# taz.de -- Die Wahrheit: Die neuen Drückerkolonnen | |
> Neuer Trick gegen Corona: Impfen an der Haustür – die | |
> Ad-hoc-Vakzinierungskampagne aus dem Hause Lauterbach boomt. | |
Bild: Impfstraßenhändlerin Anne S. im vollen Einsatz | |
Die Impfkampagne der Bundesregierung stockt mal wieder. „Wir müssen die | |
Impfung zu den Menschen bringen“, gibt Gesundheitsminister Karl Lauterbach | |
(SPD) als neue Losung aus. Dabei sollen Synergieeffekte genutzt werden: | |
Die, die eh schon an den Haustüren unterwegs sind, sollen das Impfen gleich | |
mitübernehmen. | |
Wir begleiten Ralf und Babette (alle Namen geändert). Ralf trägt einen | |
schwarzen Anzug, weißes Hemd, seine Haare sind akkurat gegelt, Babette | |
folgt ihm in einem mausgrauen, schlichten Kleid. Wir betreten ein Mietshaus | |
und beginnen im obersten Stock. „Guten Tag. Haben Sie einen Moment Zeit? | |
Wir würden mit Ihnen gerne über Impfungen sprechen“, hebt Ralf an. „… u… | |
Gott“, schiebt Babette hinterher. Tapfer halten beide ihre aktuellen | |
Publikationen in Händen: Der Wachtturm und Das Spritzenhaus. | |
Hier haben sie keinen Erfolg, die Mieterin Frau Yüksül ist bereits geimpft | |
und hat auch schon einen Gott. Doch ein paar Türen weiter sind sie | |
erfolgreich. „Impfung? Kommt jar nich in Frage. Ich lass mich doch nicht | |
vergiften!“, schimpft Renate Molkow. „Dürfen wir mit Ihnen denn über | |
Vergiftung sprechen?“ – „Aber hallo, komm Se rin! Endlich mal jemand, der | |
mir zuhört!“ | |
„Seit wir das Thema Impfen mit ansprechen, werden wir viel öfter | |
eingelassen“, zeigt sich Babette erfreut. „Man kommt viel leichter ins | |
Gespräch.“ – „Ist ja auch so eine Art Religion“, wirft Ralf ein. Für … | |
ist Impfgegnerschaft längst ein Götzendienst: „Wir sind im Auftrage des | |
Herrn unterwegs.“ „… und des Herrn Lauterbach“, ergänzt Babette. | |
## HauReIN! | |
Ausgebildet wurden die beiden wie viele andere im Modellprojekt | |
Hausimpfung und Reliable Immunisierung in Normalumgebung (HauReIN) des | |
Bundesgesundheitsministeriums. | |
Auch Ronny Peschke hat den dreitägigen Intensivkurs in Ad-hoc-Vakzinierung | |
abgeschlossen. Er arbeitet als Heizungsableser bei einem großen deutschen | |
Ablseservice. Auch er hat immer ein paar Impfdosen in einer kleinen Kühlbox | |
dabei. Gerade hat er bei Cordula Holzkamp die Heizkostenverteiler abgelesen | |
und lässt sich die Ablesung quittieren. | |
„Könnte ich Ihr Impfbuch auch noch sehen?“, fragt er die alte Dame, die | |
sich zwar wundert, aber anstandslos ihr gelbes Heft unter einem | |
Brokatdeckchen hervorzieht. | |
## Rohr verlegen | |
„Aber da fehlt ja noch der Booster! Ohne den kann ich natürlich nicht | |
wieder gehen.“ – „Und Sie können das auch?“ – „Aber Frau Holtkamp�… | |
deutet auf seinen Werkzeugkasten mit Hunderten Ableseröhrchen. „Seh ich so | |
aus, als könnte ich nicht mit dünnen Röhrchen mit Flüssigkeit umgehen?“ | |
Frau Holtkamp lacht. Ronny zieht die Spritze auf. | |
„Nicht immer geht es so einfach“, sagt er draußen im Treppenhaus. „Manch… | |
hilft aber schon ein Hinweis darauf, dass die Deutsche Wohnen Heizen ab | |
Februar nur noch für 2G-plus anbietet. Und der Deutschen Wohnen traut man | |
das sofort zu.“ | |
Im Nachbarort ist unterdessen Serim auf seiner täglichen Tour als | |
DPD-Paketbote. Auch er liefert zusätzlich fürs RKI aus. Gerade will er | |
Jasmin Butt ein Paket überreichen, und wir werden Zeuge des folgenden | |
Haustürdialogs: „Hier, ein Paket von Apple.“ – „Oh, geil, mein neues | |
iPhone! Isch bin voll happy!“ – „Sie müssten noch den Empfang quittieren, | |
bitte machen Sie mal den Oberarm frei.“ – „Was soll isch tuen?“ – „… | |
sind Sie geimpft?“ – „Isch? Näää, habisch irgendwie noch nicht geschaf… | |
– „Tut mir leid. Zustellung nur an 2G-plus.“ Serim ist unnachgiebig. Butts | |
Einwand, „voll Angst vor den Wirkungen zu haben“, begegnet er routiniert | |
mit dem Hinweis, dann werde er ihr neues iPhone am Nachmittag halt in | |
irgendeinem Pick-up-Shop abliefern und leider vergessen, ihr eine Karte in | |
den Kasten zu werfen. | |
## Schwarz geimpft | |
„Escht?“ Zwei Minuten später hält Jasmin Butt ihr neues Telefon und ein | |
Impfzertifikat in Händen. | |
Auch Serim ist glücklich: „Ehrlich gesagt, ich find das mit der Spritze | |
super. Ist Ihnen schon mal aufgefallen: Dieses Unterschreiben auf diesen | |
kleinen Geräten, die wir immer dabeihaben, diese Stifte, die funktionieren | |
eigentlich nie. So ’ne Spritze, die funktioniert immer!“ | |
Auch Walpurga Schwarz impft bei der Arbeit, sogar in beiden Jobs. Normal | |
arbeitet sie als Arzthelferin in Teilzeit, nebenberuflich ist sie | |
freischaffende Domina mit eigenem Studio. Sie baut die Impfung als | |
Extra-Thrill ins sadomasochistische Liebesspiel ein. „Wehrlos ist halt | |
wehrlos“, lacht sie, während sie einem gut verschnürt jaulenden Kunden mit | |
einer Hand den Popo versohlt und mit rechts unbemerkt eine Dosis Biontech | |
in den Oberarm drückt. „Die Kunst ist, die Schmerzempfindung einfach zu | |
überschreiben. Ideal für Spritzenphobiker! Die wundern sich immer, dass sie | |
hier immunisiert rausgehen.“ | |
Wir würden gern den Impfling dazu befragen, aber er hat gerade eine | |
Gummikugel im Mund. Selbst hartnäckige Impfverweigerer haben bei Walpurga | |
schon ihren ersten Schuss bekommen, manche auch unwissend, wie Walpurga | |
hinter vorgehaltener Hand verrät: „Ein paar der lautesten Impfgegner konnte | |
ich auf die Weise schon impfen.“ Sie lacht. „Nicht die ganze AfD-Fraktion | |
im Bundestag ist ungeimpft.“ | |
## 1.421 Dosen | |
Und die Impfwirkungen? „Sagen wir es so“, Walpurga Schwarz lacht. „Die | |
Nachwirkungen meiner weitergehenden Behandlungen spüren meine Kunden noch | |
am Folgetag, die Impfung nicht.“ 1.421 Impfdosen konnten die | |
Absolvent*innen des Modellprojekts HauReIN bislang verabreichen, und es | |
werden täglich mehr. Das Projekt soll ausgeweitet werden. | |
„Wir versuchen, derzeit noch weitere Berufsgruppen einzubinden, deren | |
zentraler Inhalt es ist, zu den Menschen nach Hause zu kommen“, erläutert | |
Lea Stolzenfels, wissenschaftliche Mitarbeiterin Karl Lauterbachs: „Also | |
Amazon-Boten, Tupperparty-Damen, Staubsaugervertreter, Lieferando-Fahrer, | |
klassische Drückerkolonnen, vielleicht auch Einbrecher.“ | |
Sehr erfolgversprechend sei auch eine geplante Kooperation mit der | |
Handwerkskammer. „Da verknüpfen wir einfach Impfmüdigkeit mit dem | |
Handwerkermangel zu einer Win-win-Situation“, so Stolzenfels. | |
„Handwerkertermine nur noch an Impfwillige!“ | |
Der Lüneburger Klempner Günter Demel praktiziert dies schon jetzt: „Den | |
Ungeimpften haben wir die ganze Scheiße doch zu verdanken. Sollen sie doch | |
selbst drin stehen bleiben, wenn das Klo das nächste Mal wieder überläuft. | |
Rohr frei nur gegen Armpieks.“ | |
Wir kehren zurück zu Ralf und Babette und ihrem Besuch bei Frau Molkow. Die | |
beiden Zeugen Coronas haben die 53-jährige Waldorfpädagogin für alternative | |
Physik und textiles Gestalten durch ausufernde Gespräche über Gott | |
erfolgreich sediert. Sie hat inzwischen ein Schnupperabo bei den Zeugen | |
Jehovas abgeschlossen, „und auch ihre Oberarmmuskeln sind vorbildlich | |
entspannt“, sagt Babette, als sie die Spritze ansetzt. | |
24 Jan 2022 | |
## AUTOREN | |
Volker Surmann | |
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