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# taz.de -- Die Wahrheit: Krake im Laborkittel
> Christian Drostens stets zutreffende Voraussagen zur Pandemie haben
> findige Studierende an der Berliner Charité auf eine Idee gebracht.
Bild: Professer Drosten setzt die Orakeltradition von Pythia (Priesterin) und P…
Auf einem schlecht beleuchteten Gang der Berliner Charité begegnen wir Finn
und Levin, zwei Medizinstudenten aus dem dritten Semester. Unauffällig
lümmeln die beiden vor einer Fensternische herum und tun so, als könnten
sie mit der Medizinerbibel Pschyrembel etwas anfangen. Doch längst ist ihr
Studium nur noch eine Legende für ein viel lukrativeres Business.
„Psst! Er kommt!“, zischt Levin, als Christian Drosten aus dem Fahrstuhl
schlurft und mit wehenden schwarzen Locken zum Eingang der Virologie
trottet. Dann die Entscheidung: Nimmt er den linken oder rechten Flügel der
Doppeltür? „Wir haben das beobachtet: Er hat keinen Stammflügel. Er
entscheidet spontan und intuitiv.“
## Schrift auf dem Türgriff
Auf einem Türgriff haben die beiden Studenten „Ja“, auf den anderen „Nei…
notiert. Kaum sichtbar, mit Edding auf schwarzem Lack. Christian Drosten
geht durchs „Ja“ und verschwindet aus dem Sichtfeld.
Finn greift zum Smartphone und spricht leise hinein: „Hallo. Ja, hier ist
das Orakel von Delta. Es hat gesprochen: Der Professor meint auch, du
sollst das Kind bekommen.“ Aus dem Hörer ertönt glückliches Schluchzen.
Deutschlands führender Virologe hat wohl mal wieder ins Schwarze getroffen.
Sehr spannend sind die Vorgänge hier nicht, das legendäre WM-Orakel des
Kraken Paul war aufregender. Trotzdem ist Christian Drosten sein legitimer
Erbe: ein Krake im Laborkittel. Und ein würdiger Nachfolger, denn seine
Trefferquote ist hoch.
## Door Opener für den Kandidaten
Auf der Website Orakel-von-Delta.de bieten die geschäftstüchtigen
Jungmediziner ihren Weissagungsservice an, die Hinweise auf Christian
Drosten sind verklausuliert: „Sie wollten Gewissheit? Einen entscheidenden
Rat für Ihr Leben? Vertrauen Sie der Stimme, die seit 20 Monaten nie falsch
lag. Wir können dem klügsten Kopf Deutschlands eine Weissagung entlocken.“
„Das mit dem Entlocken macht es klar, nicht wahr?“, fragt Levin, und wir
nicken. Eine einfache Ja/Nein-Frage kostet um die 200 Euro. Komplexere
Fragen müssen individuell verhandelt werden.
„Ich will nichts sagen. Aber dass ein bestimmter Herr für den CDU-Vorsitz
kandidiert, daran ist diese Tür da nicht ganz unschuldig“, raunt uns Finn
zu und grinst, will aber partout nicht verraten, für welche Parteigröße
Christian Drosten der Door Opener war.
Doch nur ein Teil der Orakelsprüche wird von den pfiffigen Studiosi
verkauft, einige Vorhersagen nutzen sie auch selbst. „Als Hiwis der
Abteilung haben wir direkten Zugang zum Professor und seinen Assistenten.“
So sei es ein Leichtes, Klemmbretter, auf denen Christian Drosten neueste
Fallzahlen notiert, oder Notizzettel an seinem Telefon mit verdeckten
Fragestellungen zu präparieren. „Unsere Aufgabe ist ja ohnehin, solche
Daten einzupflegen.“
## Sauklaue mit Methode
Auf diese Weise hat Deutschlands Chefvirologe das 4:1 der Deutschen
Nationalmannschaft gegen Armenien ebenso richtig vorausgesagt wie das
Wahlergebnis der Bundestagswahl oder fünf richtige Ziffern beim Lotto am
Mittwoch. „Das lag aber nur an seiner Sauklaue!“, fährt Finn seinen Kumpel
an: „Ich hab dir gleich gesagt, das war eine 9 und keine 4!“
Gelegentlich werden die beiden erfinderisch. Vor der Bundestagswahl
platzierten sie in der Teeküche der Virologie eine schwarze Tasse, eine
grüne … „Dann noch eine rote wäre zu auffällig geworden. Wir haben
stattdessen eine trübe Tasse genommen. In der Woche vor der Wahl lief der
Professor mit keiner anderen herum. Damit war das Ergebnis klar.“
Aber wie genau erhält man von Christian Drosten einen Tipp für ein
Fußballspiel? Im Detail wollen die beiden ihre Methoden nicht verraten.
„Man kann es sich so vorstellen: Sie fragen ihn beiläufig im Labor, ob er
sich das Länderspiel anschaut, schließlich ist er großer Fan vom VfL
Osnabrück, und erhalten als Antwort: ‚Nein, ich habe um vier noch ein
Interview‘. Zack. 4:1.“
## Prinzip des Ominösen
Exakt so sei es natürlich nicht gewesen, aber so funktioniere das „ominöse
Prinzip“. Bei den Buchmachern brachte den beiden der Tipp nicht viel ein.
Nur fünf Prozent Rendite, wenn auch in elf Wettbüros. Erfolgreicher war das
Pferderennen in Baden-Baden, als Drosten den Sieg für Bahn 3 voraussagte
und Finn und Levin alles auf den Außenseiter „Flügelzange“ setzten.
Mit ihren Weissagungen haben die beiden Studenten inzwischen einen fast
sechsstelligen Betrag erwirtschaftet „Damit machen wir irgendwann mal eine
virologische Gemeinschaftspraxis auf.“
Inzwischen verfolgen sie und ihre Mitstreiter Drosten auf Schritt und
Tritt. „Natürlich ohne dass er es merkt.“ Und Deutschlands
drittbekanntester Mediziner (nach Hirschhausen und Lauterbach) beantwortet
laufend Fragen, von denen er nicht ahnt, dass sie ihm gestellt wurden. „Wir
würden es ihm ja gönnen, dass er wüsste, wie sehr die Menschen seine
Weissagungen lieben. Er leidet sehr darunter, dass ihm sonst niemand
zuhört.“ Die Studenten haben zusammengelegt und dem Professor zum
Geburtstag eine Kaffeetasse mit dem Text „Der Kassandra von Berlin“
geschenkt. Das hat ihn gefreut.
## Schwarze Bohne, weiße Bohne
„In der Kantine wählte er heute als Beilage schwarze Bohnen. Obwohl es auch
weiße gab!“, liest Levin gerade aufgeregt von seinem Smartphone ab.
„Oha. Das wird unserem Klienten aber gar nicht gefallen“, seufzt Finn.
„So hat Drosten gesprochen! Nein heißt Nein.“ Wir verstehen nichts, Levin
klärt uns auf: Mit dem Griff in einen Krug mit schwarzen und weißen Bohnen
hat schon das Orakel von Delphi einstmals auf Ja/Nein-Fragen geantwortet.
Vor irgendeinem Altar wird an diesem Wochenende ein „Nein“ erklingen. Die
Bohnen waren schuld, aber sicher wird man auch in diesem Fall hinterher
sagen können: Ja, das war schon richtig so.
29 Nov 2021
## AUTOREN
Volker Surmann
## TAGS
Christian Drosten
Charité
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