# taz.de -- Die Wahrheit: Schlaue Wasserwusler | |
> Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung (108): Otter leben | |
> sozial, kennen den Werkzeuggebrauch und sind nicht überaus ängstlich. | |
Bild: Niedlich durch Intelligenz: ein junger Otter | |
Otter, also Fischotter, Seeotter und Riesenotter, sind eigentlich zu klug | |
für ihre Lebenswelt, insgesamt unterfordert – so wie alle Landsäugetiere, | |
die irgendwann zurück ins Wasser gegangen sind. Mit dem auch dort tötenden | |
Menschen haben sie damals natürlich nicht rechnen können: vor sieben | |
Millionen Jahren, wie otter-world.com schätzt. Fast wären sie dann im | |
„Great Hunt“ ausgestorben. Aber heute, da Pelze verpönt und sie zudem | |
ganzjährig geschützt sind (nur die Subsistenzjagd ist noch erlaubt), | |
erholen sich die Otterpopulationen langsam. | |
Sie zählen zu den Mardern, unterscheiden sich aber dadurch, dass vor allem | |
Seeotter sozial leben und Werkzeuggebrauch kennen. Sie lösen mit einem | |
Stein Muscheln vom Boden und zerkleinern sie mit Hilfe eines zweiten Steins | |
auf ihrem Bauch. Auf dem nähren sie schwimmend ihr Junges, und auch die | |
Paarung findet Bauch zu Bauch im Wasser statt, ebenso die Geburt, das | |
Neugeborene kann sofort schwimmen. Am Ufer jonglieren die Seeotter aus | |
Langeweile manchmal mit runden Steinen. Sie haben keine Fettschicht, | |
sondern einen besonders dichten Pelz und verbringen viel Zeit mit | |
Fellpflege. Man kennt diese munteren Tiere aus dem Fernsehen. | |
Fischotter gab es zuletzt noch in der DDR, aber sie wurden dort selten | |
gesichtet. Auf jagdverband.de heißt es: „Heute stehen Fischotter | |
hierzulande zwar unter Schutz, es haben aber nur wenige hundert Fischotter | |
überlebt und diese finden kaum noch geeignete Lebensräume vor: | |
Flussbegradigungen und Wasserverunreinigungen schränken vor allem die | |
Nahrungsgrundlagen ein, das Ertrinken in Fischnetzen und Schiffsverkehr | |
sind weitere Todesursachen.“ | |
Schon mehrmals wollte ich sie mir lebend im Wildpark Schorfheide ansehen, | |
aber im unübersichtlichen Sumpf-Gehege der „Eurasischen Fischotter“ habe | |
ich sie nie entdecken können. Sie sind anscheinend vorwiegend nachts aktiv. | |
Und als Raubtiere, die man füttert, können sie sich viel Schlaf in ihren | |
wahrscheinlich gemütlichen Höhlen gönnen. | |
## Sie paaren sich auch an Land | |
Fischotter leben in beziehungsweise an Süßwasserseen und -flüssen, sie | |
brauchen klare fischreiche Gewässer und Ufer, an denen sie ihre Baue graben | |
können, deren Zugänge sie wie die Biber unter Wasser anlegen. Sie paaren | |
sich auch an Land, die Weibchen bekommen mitunter bis zu vier Junge. Diese | |
machen nach sechs Wochen ihre ersten Schwimmversuche. Wenn sie als Waisen | |
von Menschen aufgezogen werden, braucht es viel Überredungskunst, um sie | |
das erste Mal auch nur in eine mit Wasser gefüllte kleine Wanne zu | |
bekommen, ansonsten sind sie jedoch nicht sonderlich ängstlich und werden | |
leicht zahm. | |
Die Seeotter schlafen im Wasser – im Salzwasser, das sie trinken können. | |
Laut Wikipedia umwickeln sie sich vorm Schlafen mit Seetang, um nicht | |
abgetrieben zu werden. Ihr größter Feind sind Orcas, die Robben jagen | |
(viele jagen nur Lachse). Den Robben, namentlich den Hundsrobben, sehen die | |
Seeotter tatsächlich ähnlich. | |
An der kalifornischen Küste sind die rund 3.000 Seeotter heute eine | |
Attraktion und sehr beliebt, zahlreiche Prospekte und Reiseberichte | |
erwähnen sie, Biologen erforschen ihre Lebensweise. Und die Illustrierte | |
Stern schreibt: „Otter sind besonders niedliche Geschöpfe. Aber wer sie | |
darauf reduziert, tut ihnen Unrecht. Otter sind nämlich nicht nur putzig, | |
sondern auch noch überdurchschnittlich schlau. Eine neue Studie liefert | |
überraschende Erkenntnisse.“ Es ging um die Frage, „Prägt die Familie den | |
schlauen Otter?“ – so wie die schlauen Orcas alles von ihrer Familiengruppe | |
lernen. Nicht so die Otter: „Sie sind schon von Geburt an schlau“, | |
behaupten die Forscher. | |
## Verhaltenspsychologisch fundierte Zoopläne | |
Anders als in Kalifornien wurde in der Schweiz noch bis Ende des 19. | |
Jahrhunderts die Jagd auf die Fischotter als gemeine Fischräuber mit | |
Prämien der Kantone und vom Bund gefördert. Das ist zwar heute nicht mehr | |
der Fall, aber der Zürcher Zoodirektor Heini Hediger, dessen | |
verhaltenspsychologisch fundierte Zoopläne nahezu weltweit als vorbildlich | |
galten, wollte mit seiner 1970 eröffneten Fischotteranlage „das soziale | |
Verhältnis zwischen den Schweizern und den in der Schweiz nahezu | |
ausgestorbenen, doch äußerst unpopulären Fischottern“ verbessern, heißt es | |
in der Doktorarbeit der Kunstwissenschaftlerin Christina Katharina May. | |
„Die Szenografie der Wildnis“ (2020), in der es um „immersive Techniken in | |
zoologischen Gärten im 20. und 21. Jahrhundert“ geht, konkret: um die | |
Architekturen und Techniken in Hagenbecks Tierpark, im Zürcher Zoo und in | |
den Zoos von Seattle und Arnheim. Über die Fischotteranlage im Zürcher Zoo | |
schreibt die Autorin: „Fischotter wurden dort zwar bereits in den 1930er | |
Jahren gehalten, jedoch wurden sie immer wieder von Besuchern gequält oder | |
sogar getötet.“ | |
Hediger sorgte zunächst nach einer Bestandsaufnahme der Schweizer | |
Otterpopulationen dafür, dass sie 1952 unter Schutz gestellt wurden. Dann | |
konzipierte er die Fischotteranlage so, dass „die Blickdisposition und die | |
Gehegegestaltung Sympathien wecken sollten. Die Zootiere, teils keine | |
Europäischen Otter, sondern Himalaya-Otter, warben damit ex situ für den | |
Schutz von wildlebenden Fischottern in situ.“ | |
## Nicht mit Steinen werfen | |
Praktisch sollte die Dekonditionierung der Schweizer Fischotternhasser | |
„sowohl intellektuell über Verhaltensbeobachtungen in einem natürlich | |
erscheinenden Lebensraum erfolgen als auch unterbewusst über die | |
Betrachterdisposition und die Lichtführung.“ Zur Sicherheit wurden sie auch | |
daran gehindert, die Otter mit Steinen zu bewerfen. „Daher war der Bau auf | |
Sichtbarkeit angelegt. Er sollte Aktionen der Otter begünstigen und ihnen | |
dafür Ungestörtheit vermitteln.“ | |
Der Besuchergang war abgedunkelt, „die Außengehege wurden durch das | |
Tageslicht und die Schlafboxen mit künstlichem Licht beleuchtet“. Die | |
Besucher trennten nur Glasscheiben von den Tieren, die „auf Besucher*innen | |
reagieren und mit ihnen zu spielen scheinen. Schlafend zusammengerollt in | |
ihren Boxen sollten die Tiere weitere positive Emotionen auslösen.“ | |
Die Betrachtenden im Zürcher Zoo sind auf Augenhöhe mit den Ottern und zum | |
Teil sogar visuell ihrem Standpunkt untergeordnet. „Die Otter erhalten | |
einen Subjektstatus. Eine Gehegegestaltung als Flussufer sollte | |
Informationen über das Verhalten der Tiere im ökologischen Kontext | |
vermitteln.“ Insgesamt war die Gehegefläche der Tiere so bepflanzt und mit | |
Schotter ausgelegt, „dass die Otter in der einheimischen Schweizer | |
Landschaft kontextualisiert wurden“. | |
## Negative Reaktionen | |
Da Fischotter im Gegensatz zu Seeotter eher Einzelgänger sind, die Besucher | |
der Zürcher Anlage auf ihre Einzelhaltung jedoch negativ reagierten, | |
täuschte Hediger sie mit Glasscheiben im Außengehege, die die Tiere | |
trennten, aber dennoch den Eindruck eines einzigen Raumes vermittelten, so | |
dass den Betrachtern die Fischotter als „soziale Wesen“ erschienen. | |
Die gesamte Anlage wurde in der damals modernen „Wabenform“ errichtet, was | |
Heini Hedigers Diktum „Die Natur kennt keine Rechtecke!“ entgegenkam. Zudem | |
erzeugten die stumpfen Winkel im Gehegeraum eine „größere visuelle Tiefe“. | |
26 Oct 2020 | |
## AUTOREN | |
Helmut Höge | |
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