# taz.de -- Crack-Konsumentin und ihre Sucht: 37 Jahre Rausch | |
> Frauke K., 51 Jahre alt, raucht seit fast drei Jahrzehnten Crack. Ein | |
> Protokoll über die Macht des Rauschs und Freundschaften in der Hamburger | |
> Drogenszene. | |
Bild: Schneller, billiger Rausch: Crack | |
HAMBURG taz | Frauke K. sitzt entspannt in einem Sessel der | |
Drogenhilfeeinrichtung Abrigado in Hamburg-Harburg. Bevor sie zum Interview | |
in den Beratungsraum gekommen ist, hat sie im Konsumraum zwei Pfeifen | |
geraucht. Eine braune Kugel, das war Heroin, und eine weiße, das war Crack. | |
Crack ist nicht neu, seit den 80er Jahren ist es in der Drogenszene fest | |
etabliert. Dennoch häufen sich derzeit die Berichte aus vielen deutschen | |
Städten, [1][dass die Zahl der Konsument*innen regelrecht explodiere]. | |
Ein Konsumraum in Düsseldorf etwa verzeichnete 2016 210 Konsument*innen | |
– und in den ersten sieben Monaten des Jahres 2023 19.500. Der | |
Bundesdrogenbeauftragte, Burkhard Blienert, sagte der ARD, man sehe in acht | |
Bundesländern einen „teilweise massiven“ Anstieg des Konsums. In Hamburg | |
ist Crack in der offenen Drogenszene hingegen schon lange sehr präsent. | |
Auf dem sterilen Stahltisch in dem gekachelten Raum von Abrigado liegen | |
Konsum-Utensilien: Eine Rolle Alufolie, eine Tasse mit Natron. Drei | |
Personen sitzen am Tisch, einer fummelt an seiner Pfeife herum, einer sucht | |
etwas unter seinem Stuhl, einer hat sich eine Hamburger Morgenpost | |
mitgebracht. Durch eine weitere Glaswand kann man in den Expressraum | |
gucken: Der ist extra zum Rauchen und Naseziehen da, es gibt keine | |
Sitzmöglichkeiten – Crackabhängige müssen sich nicht spritzen. Der | |
Expressraum wird genutzt, wenn es schnell gehen muss. | |
Crackkonsument*innen haben es meist eilig. | |
„Als ich zum ersten Mal Crack geraucht hab’, habe ich meine Augen | |
geschlossen und mir die Ohren zugehalten, um besser zu spüren. In meinem | |
Kopf hat es „Wuuumms“ gemacht, sehr laut. Dann habe ich mich ganz leicht | |
gefühlt. Das war vor 35 Jahren. Damals war der Stoff noch besser. Heute | |
mischen sie Speed drunter, das geht auf die Pumpe. Ich krieg’ zum Glück | |
keine Paranoia, aber viele andere kriegen das. Die Leute werden teilweise | |
aggressiv. Und der körperliche Verfall ist krass. Wir nennen das | |
„Breakdancer“, wenn die so zappelig sind. | |
Ich rauche etwa ein Gramm am Tag, das sind täglich 40, 50 Euro. Das Geld | |
schnorre ich mir zusammen. Ich hab’ mich auch schon mal prostituiert, wenn | |
wirklich gar nichts ging. Ansonsten sammel’ ich Pfand. Wenn zu wenig | |
zusammenkommt, hilft mir auch mal ein Dealer oder jemand anderes aus. Mit | |
zwei, drei Leuten hier bin ich sehr eng befreundet. Wir treffen uns auch | |
regelmäßig und kochen zusammen, gucken einen Film oder spielen Brettspiele. | |
Ich war 14, als ich Crack probierte. Ich hatte jemandem geholfen, ein Typ | |
war von Zivilbullen verfolgt worden. Er gab mir seinen Stoff, ohne dass sie | |
es sahen, und ich blieb einfach sitzen und machte keinen Mucks. Zum Dank | |
hat er mich danach eingeladen. Wir sind zu ihm gegangen und haben mit ein | |
paar Alt-Junks Crack geraucht. Damals gab es noch keine Pfeifen, oder sie | |
waren nicht so verbreitet. Jedenfalls haben die aus einer Colaflasche mit | |
’nem Schlauch dran geraucht, wie so ’ne selbst gebastelte Bong. Ich war | |
neugierig. Ich hatte damals schon Heroin gedrückt. | |
Meine Mutter war damals alleinerziehend. Ich war rebellisch drauf, war jede | |
Nacht unterwegs und kam nur tagsüber nach Hause, wenn sie arbeiten war. | |
Irgendwann kam ich nicht mehr rein, sie hatte das Türschloss ausgetauscht. | |
Dann bin ich zu ’ner Freundin, oder ’ner sogenannten. Die war auf Heroin. | |
So hat alles seinen Lauf genommen. | |
Wenn heute jemand zu mir kommt und Crack probieren will, reagiere ich ganz | |
allergisch, selbst wenn er schon Hero nimmt. Genauso wenn jemand fragt, ob | |
ich ihm helfen kann, einen Druck zu machen. Ich werde dann sauer und sage: | |
„Frag mich nie wieder! Wenn du das willst, musst du es schon alleine | |
machen.“ Ich könnte mir auch selber nichts mehr spritzen, spritzen macht | |
mir Angst. Rauchen ist viel einfacher und schneller. Seit 29 Jahren rauche | |
ich nur noch. | |
Ich habe derzeit weder Kontakt zu meinem Sohn noch zu dem Vater meines | |
Sohnes. Mein Sohn ist jetzt 15. Als er 9 war, haben sie ihn mir von heute | |
auf morgen weggenommen. Es war mein Fehler. Ich hätte mir früher Hilfe | |
suchen sollen. Früher, als er klein war, konnte ich das Rauchen noch | |
kontrollieren. Ich habe nur ein, zwei Mal die Woche geraucht. Damals konnte | |
ich ihn in den Kindergarten bringen und beschaffen oder konsumieren gehen. | |
Dann hat er aber blöde Sachen gemacht und ich konnte ihn nicht mehr dort | |
lassen. Er hat emotionale Defizite, braucht eine spezielle Betreuung und es | |
kann nicht jeder gut mit ihm umgehen. | |
Ich bekam zwar Hilfe vom Jugendamt, aber das Doppelleben war anstrengend: | |
Ich wollte nicht, dass er sieht, dass ich Hero und Stein konsumiere. Und er | |
hat eben diese emotionale Störung und ich war oft allein mit ihm, das war | |
zu viel. Als er mir weggenommen wurde, bin ich völlig abgerutscht. Anfangs | |
durfte ich ihn noch besuchen, da hat er jedes Mal gesagt „Mama, du musst | |
mehr essen.“ Das hat mir wehgetan. Heute ist er in guten Händen. Ich hätte | |
gern wieder Kontakt zu ihm. | |
Ob ich es bereue, jemals Crack angefasst zu haben? Nein. Ich möchte die | |
ganze Drogenzeit nicht missen. Es waren viele schlechte Zeiten dabei, aber | |
allgemein geht es mir relativ gut. Wobei, im Moment bin ich psychisch und | |
nervlich angeknackst, bei jeder Kleinigkeit kommen mir die Tränen. Seit | |
vier Monaten bin ich obdachlos. Ich schlafe mal bei ’ner Freundin, mal in | |
’nem leerstehenden Haus, hier und da. | |
Als Frau ist es draußen alleine gefährlich. Eine Zeitlang war ich in ’ner | |
Einrichtung, wo man morgens um 9 Uhr raus musste und abends um 19 Uhr | |
wieder rein durfte. Das war aber stressig, da sind mehr so Alkoholiker. Die | |
denken, wir klauen. Bei einer anderen Einrichtung bin ich rausgeflogen, | |
weil das Amt nicht mehr gezahlt hat. Aktuell zahlt das Amt schon wieder | |
nicht, ich klage aber dagegen. | |
Ins Abrigado komme ich jeden Tag. Wegen der Beratung und den Leuten, die | |
hier arbeiten, das sind zum Teil meine engsten Bezugspersonen. Auch, weil | |
es hier besseren Stoff gibt als am Hauptbahnhof. Vor ein paar Monaten war | |
ich in einer drogenfreien Lebensgemeinschaft von ehemals Süchtigen. Da war | |
ich acht Monate clean. Dann bin ich rückfällig geworden. Mir ist klar, dass | |
ich nie ein drogenfreies Leben führen werde – nach 37 Jahren Konsum. Stein | |
will ich so einmal im Monat rauchen, das will ich behalten. Ich genieße den | |
Rausch. Wenn die Sonne scheint, hole ich mir einen Stein, gehe auf die | |
Wiese, höre Musik mit Kopfhörern und male Mandalas. Das gibt mir Ruhe.“ | |
1 Feb 2024 | |
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## AUTOREN | |
Katharina Schipkowski | |
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