| # taz.de -- Die Wahrheit: Ein Denkmal für Burlero | |
| > Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung (106): Die Verbindung | |
| > von Stier, Sexualität und Gewalt ist uralt, mittlerweile aber verpönt. | |
| Bild: Tierschützer sehen rot: Stierkämpfe sind im spanischen Pamplona weiter … | |
| Im Sommer 1985 trat der berühmte Matador (Stiertöter) El Yiyo in der | |
| „Plaza de Toros“ (Stierkampfarena) gegen den Stier „Burlero“ („Hohn�… | |
| Nach einem „Adorno“ (der Berührung des Horns) versetzte er ihm mit seiner | |
| „Espada“ (dem Degen) den Todesstoß, dreht sich um und nahm den Applaus der | |
| Menge entgegen. Der sterbende Stier hinter ihm fiel jedoch nicht, sondern | |
| machte in Schmerz und Verzweiflung einen Satz nach vorne, dabei warf er den | |
| Matador zu Boden. Die herbeigeeilten „Toreros“ (alle Mitwirkenden in der | |
| Arena) konnten Burlero nicht ablenken. „Mit einer letzten Anstrengung | |
| durchbohrte er seinen Mörder. Das rechte Horn drang ins Herz des Matadors, | |
| und beim Versuch, den Körper in die Luft zu schleudern, konnte er El Yiyo | |
| mit seinen schwindenden Kräften nur noch aufrichten. Einen Augenblick lang | |
| standen der tote Mann und der tote Stier im Sand der Arena“, schreibt die | |
| von Stieren träumende, aber Hemingways „männliche Betrachtung“ des | |
| Stierkampfs ablehnende Schriftstellerin Alison Louise Kennedy in ihrem Buch | |
| „Stierkampf“ (2001). „Mit seinem Tod bestätigte El Yiyo eine alte Tradit… | |
| der ‚corrida‘ (Stierkampf/Lauf/Orgasmus), dass ein Mann, der einen Stier | |
| tötet, der schon einen Mann getötet hat, selber von einem Stier getötet | |
| werden wird.“ Burlero hatte im Jahr zuvor den Matador Paquirri in | |
| Pozoblanco getötet. Für den Stier und El Yiyo errichtete man hernach ein | |
| Denkmal vor der Madrider Arena „Las Ventas“ (Die Verkäufe). | |
| Die spanischen Kampfstiere stammen von den ausgestorbenen Auerochsen ab. | |
| Die Römer kannten sie noch, Julius Cäsar brachte sie in die Arenen. Den | |
| Gladiatoren, die mit ihnen kämpfen mussten, gab man ein Schwert und ein | |
| blutrotes Locktuch. Zu Cäsar gewandt riefen sie: „Die Todgeweihten grüßen | |
| Dich!“ Die Männer im Publikum eilten nach den Kämpfen „erregt zu den vor | |
| der Arena wartenden Prostituierten.“ Die spanischen Toreros tragen noch | |
| immer ihr Haar wie die Gladiatoren in einem Zopf. Die Matadore polstern | |
| ihren Penis ab, der dadurch in der engen Hose besonders groß wirkt. Das | |
| männliche Publikum, wenigstens das in Madrid, fährt heute nach dem | |
| Stierkampf mit dem Auto zu den halbnackten Prostituierten auf der „Gran | |
| Via“. | |
| Die Verbindung von Stier, Sexualität und Gewalt ist uralt: Bekanntlich | |
| wurde Europa von Zeus in Gestalt eines Stiers vergewaltigt. Europa gebar | |
| daraufhin einen Sohn: Minos, ein Mischwesen: Mensch, Gott, Stier. Als König | |
| von Kreta heiratete er Pasiphae („Die für alle strahlt“). Ihr | |
| „Beinahe-Stier“ Minos genügte ihr nicht, sie verliebte sich in einen echten | |
| Stier. Um mit ihm geschlechtlich zu verkehren, konstruierte der | |
| erfindungsreiche Daedalus eine hohle Kuhattrappe, in die Pasiphae | |
| hineinkroch und sich begatten ließ. Vorbeikommende lachten peinlich erregt. | |
| Noch heute hängen auf einer Bullenstation bei Pasewalk, inzwischen ein | |
| Hotel, Schilder mit der Aufschrift „Das Lachen beim Deckakt ist verboten!“ | |
| Aus der einstigen Vereinigung von Pasiphae mit dem Stier ging der | |
| Minotaurus hervor: eine so ungute Mischung aus Mann und Stier, dass er erst | |
| in ein Labyrinth gesperrt und dann von Theseus, „dem Matador und Mörder“, | |
| umgebracht wurde. | |
| ## Bio-Kampfstiere | |
| Die heutigen Kampfrinder in Spanien, Portugal, Südfrankreich, USA und | |
| Lateinamerika sind kleiner und eleganter als die Auerochsen des Mythos und | |
| der römischen Arenen, sie wiegen nur noch eine halbe Tonne, zudem werden | |
| sie von den „ganaderos“ (Tierhaltern), die einst Wert auf aggressive Stiere | |
| legten, auf Sanftheit gezüchtet und mit verschiedenen „Tricks“ dahingehend | |
| beeinflusst, was den Matadoren ihre „Kunst“ erleichtert. Es gibt sogar | |
| Bio-Kampfstiere heute. Die meisten Tiere sind, wenn sie in die Arena | |
| gebracht werden, 3 bis 4 Jahre alt, manchmal auch älter, aber gegen Stiere | |
| „mit 6 Jahren Lebenserfahrung kämpfen die wenigsten Toreros gerne.“ | |
| In Mexiko gibt es Baby-Stierkämpfe: „Baby-Stiere werden in kleine Arenen | |
| geführt und dort von den Zuschauern zu Tode gestochen“, berichtet der | |
| Tierschutzbund. Aber auch dort, wo „unblutige Stierkämpfe“ stattfinden, | |
| werden die Tiere anschließend getötet. Die Arena ist für alle Kampfrinder | |
| (40.000 im Jahr) nur eine schmerzhafte Zwischenstation auf dem Weg zur | |
| Fleischfabrik, allerdings haben sie im Gegensatz zu den Mastrindern bis | |
| dahin nahezu ein Wildtierleben auf der Weide. | |
| Ganz selten gibt es Stiere, die ein derartig beeindruckend wildes | |
| Schauspiel in der Arena liefern, dass das Publikum und der Präsident der | |
| Plaza ihnen „das Leben schenken“. Umgekehrt bekommt der Matador, wenn er | |
| den Stier besonders elegant aus dem Leben befördert hat, ein oder zwei | |
| seiner Ohren. Unlängst verdiente sich in Mexiko ein Elfjähriger seine | |
| ersten Ohren. Inzwischen gibt es auch weibliche Toreros. Sie alle träumen | |
| davon, ein „überlebensgroßes Leben zu führen“ – mit „lachhaftem und | |
| manchmal flüchtigem Reichtum, genug Alkohol, Drogen und sexuellen | |
| Ausschweifungen“. | |
| ## Stiere als Futter für die Armen | |
| Gib acht, worum Du betest – es könnte in Erfüllung gehen, lautet ein | |
| Sprichwort. Im spanischen Bürgerkrieg „feierten nationalistische Corridas | |
| die Kirche und die Macht der Rechten, republikanische Corridas feierten den | |
| Triumph des einfachen Mannes“, schreibt Kennedy, Letztere töteten dann | |
| jedoch fast alle Stiere, um damit die Armen zu ernähren. | |
| Nach wie vor gelten vor allem die Stiere aus der „Miura“-Zuchtlinie als | |
| „Menschenschlächter“. Wenn ein Stier einen Torero tötet, wird in der Regel | |
| seine Mutter geschlachtet, damit sie keinen weiteren Mörder zur Welt | |
| bringt. Den Kampfgeist hat der Stier von der Mutter, den Körperbau vom | |
| Vater: Ein Widerspruch, denn die Züchter weltweit gehen eigentlich davon | |
| aus, dass der männliche Samen die entscheidende Ingredienz ist und die Kuh | |
| nur wenig mehr als ein Gefäß. | |
| Diese Vorstellung geht weit über die der Stierkampf-Afficionados hinaus: So | |
| essen z. B. Fußballer und Footballspieler vor „wichtigen Kämpfen“ gerne | |
| Stierhoden zur Stärkung. Da Hoden auf dem Schlachthof als Abfall deklariert | |
| werden, ist das illegal. Mit den Sportlern haben die Stierkämpfer | |
| gemeinsam, dass sie oft aus der Unterschicht kommen und manchmal schon als | |
| Kinder angefangen haben zu üben. Als der spanische | |
| Nachwende-Geschäftsführer des Glühlampenkombinats Narva, Jesus Comesana, | |
| das Werk von einem Produktions- in einen Servicebetrieb umwandeln wollte, | |
| aber scheiterte, meinte er enttäuscht: „Die Ostdeutschen haben keine | |
| Cojones (Stierhoden)!“ | |
| In den Stierkampf-Journalen werden die Kampfrinder als „unberechenbar“, | |
| „tapfer“, „klug“ oder „feige“ bezeichnet, A.L. Kennedy hält sie f�… | |
| „unberechenbar und „nicht besonders intelligent, vielleicht manchmal | |
| clever, aber sicher nicht klug“. In den Fanzines wird beschrieben, „wie sie | |
| vor dem Todesstoß ergeben das Haupt vor dem Matador verneigen und praktisch | |
| kurz davor sind, in gepflegtem Kastilisch um den Tod zu bitten“. Angeblich | |
| würden die Stiere darauf gezüchtet, „dass sie beim Betreten der Arena | |
| wissen, wozu sie dort seien, zum Kämpfen und zum Töten“. | |
| 28 Sep 2020 | |
| ## AUTOREN | |
| Helmut Höge | |
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