| # taz.de -- Debatte Gespräche mit Taliban: Nicht verhandelbar | |
| > Die USA verhandeln mit den Taliban – unter Ausschluss der afghanischen | |
| > Bevölkerung. Das kann vor allem für Frauen verheerende Folgen haben. | |
| Bild: Die Errungenschaften der Frauenbewegung seit dem Fall der Taliban werden … | |
| Es war der dritte Tag des persischen [1][Neujahrsfestes Nouruz] im Jahr | |
| 1997. Damals war ich sechs Jahre alt. Gemeinsam mit meinem Vater und einem | |
| älteren Bruder ging ich zum Sakhi-Schrein, dem Festplatz für das neue Jahr | |
| in Kabul. Im Vergleich zu anderen Jahren war es dort sehr ruhig. Nichts | |
| deutete auf eine Feier hin. Nur ein paar Straßenverkäufer standen auf dem | |
| Gelände des angrenzenden Friedhofs. Wir waren zu Fuß durch die Straße | |
| unterwegs zum Schrein, als ich das Schreien von Frauen hörte. | |
| Auf der anderen Seite der Straße sah ich die Männer mit langen Bärten, | |
| bewaffnet mit Kalaschnikows. Es waren Talibankämpfer, die einen | |
| Handverkäufer umzingelten und ihn und die vier Frauen, die von ihm etwas | |
| kauften wollten, verprügelten. Die Frauen weinten und bettelten darum, | |
| dass die Männer aufhören. Die Talibankämpfer schlugen sie und den | |
| Verkäufer, weil sie ohne männliche Begleitung unterwegs und von einem Mann | |
| etwas kaufen wollten. | |
| Diese Szene war die erste Horrorszene, die ich von den Taliban sah. Sie hat | |
| sich in meinem Gedächtnis eingeprägt, obwohl ich erst sechs Jahre alt war | |
| und später, in den fünf Jahren der Talibanherrschaft, viel Schlimmeres | |
| erlebt habe. Wenn ich jetzt, 22 Jahre später, Bilder von | |
| Friedensgesprächen zwischen Taliban und USA in Doha sehe, bei denen keine | |
| einzige Frau dabei ist, erinnere ich diese Folterszenen. | |
| Am vergangenen Mittwoch hat die sechste Runde des | |
| USA-Taliban-Friedensgespräch begonnen. In den vorangegangenen fünf Runden | |
| haben Vertreter der US-Regierung und der Taliban über alle möglichen Themen | |
| gesprochen – außer über die Zukunft von gefährdeten Gruppen wie den Frauen. | |
| ## Errungenschaften der Frauen werden ignoriert | |
| Seit dem Fall der Taliban hat das Land einen weiten Weg zurückgelegt. In | |
| dieser Zeit haben Frauen in Afghanistan viel erreicht. In der Verfassung | |
| ist die Gleichstellung von Männern und Frauen enthalten. Die Frauen haben | |
| Zugang zur Bildung, und die Zahl der Mädchen, die zur Schule gehen, wird | |
| auf 2,8 Millionen geschätzt. 28 Prozent der afghanischen Parlamentarier | |
| sind Frauen. Frauen müssen nicht mehr wie zuvor mit bedeckten Gesichtern – | |
| mit einer Burka – herumlaufen, sie dürfen auch ohne Begleitung von Männern | |
| das Haus verlassen. | |
| Das sind die Errungenschaften für Frauen in letzten 18 Jahren, die alle in | |
| den bilateralen Gesprächen zwischen Taliban und USA unterzugehen scheinen. | |
| Denn: Die Rechte von Frauen und Minderheiten sind kein Thema. Anscheinend | |
| gibt es für den US-Präsidenten Trump nichts Wichtigeres als den Abzug der | |
| amerikanischen Truppen aus Afghanistan und die Beendigung des langjährigen | |
| Krieges am Hindukusch. Um jeden Preis. | |
| Um das zu verhindern, müssen Afghanen in den Verhandlungen mit den Taliban | |
| die Hauptrolle spielen. Aber zurzeit ist die afghanische Bevölkerung, vor | |
| allem die weiblichen Vertreterinnen, überhaupt nicht an | |
| Friedensverhandlungen beteiligt. Es macht vielen zu Recht Angst, dass ihre | |
| Rechte in den [2][Friedensgesprächen der Männer] vergessen werden. | |
| Parallel zur sechsten Runde der bilateralen Gespräche zwischen Taliban und | |
| USA lief in Kabul die viertägige [3][Loja Dschirga]: Die afghanische | |
| Regierung hat mehr als 3.000 Vertreter verschiedener Gruppen aus dem ganzen | |
| Land unter das Dach der Loja Dschirga zusammengebracht, darunter auch | |
| viele Frauen. Zweck dieses traditionellen Treffens ist es, die Menschen zu | |
| befragen, wie die Regierung mit den Taliban in Friedensgespräche gehen und | |
| welche Kompromisse sie suchen soll. Ein verzweifelter Versuch des | |
| afghanischen Präsidenten Aschraf Ghani, seine Regierung in | |
| Friedensgespräche zu bringen, von denen sie bis jetzt ausgeschlossen ist. | |
| ## Frieden, aber nicht um jeden Preis | |
| Die Loja Dschirga wurde am vergangenen Freitag mit einer Abschlusserklärung | |
| beendet. Deren Teilnehmer haben in der Erklärung klargemacht, dass die | |
| Grundrechte der Bürger gemäß der Verfassung Afghanistans, einschließlich | |
| der Rechte von Frauen und Kindern, während des Friedensprozesses erhalten | |
| und gestärkt werden müssen. Jetzt hat die afghanische Regierung etwas in | |
| der Hand, um den Taliban entgegenzutreten und sich in den Verhandlungen | |
| einzumischen. | |
| Es stimmt, dass die [4][afghanische Regierung] schwach ist und in einer | |
| politischen Krise steckt, aber sie ist die legitime Vertreterin der | |
| Bevölkerung. Jede Entscheidung über die politische Zukunft Afghanistans | |
| sollte von den Afghanen getroffen werden. Wir wollen alle einen Frieden, | |
| der von der afghanischen Regierung ausgehandelt ist. Nicht einen Frieden, | |
| diktiert von den USA oder einer Terrorgruppe, die seit Jahren das Blut der | |
| Afghanen vergossen hat. Wenn die USA den Willen des Volkes respektieren, | |
| dann muss Salmai Khalilsad, der US-Sonderbeauftragter für Afghanistan, die | |
| Taliban dazu bringen, sich mit der afghanischen Regierung an einen Tisch zu | |
| setzen. | |
| Afghanen wünschen sich Frieden in ihrem zerstörten Land, aber nicht um | |
| jeden Preis. Es gibt rote Linien, die nicht überschritten werden dürfen. | |
| Wir wollen einen Frieden mit Gerechtigkeit. Das heißt, die Menschen, die | |
| seit Jahren für die Morde an den Afghanen verantwortlich sind, müssen | |
| bestraft werden. Wenn der Frieden keine Gerechtigkeit bietet, werden sich | |
| die beteiligten Parteien wie die Überlebenden der Kriegsopfer persönlich | |
| rächen, was die Gewalt in dem Land fortsetzen wird. | |
| Es ist sehr wichtig, dass bei Verhandlungen mit den Taliban die Rechte und | |
| der Schutz von Frauen und der Minderheiten geachtet werden. Sie waren | |
| während der Talibanherrschaft aller ihrer Rechte beraubt. Das darf sich | |
| nicht wiederholen. Was ich als Kind miterlebt habe, die Gewalt und dass | |
| Frauen gesteinigt und ausgepeitscht werden und Menschen in der | |
| Öffentlichkeit aufhängt werden, darf nie wieder Alltag werden. Die | |
| Errungenschaften der vergangenen 18 Jahre in Afghanistan sind nicht | |
| verhandelbar. | |
| 7 May 2019 | |
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| ## AUTOREN | |
| Mortaza Rahimi | |
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