff Instrumental bei dem Mann aus | |
Detroit ausdrücklich für die Abwesenheit von Rappern steht. In den | |
Mainstream hatte es Dilla nie ganz geschafft, und dennoch war seine Musik | |
so viel welthaltiger als das ewige Getexte eierschaukelnder Rapstars. | |
Dillas auf „Donuts“ versammelte Ideen hätten für zehn Alben gereicht. | |
„Donuts“ ist eine ganze Bibliothek aus Samples, ein tanzbodenkompatibles | |
Gewirr aus irrlichternden Grooves. | |
Alleine Dillas Beatdesign legt die Latte für künftige | |
Produzentengenerationen so hoch, dass mehr als zwei Jahre nach seinem Tod | |
immer noch kein ebenbürtiger Nachfolger in Sicht ist. | |
J Dilla hat sich mit diesem Werk unsterblich gemacht, mit Zuckerguss. | |
Hiphop-Heads fragten sich: Was kommt dann noch, da einer ganzen | |
Musikrichtung der Schrittmacher fehlt? | |
Seinen kreativen Zenit hat Hiphop bereits in den frühen Neunzigern | |
überschritten. Seit Jahren schon beherrscht das Business Einheitsware im | |
Gewand von Klingeltönen. Die besseren Produktionen von heute schwelgen in | |
der Vergangenheit der Old School. Keep It Real, ist die Devise. Doch | |
Konservatismus hat noch selten Wegweisendes hervorgebracht. | |
Dass es überhaupt weitergeht mit Hiphop, ist vor allem zwei Brüdern aus | |
Oxnard, Kalifornien, zu verdanken: Otis Jackson Jr. und Michael Jackson. | |
Die Sprösslinge einer Musikerfamilie sind die treibenden Kräfte hinter dem | |
unabhängigen Label Stones Throw. Otis nennt sich Madlib, sein Bruder | |
Michael hört auf den Künstlernamen Oh No. Beide arbeiteten auch eng mit J | |
Dilla zusammen. | |
Um ihre Klangvisionen zu verbreiten, nutzen sie ein traditionelles | |
Hiphop-Werkzeug um: das Beat Tape. Ursprünglich waren Beat Tapes gar nicht | |
für die Öffentlichkeit gedacht, sondern als Demotape für Rapper, damit die | |
die richtigen Beats für ihre Reime finden. Beat Tapes sind Zusammenschnitte | |
roher Ideen, die Melodien werden nur angerissen. Sie versammeln Grundlagen | |
und lassen Raum für Gestaltung. | |
Madlib und Oh No haben Beat Tapes zu Kunstwerken gemacht. „Dr. Nos | |
Oxperiment“ von Oh No ist ein Album, das auf Samples von türkischer und | |
libanesischer Tanzmusik basiert. Die Musik leistet weit mehr als nur eine | |
Auflockerung der steifgewordenen Hiphop-Ästhetik. Oh Nos geradlinige, | |
antreibende Rhythmik verbindet sich mit dem melodiösen Geschwurbel des | |
Orients zu einem neuen Sound. | |
Ins selbe Horn stößt Madlib, der seine Sammlung indischer Popmusik | |
auseinander genommen hat: Sein neues Album „The Beat Konducta In India“ | |
zeigt, wie offen Hiphop als musikalische Kunstform klingen kann. Madlib ist | |
einer der schnellsten Arbeiter im Hiphop-Biz. Jahr für Jahr veröffentlicht | |
er unzählige Produktionen, die stilistisch zwischen Hiphop, Soul, Free-Jazz | |
und sogar Deep-House schwanken. In atemberaubendem Tempo produziert Madlib | |
– und das auf höchstem Niveau. Er gilt als zurückgezogen, gibt kaum | |
Interviews. Selbst auf Tournee begleitet ihn ein portables Studio. Sitzt er | |
nicht am Rechner, stöbert Madlib auf Flohmärkten in Plattenkisten oder | |
denkt darüber nach, was sich aus seinen zahlreichen Instrumenten noch | |
herausholen lässt. Für Partys hat er keine Zeit. Selbst den Fehler hat er | |
in seine Ästhetik integriert. Da kann ein Geräusch zu laut sein, ein | |
Scratch versieben, der Synthesizer enervieren. Wehmütige Melodien treffen | |
auf okkultes Getrommel, Stimmen wirren durch den Raum. Alles ist möglich in | |
Madlibs psychedelischem Klangentwurf. Madlib und Oh No machen Kunst aus dem | |
Fragmentarischen. | |
Hiphop ist bisweilen glanzlose Wühlarbeit. Diese Erfahrung machte der junge | |
Franzose Arno Bernard. Sein Schlafzimmer-Produzentenpseudonym ist Onra. | |
Bevor er sich an die Arbeit zu seinem Album „Chinoiseries“ machen konnte, | |
hieß es erst mal Rillen schrubben. Auf einer Reise durch Südostasien hatte | |
der 25-Jährige zunächst vergeblich nach Vinyl gestöbert. In Vietnam sind | |
Schallplatten nämlich rot und heute zugunsten von Cassetten und CDs meist | |
nur noch Ramschware. „Chinoiseries“ ist gerade deswegen ein erstaunliches | |
Album, pointiert geschnitten und vielseitig. Selten ist ein Stück länger | |
als eine Minute – Ideen werden angerissen und rasant verworfen. In der | |
Gesamtheit entsteht ein Zusammenhang. „Chinoiseries“ ist mehr Reisetagebuch | |
denn Beat Tape. Es rauscht und knistert, die Geschichte der gefundenen | |
Tonträger fiebert in der Musik mit. | |
Nun ist es die Welt, die den Hiphop erobert. Und nicht umgekehrt! Das | |
klingt so schön einfach. Wäre da nicht Flying Lotus. Der wiederum klingt, | |
als wolle er die Erde verlassen. Steven Ellison heißt er in seiner | |
irdischen Erscheinungsform. Und seine Großtante ist Alice Coltrane. Von | |
deren Musik fühlt er sich beflügelt. Und seine ist ähnlich spirituell. Den | |
fliegenden Lotus schuf er zuerst auf Papier, Ellison ist gelernter | |
Illustrator. Zum Musiker wurde seine Figur erst später. Sein Albumdebüt | |
„Los Angeles“ hat viel Zug ins All. Flächen berauschen, Synthesizer | |
sedieren Schichten von Ereignissen, die gegeneinander laufen. Es flirrt und | |
flimmert allerorten. Fly-Lo kürzt er sich ab, ein tieffliegender Flyboy. | |
„Los Angeles“ ist Musik, die ihrer eigenen Logik folgt. Von fremden Mächten | |
angezogen, schleppen die Rhythmen einem kosmischen Ziel entgegen. | |
„Los Angeles“ ist in Schwaden verhülltes Hörkino. Nicht vom Hier und Jetzt | |
erzählt diese Musik, sondern von den apokalyptischen Zukunftsvisionen des | |
frühen John Carpenter. Flying Lotus spielt dazu den kalten, sphärischen | |
Ton. | |
Dieser wurde auch von Dabrye aus Ann Arbor Michigan geprägt. Da-Brie | |
spricht man ihn aus und eigentlich heißt er Tadd Mullinix. Seit Jahren | |
veröffentlicht er vornehmlich instrumentalen Hiphop, doch schenkt ihm die | |
Hiphop-Kundschaft kaum Beachtung. Daran hat auch sein letztes Album | |
„Two/Three“ nichts geändert, auf dem er mit namhaften Rappern aus dem | |
Untergrund zusammenarbeitet. Vokales wechselt sich da ab mit | |
Instrumentalem. Unter dem Pseudonym James T. Cotton macht Dabrye auch | |
Techno und veröffentlicht seine Platten beim Elektronika-Label Ghostly | |
International. Dabrye verbindet beide Musikrichtungen elegant. Hin und | |
wieder fröstelt es in der Düsternis seiner Musik, die Synapsen tanzen | |
dennoch. Dabryes Musik weist über ihr eigenes Genre hinaus und eins bleibt | |
gewiss: Im Unterbau ist Hiphop noch richtig spannend. | |
6 Jun 2008 | |
## AUTOREN | |
Sebastian Reier | |
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HipHop | |
Musiker | |
Los Angeles | |
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