| # taz.de -- Die Wahrheit: Angesteckt von Doktor Omikron | |
| > Manche Genies lassen sich termingerecht mit Corona infizieren. Ein Besuch | |
| > in einer dubiosen Arztpraxis in Frankfurt am Main. | |
| Alles beginnt mit einem Versprecher. Eigentlich wollten wir bei unserer | |
| Recherche Licht ins Dunkel bringen um mysteriöse Zahlungen zwischen dem | |
| Management der Hamburger Band Tocotronic („Nie wieder Krieg“) und dem | |
| Moskauer Kreml („Mal wieder Krieg“). Doch dann verplapperte sich ein | |
| Informant, der Tocotronic-Sänger Dirk von Lowtzow könne in der nächsten | |
| Woche kein Interview geben, der habe dann Corona: „Äh, ich meinte natürlich | |
| Urlaub.“ | |
| Wir haken sofort nach: Wieso er jetzt schon wissen könne, wann er Corona | |
| habe? Der Whistleblower beharrt auf seinem Versprecher, aber wir sind | |
| hellhörig geworden. Gibt es planbare Corona-Infektionen? Dieses Thema | |
| erscheint uns plötzlich viel interessanter als die Frage, ob Tocotronic aus | |
| Marketinggründen die Ukrainekrise provoziert hat. Denken wir nur an | |
| Frankfurt, Deutschlands Finanzplatz Nummer eins, wo Termingeschäfte das A | |
| und O sind, dort zum Beispiel stellen krankheitsbedingte Ausfälle einen | |
| immensen Verlust dar. | |
| Wir hören uns in der Bankerszene um und treffen Leander N. (Name geändert). | |
| Der 31-jährige Broker einer internationalen Großbank ist bereit, mit uns | |
| per Videocall zu sprechen. Homeoffice ist bei ihm kein Thema, sein Home ist | |
| das Office. Hier arbeite er bis zu 170 Stunden pro Woche. | |
| „Aber das sind mehr Stunden, als eine Woche hat“, werfen wir ein. Leander | |
| lächelt uns mit der Nachsicht an, die man kleinen Kindern entgegenbringt. | |
| „Zeitverschiebungen eingerechnet“, erklärt er, mehrfach pro Woche pendele | |
| er zwischen Tokio, Singapur, New York und Frankfurt. Corona sei ein | |
| terminliches High Risk. Zum Glück hätte die Betriebsärztin alle Impfungen | |
| direkt am Schreibtisch vorgenommen. Während des Booster-Stichs habe er zwei | |
| Containerschiffe in China gekauft. „Eine Infektion von heute auf morgen | |
| kostet pro verpasstes Meeting einen siebenstelligen Betrag!“ | |
| Das Management der Bank geht davon aus, dass niemand der Omikronwelle | |
| entgehen wird, es setze daher auf eine Full-Covid-Strategie. Alle | |
| Mitarbeiter seien angehalten, ihre Infektion rechtzeitig vorher anzumelden. | |
| Nur deshalb kann Leander N. überhaupt mit uns sprechen. Wäre er nicht | |
| gerade erkrankt, könnten wir uns das Gespräch mit ihm gar nicht leisten, | |
| prahlt er. Das macht dann auch die Betriebsärztin? Nein, die hätte | |
| „irgendwas mit Ethos“, aber da gäbe es ja andere Wege. „Spezialisten“, | |
| raunt Leander und verabschiedet sich aus dem Call; er hätte ohnehin schon | |
| viel zu viel gesagt. | |
| ## Behandlungskosten können auch in Bitcoin entrichtet werden | |
| Ein paar Tage später melden wir uns in der Privatpraxis von Dr. Wassili | |
| Bazilajew, einem kasachischen Arzt im Frankfurter Bahnhofsviertel, als | |
| Leading Assistent Observation Manager der Truth Daily Media Group an. | |
| Krankenkassenkarten werden nicht eingelesen, alle Leistungen werden ohnehin | |
| privat abgerechnet, die 889 Euro Behandlungskosten könnte man problemlos | |
| auch in Bitcoin entrichten. | |
| Im Wartezimmer sieht es aus wie vorm Espresso-Vollautomaten einer | |
| Privatbank: ein kleiner Auflauf aus Slim-fit-Anzügen und Business-Kostümen, | |
| alle so schwarz, als werde gerade eine Währung zu Grabe getragen. | |
| Dr. Bazilajew selbst wirkt wie der gutmütige Onkel aus tschechischen | |
| Märchenfilmen. Ein erstklassiger Mediziner mit ausgeprägtem Geschäftssinn. | |
| Er ist der Arzt, dem die Märkte vertrauen. Er gibt dem Business das, was es | |
| hinter den Kulissen braucht: medizinisches Koffein für die Zoom-Konfi mit | |
| L.A. nachts um halb fünf, Botox gegen die Augenringe und noch allerhand | |
| mehr, was der Betäubungsmittelmarkt an Verschreibungspflichtigem hergibt. | |
| Und zurzeit auch geplante Covidinfektionen. Sei es, um den Genesenen-Status | |
| punktgenau aufzufrischen oder die lästige Humankapitalschwäche rechtzeitig | |
| vor wichtigen Geschäftsreisen hinter sich zu bringen. | |
| Wir schildern unseren Wunsch, verweisen auf wichtige Termine in drei | |
| Wochen, würden wir dort ausfallen, bräche die Weltwirtschaft zusammen. | |
| „Also das Übliche“, stellt Bazilajew fest. „Ich staune immer wieder, an … | |
| vielen Menschen die Weltwirtschaft hängt! Wissen Sie, wann die | |
| Weltwirtschaft wirklich zusammenbricht?“, fragt er und grinst. „Wenn ich | |
| krank würde.“ | |
| „Und Sie können uns infizieren?“, fragen wir vorsichtig. „Aber neeein! | |
| Njet!“ Infizieren dürfe er uns natürlich nicht, wegen Hippokrates. „Ich b… | |
| schließlich Arzt, kein chinesisches Labor.“ Er lacht scheppernd über seinen | |
| Witz, sein Schnauzbart zittert, infizieren müssten wir uns schon selbst. | |
| „Aber keine Sorge, in spätestens 16 Tagen sind Sie mit allem durch!“ Dann | |
| legt er uns eine 20-seitige Haftungsausschluss- und | |
| Verschwiegenheitserklärung vor. | |
| Bald werden wir aufgerufen. „Truth Daily in Infektion 1 bitte.“ Eine | |
| überaus attraktive Krankenschwester führt uns in einen kleinen | |
| Behandlungsraum. Als erstes reicht sie uns eine hermetisch verschlossene | |
| PVC-Box mit einigen Bauklötzen. „Bitte drei davon ablecken“, weist sie uns | |
| an. „Die haben wir heute morgen frisch aus einer gerade geschlossenen Kita | |
| erhalten.“ Anschließend atmen wir zwei Minuten in eine leicht verranzte | |
| Plastiktüte. „Nein! Nicht in die Tüte, aus der Tüte atmen!“, korrigiert … | |
| Schwester, der Beutel enthalte garantiert infizierte Atemluft. „Und dann | |
| warten Sie bitte noch einen Moment, bis wir Sie aufrufen.“ | |
| ## Dumpfe Schimpftiraden mit sagenhaft feuchtem Atem | |
| Ein alter unrasierter Mann betritt den Raum und nimmt gegenüber Platz. | |
| Leise schimpft er vor sich hin. „Und wieso Sie hier?“, fragt er mit starkem | |
| russischem Akzent. „Corona“, nuscheln wir. „Ja, ja!“, schnauft er. „A… | |
| hier wegen Corona. Weiß ich gar nicht, was Doktor will von mir. Erst soll | |
| ich warten hier, dann soll ich warten da, dann soll ich wieder warten hier. | |
| Wieso das?“ Sein Atem riecht sagenhaft feucht. „Ja, ist guter Arzt, | |
| behandelt auch arme Leut’ wie mich, aber ich bin alter Mann!“, flucht er. | |
| „Dauert immer ewig hier. Nicht fair. Ganzen Tag geht schon so. Dabei ich | |
| nur wissen will, ob ich Coronatest positiv oder njet.“ | |
| Ein Hustenanfall unterbricht seine Suada. Sein feuchter Atmen lässt in der | |
| engen Kabine unsere Brillengläser beschlagen. Staunend sitzen wir mit | |
| offenem Mund da. Langsam wird uns klar, wieso man Dr. Bazilajew den „guten | |
| Mensch von Frankfurt“ oder auch „Doktor Omikron“ nennt. Der feine | |
| Weißkittel behandelt pro bono, also umsonst, auch mittellose Deutschrussen. | |
| Endlich ruft uns die Arzthelferin auf. | |
| „Das war’s dann“, sagt sie. „Bitte setzen Sie Ihre Maske auf, und sollt… | |
| Sie in drei Tagen noch negativ sein, melden Sie sich bitte noch mal.“ | |
| Beim Blick ins Wartezimmer kommt uns ein Gesicht vage bekannt vor. Dann | |
| hören wir schon: „Herr von Lowtzow, bitte in Infektion 2.“ Auch die nächs… | |
| Tocotronic-Tournee ist wohl gesichert: „Jugend ohne Gott gegen Corona“. | |
| 12 Feb 2022 | |
| ## AUTOREN | |
| Volker Surmann | |
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