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# taz.de -- Die Wahrheit: Silbereisen für Silberspur
> Gärtner rücken der Nacktschnecke gern martialisch zu Leibe. Naturschützer
> fordern jetzt die Rettung dieser nackten Kanone.
Bild: Feuchtschleimige Party im Beet: So feiert sie, die Nacktschnecke
Wer Menschen mit Garten kennt, kennt auch das Triumphgeheul passionierter
Salatophiler, wenn sie mit dem manischen Blick eines erfolgreichen
Amokschützen von der letzten Schneckenjagd berichten: „Sechzig Stück hab
ich mit dem Spaten erwischt!“, sabbern sie mit Schaum vorm Mund, wischen
sich den Schweiß ab und verschmieren silbrigen Schneckenschleim auf ihrer
Stirn.
Sie werden mit Rosenscheren zerschnitten, mit Spaten zerhackt oder mit
kochendem Wasser übergossen, sie werden in sengender Sonne gedörrt, in
Billigbier ersäuft, deportiert in den Wald, Igeln zum Fraß vorgeworfen oder
in Kleingärten von Nazis ausgesetzt. Keine Misshandlung ist ansonsten
harmlosen Grünpflanzenliebhabern brutal genug, um der vermeintlichen
Plagegeister Herr und Frau zu werden.
„Vor allem die Braune oder auch Spanische Wegschnecke macht
Gärtner*innen zu schaffen, da sie wegen ihres unappetitlichen Schleims
von Fressfeinden gemieden wird“, erklärt Mira Häuser, Nudistmolluskologin
am Institut für Schleimtierforschung der Universität Lübeck. „Wir haben
schon Igel beobachtet, die sich nach dem Lecken an einem Exemplar übergaben
oder vor fahrende Lkw gestürzt haben.“
Nur zwei Spezies auf der Welt fressen die vermehrungsfreudigen
Proteinwürstel auf Salatbett: der Iberische Säbelzahnigel und die Indische
Laufente. Ersterer ist seit 11.000 Jahren ausgestorben, Letztere wurde
einmal dabei beobachtet, wie sie eine Nacktschnecke herunterwürgte, und
muss seitdem ihr Dasein in der biologischen Schädlingsbekämpfung fristen.
## Tiere als Waffe
„Ein Unding!“, schimpft Tilman Gause vom Verein Silberspur e. V. –
Gesellschaft zur Rettung bedrohter Nacktschnecken. „Das ist doch pervers!
Der Mensch setzt Tiere als tödliche Waffe gegen andere Lebewesen ein, pfui
Teufel!“
Silberspur e. V. hat sich der Rettung bedrohter Nacktschnecken
verschrieben. Aber wie kann eine Art bedroht sein, die hierzulande als
Gartenschädling Nummer eins geführt wird? „Na, schauen Sie doch mal in
unsere Gärten!“, wütet Gause. „Jeden frühen Abend dieselben Massaker! Und
Sie wollen sagen, die Tiere wären nicht bedroht!?“ Er tritt, mit einer
Heckenschere klappernd, auf uns zu. „Wie würden Sie sich fühlen, wenn man
sie hiermit zweiteilt? Was in unseren Gärten stattfindet, ist ein
Vernichtungsfeldzug am wirbellosen Leben, ein Genoz…“
Wir unterbrechen Gause, wollen diese Wortwahl des radikalen
Schneckenrechtlers so nicht stehen lassen, zumal man damit in ideologisch
aufgewühlte Fahrwasser geriete, ist doch allgemein bekannt, dass Adolf
Hitler großer Freund der Braunen Wegschnecke war, die im Dritten Reich auch
den Beinamen Arische Führerschnecke trug.
Die praktische Arbeit der Schneckenschützer ist weitaus unverfänglicher.
Die Männer und Frauen von Silberspur sammeln bedrohte Exemplare ein, für
manch vegane Gartenbesitzerin sind sie die letzte Hoffnung. „Ohne sie wär
ich im letzten Jahr verhungert“, schluchzt Jana, vegan lebende
Schrebergärtnerin aus Berlin-Neukölln. „Oder ich wäre zur Tiermörderin
geworden. Ich stand schon mit der Rosenschere im Salat beziehungsweise in
dem, was davon übrig war.“
Silberspur rettet die Tiere und schenkt ihnen die Freiheit. Das ist in
diesem Fall ein leerer Swimmingpool im Garten eines Schneckenmäzens, in dem
sich inzwischen über 18.000 Wegschnecken in allen Schattierungen von Braun
tummeln. Pro Woche werden vier Lkw-Ladungen Bioblattsalat angeliefert, doch
langsam gehen die Mittel des Vereins zur Neige.
„Wir suchen dringend Menschen, die bereit sind, herrenlose Nacktschnecken
in ihren Gärten aufzunehmen. Adopt your slug! Und wir brauchen Spenden!“,
fordern die Aktivist*innen. Sie suchen auch nach prominenter Unterstützung
für ihr tierrechtliches Anliegen. „So wie Brigitte Bardot und Pelz! Am
liebsten hätten wir Florian Silbereisen! Silbereisen für Silberspur, klingt
doch super!“, fantasiert Tilman Gause. „Wir finden, Silbereisen wäre ein
hervorragender Imageträger für Nacktschnecken.“
Die Antwort des Stars steht indes noch aus. Einen Werbeträger will der
Verein jedoch keinesfalls, auch wenn die Nacktschnecke Armin Laschets
Lieblingstier sein soll: ohne Rückgrat durchs Leben, und trotzdem auf der
Siegerspur kriechen.
## Kupferblech als Abwehr
Doch wie nun den Salat schützen? Manche Gärtner*innen schwören auf
Kupferbleche um ihre Beete, da die Braune Wegschnecke das angeblich nicht
mag. Molluskologin Häuser hält dies für ein Gerücht. „Das wurde von der
Edelmetallmafia in die Welt gesetzt.“ Und zwar sehr erfolgreich. In vielen
Kleingartenanlagen häufen sich seither die Kupferdiebstähle.
Es gibt aber auch noch ganz andere Gründe, die possierlichen
Schleimspurwesen lieb zu haben. Bodysliming nennt sich der Trend, der in
jüngster Zeit Esoterikfestivals sowie die Trance- und Goaszene erfasst hat.
Ronja Scholz betreibt einen Bodyart-Stand am Rande des
Trees-Can-Dance-Festivals in Clausthal-Zellerfeld. Früher hat sie hier
Hennatattoos und Bodypainting angeboten, heute machen Silver Slimes den
Hauptteil ihrer Arbeit aus. „Henna war gestern“, ist Ronja überzeugt,
„heute sind Snuggies angesagt!“ Als Pionierin auf diesem Gebiet kann sie
die großen Braunen durch gezieltes Ausstreuen von Proteinködern nahezu
beliebige Wege auf der menschlichen Haut kriechen lassen. Dies erlaubt
filigrane Muster.
„Ist das nicht eklig?“, fragen wir den jungen Mann, der sich als Noah
vorstellt und auf dessen Bauch und Brust gerade drei eifrige Schnecken
silbrig verschlungene Ornamente hervorzaubern.
„Nö, wieso denn eklig?“, entgegnet Noah. „Jedenfalls nicht ekliger, als
psychogene Pilze zu fressen oder an Kröten zu lecken.“ Im Gegenteil:
Snugging sei „echt voll deepes Nature-Feeling“. Auf dem Dancefloor wird
Noah sehr bald mit seinem Bioglitter strahlen, und vielleicht blickt auf
diesem Wege auch die Nacktschnecke in eine glänzende Zukunft.
20 Aug 2021
## AUTOREN
Volker Surmann
## TAGS
Garten
Schädlinge
Natur
Christian Drosten
Die Wahrheit
Wahlkampf
E-Roller
Lockdown
Ausgangssperre
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