# taz.de -- EU gegen Legalisierungspläne: Cannabis-Freigabe auf der Kippe | |
> Die EU reagiert zurückhaltend auf den deutschen Vorstoß zur | |
> Cannabis-Legalisierung. Könnten die Pläne der Ampel in Brüssel scheitern? | |
Bild: Kleine Pflanze, große Aufregung. Die Pläne der Ampel zur Freigabe könn… | |
BERLIN taz | Die Hoffnungen waren riesig, als die Ampelfraktionen an die | |
Regierung kam: Viele Kiffer*innen und Cannabis-Aktivist*innen glaubten, | |
noch 2022 zu erleben, dass psychotrope Hanfprodukte legal in Deutschland | |
konsumiert werden könnten. | |
Doch der Prozess geriet schnell ins Stocken. Gleich nach Amtsantritt musste | |
sich der zuständige SPD-Gesundheitsminister zunächst um die Eindämmung der | |
Corona-Pandemie kümmern. Mit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die | |
Ukraine galt es für die Ampel dann gleich die nächsten Großkrisen zu | |
meistern. | |
Bereits im vergangenen Sommer mahnten viele Kritiker, die Legalisierung | |
komme nicht voran. Zwar lud das Bundesgesundheitsministerium im Sommer 200 | |
Experten zur Anhörung zum Thema nach Berlin ein. Doch nach dem fünftägigen | |
Marathon befand etwa Andreas Müller, Cannabis-Aktivist und Jugendrichter am | |
Amtsgericht Bernau bei Berlin, [1][im Interview mit der taz]: „Deutsche | |
Gründlichkeit könnte verhindern, dass es zu einem Ergebnis kommt.“ | |
Deshalb verbanden viele die von Karl Lauterbach im Herbst vorgelegten | |
Eckpunkte mit neuen Hoffnungen. Der Gesundheitsminister, lange kein | |
Befürworter der Legalisierung, berichtete gar, [2][selbst gekifft zu | |
haben]. Die Wirkung des vermeintlichen „Teufelskrauts“ habe er als angenehm | |
empfunden. Zunächst wolle er die EU prüfen lassen, ob die deutschen Pläne | |
zur Legalisierung rechtlich umsetzbar seien. Denn die rechtlichen Hürden | |
sind hoch. Deutschland hat mehrere Völkerrechtsabkommen zu Cannabis | |
unterzeichnet, allen voran die [3][UN-Konvention über Betäubungsmittel] von | |
1961. Durch sie ist im Prinzip alles, was mit Cannabis zu tun hat, | |
verboten, vom Anbau über den Verkauf bis zum Handel. Aus dem Abkommen aus- | |
und wieder einzusteigen, wäre ein Weg, den etwa Bolivien gewählt hat. Doch | |
die Frist ist bereits verstrichen. Deutschland hätte bis Juli '22 aus dem | |
Abkommen austreten müssen, um die Legalisierung 2023 zu erreichen. | |
## EU setzt enge Grenzen | |
Noch schwieriger ist es mit dem EU-Recht. Das Schengen-Protokoll von 1990 | |
verpflichtet die Mitgliedstaaten, die unerlaubte Ausfuhr und Abgabe „von | |
Suchtstoffen und psychotropen Stoffen aller Art einschließlich Cannabis“ | |
strafrechtlich zu unterbinden. Zudem schreibt ein EU-Rahmenbeschluss von | |
2004 vor, dass Herstellung, Anbau, Verkauf, Transport oder Ein- und Ausfuhr | |
von Drogen inklusive Cannabis unter Strafe gestellt werden müssen. Nur eine | |
Ausnahme gibt es: Wenn diese Handlungen „ausschließlich“ für den | |
„persönlichen Konsum“ unternommen werden, dürfen die einzelnen EU-Länder… | |
ihrer nationalen Rechtsprechung abweichende Regelungen treffen. | |
Deutschland könnte deshalb zwar den Besitz geringer Mengen Cannabis oder | |
den Anbau von ein paar Pflanzen für den Eigengebrauch erlauben oder | |
zumindest straffrei ermöglichen – mehr lässt das Recht derzeit aber nicht | |
zu. Die „holländische“ Regierung geht jedoch weiter: Über den Tresen darf | |
legal verkauft werden, was illegal durch die Hintertür geliefert wurde. | |
Sonst werden der Schwarzmarkt und die organisierte Kriminalität gefördert. | |
Die Bundesregierung setzt deshalb auf eine neue Interpretation des EU- und | |
des Völkerrechts. Sie will den Schwarzmarkt trockenlegen, um Jugend- und | |
Gesundheitsschutz zu verbessern. Um weiteren Gegenwind aus der EU zu | |
vermeiden, will die Bundesregierung zudem ausschließlich in Deutschland | |
angebaute Hanfprodukte zum Konsum freigeben. | |
## Lauterbach leistet Überzeugungsarbeit | |
Vor diesem Hintergrund ließ sich auch das [4][im Oktober vorgelegte | |
Eckpunktepapier] noch als Teil einer cleveren Strategie gegenüber Brüssel | |
interpretieren. Immerhin sollte Cannabis darin nicht mehr als | |
Betäubungsmittel eingestuft werden. | |
Anbauclubs waren dabei nicht vorgesehen und der Eigenbau stark eingegrenzt: | |
drei Pflanzen sollten erlaubt sein. Die Höchstmengen erschienen im Zuge | |
einer kompletten Legalisierung als befremdlich: straffrei gestellt werden | |
sollen [5][20 bis 30 Gramm für jeden] Erwachsenen. Das rauchen solide | |
Kiffer in einem Monat weg. | |
Schließlich zeigte sich aber, dass Lauterbachs Vorgehen in Brüssel nicht | |
überzeugte: Die EU konnte mit den eingereichten Dokumenten nichts anfangen. | |
Mit Eckpunkten allein konnte sie keinen juristischen Prüfprozess anstoßen. | |
Die zuständige Kommission braucht dafür einen Gesetzentwurf. Also legte | |
Lauterbach nach und versprach im Frühjahr einen Entwurf vorzulegen. Des | |
Weiteren habe er eine Studie in Auftrag gegeben, „um die EU-Kommission | |
davon zu überzeugen, dass durch unser geplantes Gesetz der Cannabiskonsum | |
begrenzt werden kann“, erklärte Lauterbach im November. | |
Berlin bekam rechtlichen Gegenwind aus Brüssel. „Es ist Sache der | |
Mitgliedstaaten zu entscheiden, wie sie den persönlichen Gebrauch von | |
Drogen, einschließlich Cannabis, behandeln“, zitierte die Legal Tribune | |
Online eine Sprecherin der zuständigen Kommission. Auf dieser Sicht zu | |
beharren, bedeutet aber im Umkehrschluss: Handel und Produktion unterliegen | |
weiterhin dem EU-Recht. | |
## Bayern fühlt sich bestätigt | |
Die Kritik der EU bestärkte auch die deutschen Kritiker des Projekts, allen | |
voran Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU). Er traf im | |
November in Brüssel Monique Pariat, Ansprechpartnerin für die deutschen | |
Legalisierungpläne. Er habe den Eindruck, dass die Kommission vor allem den | |
Verkauf von Cannabis europarechtlich problematisch sehe: „Ich bin | |
optimistisch, dass die EU-Kommission als ausgleichendes Element auf die | |
hitzige Legalisierungsdebatte in Deutschland einwirken wird“, [6][erklärte | |
Holetschek nach dem Gespräch]. Zudem habe er „ein Rechtsgutachten in | |
Auftrag gegeben, um die völker- und europarechtlichen Grenzen einer | |
Cannabis-Legalisierung in Deutschland zu klären.“ Er wolle es der | |
Kommission zur Verfügung stellen, bis Ende Februar werde es fertig sein. | |
Damit könnte Holetschek Lauterbach einen Monat voraus sein. | |
Dass die Gegner der Legalisierung das SPD-geführte Gesundheitsministerium | |
nun versuchen, rechts zu überholen, hat den Koalitionspartner auf den Plan | |
gerufen. „Die kontrollierte Freigabe von Cannabis ist im Koalitionsvertrag | |
vereinbart. Der Gesundheitsminister muss nun zeitnah einen Gesetzentwurf | |
vorlegen“, sagte die drogenpolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, | |
Kirsten Kappert-Gonther, vergangene Woche der dpa. Die „ewig-gestrigen“ | |
Opponenten des Vorhabens nutzten ein mögliches Veto der EU als Vorwand. | |
Doch das Verfahren in Brüssel dürfe den Prozess nicht weiter verschleppen. | |
EU-Recht könne nicht als Totschlagargument dienen. Eine Vorhersage, wann | |
die Legalisierung kommt, machte sie allerdings nicht. „Ich setze mich dafür | |
ein, dass es so schnell wie möglich passiert“, so Kappert-Gonther. | |
Lauterbach hat die Legalisierung als einen großen Vorstoß angekündigt, als | |
ein „Modell für Europa“. Doch wenn es nicht gelänge, die Kommission zu | |
überzeugen, würde er davon lieber komplett Abstand nehmen. Das wäre | |
blamabel für die SPD und für viele Konsument*innen ein Desaster. | |
Die Linke hat jüngst einen Gesetzentwurf in den Bundestag eingebracht, der | |
sich weitgehend mit einem Vorschlag der Organisation Law Enforcement | |
Against Prohibition (LEAP) deckt: Erwachsenen soll der Erwerb und Besitz | |
von bis zu 30 Gramm Cannabis erlaubt sein, ebenso der Anbau und der Besitz | |
von bis zu drei weiblichen, blühenden Hanfpflanzen für den Eigenbedarf. | |
9 Jan 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Interview-mit-Richter-Andreas-Mueller/!5871530 | |
[2] https://hanfjournal.de/2022/08/14/karl-lauterbach-hat-gekifft/ | |
[3] https://www.unodc.org/unodc/en/treaties/single-convention.html | |
[4] /Cannabis-Legalisierung-in-Deutschland/!5887274 | |
[5] /Plaene-zur-Cannabis-Legalisierung/!5887261 | |
[6] https://www.stmgp.bayern.de/presse/holetschek-wirbt-bei-eu-kommission-fuer-… | |
## AUTOREN | |
Oliver Schulz | |
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