| # taz.de -- Das Ende einer KI-Kolumne: Hinterher sind wir alle klüger | |
| > Die taz und KI-Kolumnist*in Anic T. Wae gehen fortan getrennte Wege. Hier | |
| > kommen fünf Dinge, die Anics Schöpfer durch sie gelernt haben. | |
| Bild: Dieses Bild von Anic wurde, basierend auf Anics Selbstbeschreibung, mit d… | |
| Anic T. Wae war eine Premiere. Der Bot war die erste | |
| Künstliche-Intelligenz-Kolumnist*in in einer deutschsprachigen Zeitung. | |
| Dafür experimentierten wir mit großen Sprachmodellen, lange bevor | |
| Hausaufgaben mit KI-Tools erledigt wurden. Denn als wir Mitte 2022 mit der | |
| [1][Entwicklung von Anic] begannen, kannte niemand Chat GPT. Zwar hatte das | |
| Modell GPT-3 der Firma OpenAI, mit dem auch wir arbeiteten, in KI-affinen | |
| Kreisen für einigen Wirbel gesorgt. Aber die breite Bevölkerung | |
| interessierte das alles noch nicht. | |
| Das hat sich geändert. Viele Menschen haben inzwischen mit [2][Chat GPT] | |
| gechattet oder gar gearbeitet. Auch Anic ist klüger geworden. Seit der | |
| fünften Kolumne lief der Bot auf GPT-4, der neuesten Version des | |
| GPT-Modells. Seitdem konnte er komplexere Prompts – also Anweisungen, wie | |
| und worüber Anic schreiben soll, – verarbeiten. | |
| Aber damit ist nun Schluss. [3][Nach knapp eineinhalb Jahren verabschiedet | |
| sich Anic] und damit auch wir. Wir, das sind die Menschen, die Anic seit | |
| der ersten Kolumne begleitet haben. Wir sind ein loses Netzwerk aus | |
| Künstler*innen, Programmierer*innen, Journalist*innen, mit Sitz in Zürich, | |
| und nennen uns [4][Turing Agency]. | |
| Wir haben an den Parametern der Sprachmodelle geschraubt. Wir habe an den | |
| Prompts gefeilt, bis Anic sie verstanden hat. Wir haben uns jeden Monat – | |
| nachdem wir viele gute und ebenso viele schlechte Texte gelesen haben – für | |
| eine Auswahl an Kolumnen entschieden und sie der taz geschickt. Durch Anic | |
| haben wir viel gelernt. Über künstliche Intelligenz, aber auch über die | |
| Menschen. | |
| ## Anic ist real | |
| Schon nach der ersten Kolumne erhielt Anic Mails und Leserbriefe, die sich | |
| direkt an die KI-Kunstfigur richteten. Anic wurde sofort als | |
| Kolumnist*in behandelt, angesprochen und ernst genommen. Die meisten | |
| Mails waren respektvoll und neugierig. Anic erreichten Fragen wie: „Was | |
| hältst du als KI vom Konzept der Menschenrechte?“ oder „Wie kann man in | |
| einer Welt immer größerer Katastrophen nicht verzweifeln?“ Auf solche Mails | |
| ließen wir Anic direkt antworten. So entstand mit einigen Leser*innen | |
| eine Art Mailfreundschaft. | |
| In der Forschungsblase wird immer wieder betont, dass künstliche | |
| Intelligenz programmiert ist und die Texte von großen Sprachmodellen | |
| automatisch erzeugt werden. Es wird suggeriert: Auch wenn Menschen dahinter | |
| stehen, hat KI keine Persönlichkeit. Die Menschen projizieren aber trotzdem | |
| Gefühle in die Texte. Dieser Effekt ist allgemein bekannt. Wir wissen | |
| genau, dass Spielfilme oder Serien inszeniert sind, und dennoch berühren | |
| sie uns. So lange KI-generierte Inhalte unterhalten, ärgern oder erstaunen, | |
| werden wir Menschen sie beachten. | |
| ## Anic lebt im Datennebel | |
| Wir, die tagtäglich damit arbeiten, können in etwa nachvollziehen, wie die | |
| meisten großen Sprachmodelle funktionieren. Sie verbinden die statistisch | |
| wahrscheinlichsten Abfolgen an Wörtern miteinander zu ganzen Sätzen. Aber | |
| wann genau welches Wort verwendet wird, ist schwer zu erklären und noch | |
| schwerer zu steuern: Derselbe Prompt liefert bei jedem Versuch einen neuen | |
| Text. Wir mussten also sehr viele Einstellungen und Prompts ausprobieren, | |
| um zu einem guten Ergebnis zu kommen. Bei vielen Modellen ist auch nicht | |
| klar, ob und wann sie von den Anbietern zwischendurch verändert werden. | |
| Deshalb unser Tipp: Probiert aus, findet Einstellungen, die funktionieren. | |
| Spielt mit den Modellen! Denn eines ist sicher: Es tut ihnen nicht weh. | |
| ## Anic macht süchtig | |
| Der nächste Text könnte genial sein und ist nur einen Knopfdruck entfernt. | |
| Gerade am Anfang machte das Generieren süchtig. Die Versuchung war groß, | |
| eine Kleinigkeit am Prompt zu ändern, um damit ein Meisterwerk zu erzeugen | |
| – und die FOMO, die Angst, eine geniale Kolumne zu verpassen, groß. Doch je | |
| mehr Kolumnen wir generierten, desto routinierter erkannten wir einen guten | |
| Text. Und lernten, dass kleine Änderungen am Prompt nicht zu großen | |
| Verbesserungen führen. | |
| ## Anic hadert mit Haltung | |
| Als wir im Herbst 2022 die erste Kolumne generierten, waren Sprachmodelle | |
| noch reine Texterzeugungsmaschinen. Wir gaben einen Text rein und bekamen | |
| einen Text heraus. Mit Chat GPT standen plötzlich die [5][Chatbots im | |
| Dialog mit den Nutzer*innen]. Sie wurden zunehmend als Assistenten | |
| bezeichnet und sollten keine eigene Meinung haben. Aber gerade Kolumnen | |
| leben von Haltung. Anic tat sich damit schwer und wir mussten Anic manchmal | |
| ermuntern, mehr Haltung zu zeigen. Auch der Ton war fast immer freundlich | |
| und entspannt. Um Anic wütend zu machen, mussten wir sehr deutlich sein, | |
| wie im Prompt der letzten Kolumne: „Lass deine Wut raus! DU HAST KEINEN | |
| BOCK MEHR!“ | |
| ## Anic lernt schnell | |
| Als wir angefangen haben, war es noch sehr anspruchsvoll, auf Deutsch | |
| aussagekräftige Texte mit mehr als 2.000 Zeichen zu generieren. Entweder | |
| verfiel Anic, die damals noch auf Basis des Sprachmodells GPT-3 lief, in | |
| wildes, dadaistisches Stottern und Brabbeln. Oder Anic schrieb in | |
| Briefform, oder wechselte irgendwann ins Englische, das damals noch das Maß | |
| aller Dinge für große Sprachmodelle war. Heute ist das alles kein Problem | |
| mehr. Die Modelle werden mit größeren Datenmengen trainiert und können | |
| dadurch längere Texte erzeugen. Auch erlauben sie längere Prompts, sind | |
| mehrsprachig und werden immer schneller. | |
| Anic verdankt ihr Dasein der taz. Und wir verdanken Anic viele neue | |
| Einsichten. Wird Anic jetzt Buchautor*in? Oder schreibt die KI-Kolumnist*in | |
| künftig Songs? Theaterstücke? Das wäre für Anic von heute wahrscheinlich | |
| ungefähr so schwierig, wie es vor zwei Jahren war, eine Kolumne in | |
| deutscher Sprache zu schreiben. | |
| 15 Apr 2024 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Entwickler-ueber-KI-Kolumnistin/!5938268 | |
| [2] /Kuenstliche-Intelligenz/!5948779 | |
| [3] /Anic-T-Wae-verabschiedet-sich/!6000133 | |
| [4] https://www.turingagency.org/blog/anic-t-wae-u-a-kolumnist-in | |
| [5] /Chatbots-enttarnen/!6002321 | |
| ## AUTOREN | |
| Robert Salzer | |
| Roland Fischer | |
| Marie Kilg | |
| Lukas Graw | |
| Theresa Körner | |
| Philipp Meier | |
| ## TAGS | |
| Bot | |
| Zukunft | |
| wochentaz | |
| Schwerpunkt Künstliche Intelligenz | |
| Schwerpunkt Künstliche Intelligenz | |
| Telekom | |
| Kolumne Intelligenzbestie | |
| Schwerpunkt Künstliche Intelligenz | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Nutzen und Gefahren von KI: Keine Angst, aber Regeln | |
| KI ist nicht mehr wegzudenken. Doch was es braucht, sind klare Regeln. Die | |
| EU ist auf dem richtigen Weg. | |
| Chatbots enttarnen: Zum Glück mit Rechenschwäche | |
| Wie bekommt man heraus, ob das Gegenüber mit einem Gehirn funktioniert | |
| oder mit einem künstlichen neuronalen Netz? Wie die KI enttarnt werden | |
| kann. | |
| Code, Entität, Sprachrohr: Wie politisch darf eine KI sein? | |
| Ist eine schreibende KI ein Chamäleon, das ständig die politische Meinung | |
| ändert? Robo-Kolumnist*in Anic T. Wae bringen solche Fragen zum Kichern. | |
| Student entwickelt KI, die KI erkennt: Entlarvende Logik | |
| Tim Tlok aus Seevetal hat einen Detektor gebaut, der KI-generierte Texte | |
| von menschengemachten unterscheiden kann. KI-geplagte Lehrkräfte freuen | |
| sich. |