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# taz.de -- Die Wahrheit: Ungezähmter Irrsinn mit Streifen
> Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung (104): Grévy-Zebras sind
> charakterlich weder Sensibelchen noch Kaltblüter.
Bild: Das muss ein guter Witz gewesen sein: Ein Grévy-Zebra kugelt sich im Zoo…
Das so lange gezähmte und gezüchtete Pferd, in dem immer „irgendein Stück
Irrsinn lauert“, war dem Philosophen Theodor Lessing ein Symbol jenes
Weltprozesses, den er den „Untergang der Erde am Geist“ nannte. „Der
Eindruck eines lastenden Wahnsinns verschwindet“ dagegen, wenn man dessen
nahe Verwandte (Zebras), die noch im „ursprünglichen Naturzustand“ leben,
betrachtet.
Es gibt jedoch sone und solche Zebras. Im Ostberliner Tierpark ordnete der
für sie zuständige Tierpfleger Wolfgang Riesbeck „seine“ Grévy-Zebras
charakterlich zwischen seinen Hartmann-Zebras – „die vertragen wie
Kaltblüter am meisten Stress“ – und den Chapman-Zebras, den „Sensibelche…
ein, wie die Morgenpost berichtete.
Die Grévy-Zebras wurden früher heftig bejagt, unter anderem weil die
Engländer damit ihre Weltkrieg-Zwo-Soldaten fütterten. „Die
Weltnaturschutz-union schätzt den Bestand auf nur noch etwa 2.500 Tiere“,
sagt Tierpark-Kurator Christian Kern. Der Biologe erwähnt als weitere
Bedrohungen den Verlust von Lebensraum, die Überweidung und die
Wasserknappheit: „In freier Wildbahn bilden die Grévys Stutenherden,
Hengste leben territorial. Die Stuten ziehen umher und kommen mit den
Hengsten nur zu ‚One-day-stands‘ zusammen. Damit daraus im Tierpark keine
‚Every-day-stands‘ werden, sperrt Tierpfleger Riesbeck den Hengst Fritz
gelegentlich ab.“
Benannt wurde die Zebra-Art nach Jules Grévy, der 1879 Präsident der
Französischen Republik wurde, „nachdem der Erbprinz Louis-Napoléon
Bonaparte im Krieg der Briten gegen das Volk der Zulu getötet worden war.
Grévy erkor die Marseillaise zur Nationalhymne, amnestierte die Pariser
Kommunarden und ließ im Zuge dessen die sterblichen Überreste von Victor
Hugo ins Panthéon umbetten.“
## Geschenk des Kaisers
Der Schriftsteller Patrick Deville erwähnt in seinem Reiseroman „Taba-Taba“
(2019) auch noch, dass für Jules Grévy auf einem Platz mit Brunnen in Dòle,
nahe seinem Geburtsort im Départment Jura, eine Statue für ihn aufgestellt
wurde, die das Vichy-Regime 1941 abreißen ließ. Während seiner
Präsidentschaft schenkte der Kaiser von Abessinien Grévy ein Zebra. Zuvor,
1882, hatte der französische Zoologe Émile Oustalet die Zebra-Art
wissenschaftlich beschrieben und nach seinem Staatschef benannt.
Die Grévy-Zebras gibt es heute nur noch in kleine Habitate zersplittert in
Äthiopien und Kenia. Anders als das Bergzebra und das Steppenzebra bildet
das Grévy-Zebra keine Herden, sondern größere oder kleinere Gruppen. Diese
bestehen laut Wikipedia, abweichend von Riesbecks Darstellung, „aus
Vertretern beiderlei Geschlechts, es gibt aber keine Führungstiere, und die
Verbände lösen sich schnell wieder auf“.
Der unter anderem für die Zebras im Zürcher Zoo einst zuständig gewesene
Tierpfleger Rudolf Riedtmann war ein großer Zebraliebhaber. In seinem Buch
„Glück durch Tiere“ (1979) widmete er den Grévy-Zebras mehrere Kapitel,
1960 hatte er bereits ein Buch mit dem Titel „Meine Zebrakinder“
veröffentlicht. Er nennt die Grévy-Zebras (die man auch Riesenzebras
nannte) nach ihrer alten römischen Bezeichnung „Tigerpferde“. Ein Name, der
heute nur noch als Untergattungsname für das Steppen- und das Bergzebra
Erwähnung findet.
Riedtmann schätzt an seinen Tigerpferden, dass sie sich, anders als die
Pferde, zu denen sie als Untergattung zählen, nicht domestizieren lassen,
es heißt, sie treten und beißen und sind unberechenbar. Ihr Zürcher Pfleger
freute sich, „dass dem so ist“ und dass seine „schönen Tigerpferde gerade
durch diese Eigenschaft davor bewahrt geblieben sind, als Nutztiere
gehalten und gezüchtet zu werden“. Als er, wie Wolfgang Riesbeck im
Ostberliner Tierpark, den Hengst von seiner Stute trennen wollte, da wurde
aus dem „ein mutiger und ritterlicher Kämpfer, der weder vor Stock noch
Peitsche zurückwich“.
Weil Riedtmann aber besonders die neugeborenen Zebras entzückten, entstand
doch der Wunsch bei ihm, diese „schreckhaften, scheuen und mißtrauischen
Streifenpferdchen zahm und vertraut zu machen“. Und weil die Zebramütter
ihren Fohlen, die bereits als quasi fertige Zebras auf die Welt kommen,
schnell „Schreckhaftigkeit und Fluchttendenz“ beibringen, musste er „beid…
begreiflich machen“, dass sie ihn nicht zu fürchten hatten, dazu musste er
sie täglich kurz trennen. Aber gerade das versuchte die Mutter zu
verhindern. Sie „zerschlug und zerbiß“ jedes von außen zwischen ihnen
eingeschobene Brett „in wenigen Sekunden“.
## Harmlosigkeit des Pflegers
Doch schließlich gelang es Riedtmann, das Fohlen in eine Box zu drängen. Er
konnte es kraulen, was die Mutter nebenan „mit ängstlicher Besorgnis
aufmerksam verfolgte“. Zu seiner Überraschung griff sie ihn danach nicht
etwa an, sondern schien sich von seiner Harmlosigkeit überzeugt zu haben,
denn die nächsten Tage ging sie von sich aus in die Nachbarbox, während ihr
Fohlen bei seinem Pfleger blieb.
Als der kleine Hengst, der den Namen „Rido“ bekommen hatte, zwei Wochen alt
war, legte er ihm ein Halfter um, dann wurde er täglich an die Zügel
genommen und im Garten spazieren geführt. Auch das Einschirren und
Anspannen an einem Zweiräderwagen ließ er sich schließlich gefallen, „aber
ein zuverlässiges Wagenpferd ist mein ‚Rido‘ nie geworden“, schreibt
Riedtmann, denn „er konnte ganz seelenruhig und brav vor seinem leichten
Wägelchen daher trippeln, um vollständig unvermittelt, das heißt im
Bruchteil einer Sekunde, vom sittsamen vertrauten Rößlein zum unbändig
tobenden Wildhengst hinüber zu wechseln“.
Gerade das empfand der Tierpfleger jedoch als eine gelungene Zebra-Zähmung,
dass er seinem „Rido“ „jedes Mißtrauen und jegliche Angst vor dem Mensch…
weggenommen“ hatte, nicht aber seine „ungebändigte Wildpferdnatur“. Es w…
das Ergebnis einer „weichen Dressur“, während die Zebras, die 1895 eine
Kutsche des Bankiers und Zoologen Walter Rothschild zogen, dazu einer
„harten Dressur“ unterzogen werden mussten, um die Gefahr des „Durchgehen…
von gleich vier Kutschzebras zu verringern.
Dennoch war dies nur ein kurzes Experiment des laut Spiegel schüchternen
und menschenscheuen Tierliebhabers, so wie auch sein Ritt auf einer
Riesenschildkröte. Er fuhr mit der Zebrakutsche einmal durch London, was
einiges Aufsehen erregte. Die Schweizer Tierwelt meint: „Alle Versuche,
Zebras zu Reit- oder Arbeitstieren zu machen, scheiterten. Weil auch
einzelne, gezähmte Zebras immer wieder mit ihrem unberechenbaren Verhalten
den Menschen das Leben schwer machten, gab man schließlich auf.“
31 Aug 2020
## AUTOREN
Helmut Höge
## TAGS
Biologie
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