# taz.de -- Debatte Sterbefasten: Der letzte Ausweg | |
> Der freiwillige Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit ist eine umstrittene | |
> Art, aus dem Leben zu scheiden. Sie ist aber auch radikal selbstbestimmt. | |
Bild: „Viele können sich mit Sterbefasten nicht anfreunden und wünschen sic… | |
Wie man es machen könnte“ – für Menschen, denen ihr Alter und ihre | |
Gebrechlichkeit zur Last wird, sowie für ihre Angehörige ist diese Frage | |
ein Dauerbrenner. Durch die Neufassung des Paragrafen 217 des | |
Strafgesetzbuchs Ende 2015, der die „geschäftsmäßige“, also die | |
„wiederholte“ Beihilfe zum Suizid verbietet, sind die Wege zu einem | |
selbstbestimmten Sterben in der Bundesrepublik noch etwas komplizierter | |
geworden als bisher. | |
Freiwillig aus dem Leben zu scheiden durch den Verzicht auf Nahrung und | |
Flüssigkeit ist eine Möglichkeit, die noch immer besteht. Das sogenannte | |
Sterbefasten, auch FVNF, „Freiwilliger Verzicht auf Nahrung und | |
Flüssigkeit“, genannt, mutet besonders radikal an, kann aber tatsächlich | |
eine sanfte, natürliche Methode sein, bei der Medikamente nur wie bei | |
anderen Sterbenden, zur Linderung von Beschwerden eingesetzt werden. | |
Beim Sterbefasten verzichtet man nicht nur auf das Essen, sondern auch auf | |
das Trinken, was in der Folge – nach etwa 7 bis 15 Tagen – zu Herzversagen, | |
meist im Schlaf, führt. Wie zahlreiche Fallbeispiele zeigen, ist der Tod so | |
gut wie immer friedlich, doch der Weg dorthin kann beschwerlich sein. Wie | |
sehr, das hängt davon ab, ob die/der Sterbewillige und diejenigen, die | |
sie/ihn auf diesem Weg begleiten, gut über die Notwendigkeit und die | |
Durchführung der Mundpflege informiert sind. | |
Durst entsteht nicht durch Flüssigkeitsmangel im Körper, sondern sekundär | |
durch das Austrocknen der Mundschleimhaut. Verzichtet man nicht radikal auf | |
Flüssigkeitsaufnahme, so kann einem das den Weg aus dem Leben zwar etwas | |
erleichtern, doch er dauert dann eben auch etwas länger. | |
## Ruhiges Abschiednehmen | |
Dass das Sterbefasten viele Tage beansprucht, wird oft als Mühsal, am Ende | |
aber doch auch als beglückend empfunden, weil diese Zeit häufig mit viel | |
Zuwendung und einem ruhigen Abschiednehmen verbunden ist. Ein Beispiel, das | |
durch die Medien ging, ist die Sterbegeschichte von Tana Herzberg, einer | |
ehemaliger Solotänzerin der Deutschen Oper Berlin, die Anfang 2015 durch | |
Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit ihr Leben beendete. Die 83-Jährige | |
litt an einer schmerzhaften generalisierten Arthrose und hatte weitere | |
Gesundheitsprobleme, deren kontinuierliche Verschlimmerung absehbar war. | |
Beim Sterbefasten erhielt sie ärztliche Unterstützung. Nach acht Tagen | |
starb sie friedlich; zuvor hatte sie planmäßig ihr Ableben vorbereitet und | |
sich von Freunden verabschiedet. | |
Viele können sich mit Sterbefasten nicht anfreunden und wünschen sich einen | |
Tod, der innerhalb von Minuten statt Tagen eintritt – man möchte einfach | |
rasch und für immer einschlafen, etwa durch die Einnahme des Medikaments | |
Natrium-Pentobarbital. Da dieses in Deutschland legal nicht erhältlich ist, | |
reisen etliche zum Sterben in die Schweiz – sofern sie sich das leisten | |
können, denn das Ganze kostet einige Tausend Euro. Worüber man sich | |
allerdings im Klaren sein muss: Dem raschen Tod bei | |
Sterbehilfeorganisationen wie Dignitas gehen monatelange bürokratische und | |
andere Maßnahmen voraus. Dennoch hat die Zahl dieser Reisen in letzter Zeit | |
stark zugenommen, weil seit Beginn des Jahres professionelle Beihilfe zur | |
Selbsttötung in Deutschland strafbar geworden ist. | |
Der neue Paragraf 217 StGB trägt die Überschrift „Geschäftsmäßige Förde… | |
der Selbsttötung“. Das Parlament hat hiermit dem polemischen Ausdruck | |
„Selbstmord“ eine Absage erteilt. Ferner wird „Selbsttötung“ oder „S… | |
nicht negativ wertend gebraucht; ja, man kann im gesetzgeberischen Akt | |
durchaus die Aussage sehen, dass ein vorzeitiges Beenden des Lebens in | |
bestimmten Situationen eine legitime Option ist. Das Gesetz soll jedoch | |
auch verhindern, dass Suizid – anders als etwa das künstliche Verlängern | |
des Lebens durch Legen einer Magensonde – in unserer Gesellschaft als etwas | |
Normales betrachtet wird. | |
Nun gibt es allerdings nirgends eine „amtliche“ Antwort auf die Frage, ob | |
Sterbefasten überhaupt ein Suizid ist. Diejenigen, die auf diese Weise das | |
Leben verkürzen möchten – etwa weil eine Demenzerkrankung auf sie zukommt | |
–, sind gut beraten, wie bei einem Entschluss zum Suizid eine | |
Willenserklärung zu verfassen, die Helfende vor dem nachträglichen Vorwurf | |
schützt, nicht lebenserhaltend eingegriffen zu haben. | |
## Ärzte können sich weigern | |
In der rechtlich unklaren Situation sollten Menschen zwar den Vorsatz des | |
Sterbefastens nicht allzu laut kundtun, andererseits können sie aber davon | |
ausgehen, dass, bis zu einem gerichtlichen Beweis des Gegenteils, das | |
Sterbefasten als natürlicher Tod betrachtet werden darf. Es kann allerdings | |
weiterhin geschehen, dass sich Ärzte, die um Unterstützung, etwa durch Gabe | |
von Beruhigungs- oder Schmerzmitteln, gebeten werden, weigern, weil sie | |
„einen Suizid nicht unterstützen“ wollen. | |
Stehen Menschen, die in Deutschland freiwillig und selbstbestimmt aus dem | |
Leben scheiden wollen, dank der neuen strafrechtlichen Situation also vor | |
der Wahl, entweder in die Schweiz zu fahren, heimlich Sterbefasten zu | |
vollziehen oder zum Strick oder anderen gewaltsamen Maßnahmen zu greifen? | |
Noch ist die Methode des Sterbefastens in der Öffentlichkeit weitgehend | |
unbekannt, ja fast ein Tabuthema. Kürzlich hat jedoch die Deutsche | |
Gesellschaft für Palliativmedizin drei Göttinger MedizinethikerInnen einen | |
Preis verliehen für eine Studie, die das Sterbefasten weitgehend positiv | |
bewertet. Menschen, denen es wichtig ist, das Leben gegebenenfalls auf eine | |
andere humane und legale Weise vorzeitig beenden zu können, sind derzeit | |
darauf angewiesen, auf eigene Faust Informationen zu sammeln. | |
Abschließend sei noch ein Aspekt erwähnt, durch den sich das Sterbefasten | |
ganz wesentlich von anderen Methoden, das Leben vorzeitig zu beenden, | |
unterscheidet: Man hat in den ersten Tagen die Möglichkeit, sich noch | |
einmal für das Weiterleben zu entscheiden. Darin liegt eine gewisse | |
Erleichterung, sowohl für den Sterbewilligen selber als auch für | |
diejenigen, die den oder die Sterbende am Ende begleiten sollen. | |
20 Jun 2016 | |
## AUTOREN | |
Christian Walther | |
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