| # taz.de -- Deutschlands Sieg über Island: Eine Überraschung namens 3:0 | |
| > Nichts ist noch normal im Weltfußball. Da sollte man auch nicht so tun, | |
| > als sei ein Sieg über Island die Rückkehr zum Fußball-Alltag. | |
| Bild: Ein paar Leute fehlen noch zur Normalität: Abspielen der Hymnen in Duisb… | |
| Wenn die deutsche Nationalmannschaft souverän gewinnt, dann ist das | |
| bekanntlich normal. Es hat halt so zu sein. Der liebste Begriff, der Fan, | |
| Fachjournalist und Funktionär dann einfällt, lautet „standesgemäß“. Der | |
| Gegner beim 3:0-Sieg war schließlich nur Island – ein Land, das so viel | |
| Einwohner hat wie Bochum. | |
| Folglich klang am Donnerstagabend beim Auftakt der WM-Qualifikation in | |
| Duisburg oft die altgewohnte Selbstverständlichkeit durch, dass „die | |
| Mannschaft“ stets und ständig gefälligst zu gewinnen hat. Wenn Jogi Löw im | |
| Sommer nicht als Europameistertrainer verabschiedet wird, ist er ein | |
| Versager. | |
| Solcherart Fußballbetrachtung hält sich, weil sie ja so ganz unrecht nicht | |
| hat: Jogi Löw hat eine Offensivreihe mit Serge Gnabry, Leroy Sané und Kai | |
| Havertz. Stürmer wie Timo Werner sitzen auf der Bank und Thomas Müller auf | |
| der Couch. In anderen Mannschaftsteilen sieht es qualitativ nicht | |
| schlechter aus, da darf man schon guten Fußball mit Toren und Siegen | |
| erwarten. Einerseits. | |
| Andererseits ändert sich einiges in der komplizierten Architektur des | |
| fußballerischen Erfolges derzeit so massiv, dass man sich über das [1][0:6 | |
| gegen Spanien im November] genauso wenig wundern braucht, wie über das 3:0 | |
| gegen Island. | |
| ## Ohne Fans ist der Fußball keine soziale Veranstaltung mehr | |
| Fans galten früher als Rückhalt, Heimspiele bedeuteten Vorteil, die reine | |
| Fußballarena ohne die für so viele Distanz sorgende leichtathletische | |
| Laufbahn, machten Teams stärker. Nun haben in den vergangenen Jahren zwar | |
| die reinen Fußballarenen zugenommen, aber dort sitzen immer seltener die | |
| Leute (und stehen tun sich schon gar nicht), die mit Fangesang und -humor | |
| auch so etwas wie die lokale Stärke proletarischer Öffentlichkeit | |
| demonstrierten. Corona hat diese Entwicklung verstärkt: Gesänge kommen vom | |
| Band, live hört man die auf den Platz gebrüllten Kommandos und was sich die | |
| Spieler gegenseitig zurufen. | |
| Auf den ersten Blick mag das wie authentischerer Fußball anmuten, aber der | |
| zweite Blick zeigt, dass es das gerade nicht ist. Denn etwas ganz | |
| wesentliches, eine Essenz des Fußballs fehlt: dass er nämlich eine | |
| öffentliche Sache ist. Eine, bei der elf Leute nicht für sich auf den Platz | |
| gehen und den Ball ins Tor der anderen elf Leute bugsieren wollen, sondern | |
| dass sie das für andere machen. | |
| Der vollendete Torschuss ist eine Metapher. | |
| Wenn aber der Torjäger nicht mehr der im Stadion umjubelte Star ist, | |
| welchen symbolischen Wert hat dann sein Treffer noch? Die schon durch | |
| Kapitalisierung recht heftige Umwandlung des Fußballs, die in der | |
| [2][Coronakrise] und der bloßen Zuschneidung auf die Interessen der | |
| Fernsehanstalten noch Fahrt aufgenommen hat, verändert den Fußball. Wer | |
| wollte, konnte sich das schon beim 0:6 gegen Spanien anschauen. | |
| Wer will, kann sich auch andere Ergebnisse der WM-Qualifikation betrachten: | |
| In der Gruppe der DFB-Elf trennten sich Rumänen und Nordmazedonien 3:2 – | |
| eine früher in verschiedenen Phasen der Fußballgeschichte starke Mannschaft | |
| tut sich schwer mit einem von allen als schwach eingeschätzten Newcomer. | |
| Die Niederlande verlieren 2:4 in der Türkei, Kroatien verliert 0:1 in | |
| Slowenien, Frankreich quält sich ein 1:1 gegen die Ukraine ab. Auch das 1:1 | |
| Spaniens gegen die Griechen ist, nach alter Lesart, keine | |
| Fußballnormalität. Oder dass Portugal nur 1:0 über Aserbaidschan gewinnt. | |
| In keiner Sprache ginge das Wort „standesgemäß“ leicht über die Lippen. | |
| Ziemlich ergebnisoffen präsentiert sich der Fußball also zum Auftakt des | |
| EM-Jahres und ein Jahr vor der Skandal-WM in Katar. So gesehen ist der | |
| 3:0-Sieg von Duisburg doch keine Normalität, sondern genau so eine | |
| Überraschung, wie sie in den anstehenden Spielen gegen Rumänien und | |
| Nordmazedonien warten könnte. | |
| 26 Mar 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Martin Krauss | |
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