# taz.de -- Covid-19 in China: Der Corona-Winter ist nicht vorbei | |
> Chinas Übergang zum Leben mit dem Virus bringt das Land an seine | |
> Belastungsgrenzen, auch die Wirtschaft. Erst ab Frühjahr dürfte sich die | |
> Lage bessern. | |
Bild: Ältere Patientin wird im Korridor einer Notaufnahme intravenös versorgt | |
BERLIN taz | Das Zhongshan-Krankenhaus in Schanghai zählt zu den | |
renommiertesten Kliniken Chinas, über vier Millionen Patienten werden hier | |
jährlich behandelt. Doch seit einigen Tagen herrscht in den Gängen der | |
riesigen Notaufnahme ein anhaltender Ausnahmezustand: Hektisch | |
transportiert das Pflegepersonal riesige Sauerstoffbehälter durch die | |
Korridore, viele von ihnen verrichten ihre Arbeit trotz Covid-19-Symptomen. | |
Die meist älteren Patienten liegen zu Dutzenden in den Fluren herum, | |
umrundet von besorgten Angehörigen. Einige der Kranken müssen gar bei | |
einstelligen Temperaturen im Freien ausharren, wo sie ihre Infusionen | |
verabreicht bekommen. | |
Knapp einen Monat nach [1][der plötzlichen Aufhebung der „Null | |
Covid“-Politik] in China zeigt sich, dass der harsche Corona-Winter für das | |
Land noch lange nicht vorbei ist. In nur wenigen Wochen haben sich im Reich | |
der Mitte mehrere hundert Millionen Menschen in der Volksrepublik | |
infiziert. Die meisten von ihnen sind zwar bereits wieder genesen, was in | |
den Metropolen Peking und Schanghai wieder zu gut besuchten Einkaufszentren | |
und Restaurants geführt hat. Doch zeitversetzt hält weiterhin eine | |
gesundheitspolitische Tragödie an, die wegen der systematischen Zensur für | |
die meisten Chinesen im Verborgenen bleibt. | |
Hinter den Kulissen zeigt sich allerdings deutlich, wie wenig das | |
chinesische Gesundheitssystem auf den Ansturm an Infizierten vorbereitet | |
ist. In den hastig errichteten Fieberkliniken des Landes beträgt die | |
Wartezeit für eintreffende Patienten im besten Fall mehrere Stunden. In | |
Peking berichteten Betroffene immer wieder davon, dass sie aufgrund des | |
eklatanten Platzmangels ihre eigenen Betten mitbringen sollten. Und auch | |
die Versorgung für grundlegende Fiebermittel ist nach wie vor prekär: Auf | |
dem Schwarzmarkt werden Schmerzmedikamente wie Ibuprofen für das Vielfache | |
ihres Wertes gehandelt. | |
All dies spielt sich, wohl gemerkt, in den wohlhabenden Ostküstenmetropolen | |
ab, deren Gesundheitsversorgung durchaus an (süd-)europäische Standards | |
heranreicht. Der größte Belastungstest bahnt sich hingegen in den | |
chinesischen Hinterlandprovinzen an, wo die Krankenhäuser bereits zu | |
Vorkrisenzeiten unterbesetzt waren und die Ärzte nur rudimentär ausgebildet | |
sind. | |
## Das chinesische Neujahrsfest wird mehr Fälle verursachen | |
Doch spätestens Mitte Januar wird die Corona-Welle auch die letzten Winkel | |
des Landes erreichen. Zum traditionellen Neujahrsfest besuchen schließlich | |
Millionen Chinesen ihre Familien in der Heimat. Was normalerweise ein Grund | |
zur Freude wäre, bereitet den Behörden diesmal Kopfschmerzen: „Was uns am | |
meisten Sorgen macht, ist, dass es drei Jahre her ist, seit die Menschen | |
nach Hause reisen konnten, um das neue Jahr zu verbringen. Es könnte nun | |
einen ganz besonders hohen Ansturm von Menschen aus den Städten aufs Land | |
geben“, sagte kürzlich eine Vertreterin der Nationalen | |
Gesundheitskommission im Staatsfernsehen. | |
Die Europäische Union, die auf einem Berg von bald ablaufenden | |
Impfpräparaten sitzt, hat der chinesischen Regierung bereits kostenlose | |
Lieferungen zugesichert. Bislang jedoch ist Peking eine Antwort schuldig | |
geblieben. Das mag von außen betrachtet absurd wirken, doch Beobachter des | |
Landes dürften vom Zögern der Regierung keineswegs überrascht sein: Bislang | |
hat der chinesische Staat nach wie vor keine ausländischen Impfstoffe für | |
die eigene Bevölkerung zugelassen, obwohl die mRNA-Vakzine von Biontech und | |
Moderna den heimischen Totimpfstoffen von Sinopharm und Sinovac überlegen | |
sind. Doch es überwiegt ganz offensichtlich der patriotische Stolz und | |
möglicherweise gibt es auch Bedenken bezüglich der nationalen Sicherheit: | |
Man möchte sich nicht vom Westen abhängig machen. | |
Dort geht bereits die Angst um, dass die massive Corona-Welle in China eine | |
weitere Virusmutation begünstigen könnte. [2][Etliche Länder haben bereits | |
verpflichtende PCR-Tests für Einreisende] aus der Volksrepublik eingeführt, | |
darunter auch die regionalen Nachbarstaaten Südkorea und Taiwan. Dass das | |
Außenministerium in Peking eine „unwissenschaftliche“ Diskriminierung | |
wettert, wirkt fast schon ironisch: China selbst hat schließlich während | |
weiter Strecken der Pandemie niemanden ins Land gelassen, der nicht mehrere | |
Wochen Zwangsquarantäne, mehr als ein Dutzend PCR-Tests und mehrere | |
Blutentnahmen über sich ergehen ließ. | |
Nun hat sich das Blatt gewendet, [3][die einstige „Null Covid“-Bastion ist | |
in wenigen Wochen zum weltweiten Corona-Hotspot geworden]. Angesichts der | |
derzeitigen Lage wirkt die Neujahrsansprache vom Landesvorsitzenden Xi | |
Jinping überaus realitätsfremd Darin behauptet der 69-Jährige schließlich, | |
dass China von ausländischen Staatschefs großes Lob für seinen Kampf gegen | |
Corona erhalten habe. Von der Wahrheit könnte dies nicht weiter entfernt | |
sein: Selbst die zurückhaltende Weltgesundheitsorganisation [4][WHO | |
ermahnte China] zuletzt, mehr Daten bezüglich der heimischen Corona-Lage zu | |
liefern. | |
## Keine konkreten Coronazahlen | |
Auch die Anzahl an Corona-Toten wird von den Behörden de facto unter | |
Verschluss gehalten. Nachdem die nationale Gesundheitskommission zuletzt | |
nur mehr schöngefärbte Daten veröffentlichte, hat sie die täglichen Updates | |
jüngst vollständig eingestellt – auf Kosten der eigenen Glaubwürdigkeit, | |
die wohl nachhaltig beschädigt ist. | |
In den Staatsmedien lassen die Zensoren immerhin mittlerweile eine gewisse | |
Pluralität zu. „Wir müssen zugegeben, dass derzeit die Anzahl an Toten in | |
China höher sein wird als in vorangegangenen Jahren“, sagte etwa Tong | |
Zhaohui, Vize-Leiter des Pekinger Chaoyang-Krankenhaus, dem Fernsehsender | |
CCTV. | |
Doch wer konkrete Zahlen in Erfahrung bringen möchte, muss sich mit | |
Schätzungen aus dem Ausland begnügen, die ihre Prognosen auf | |
unvollständigen Modellrechnungen stützen. Das Londoner Unternehmen | |
Airfinity ging zunächst von 5.000 Corona-Todesfällen pro Tag aus, ehe es | |
den Richtwert vergangene Woche auf insgesamt 9.000 Tote nach oben | |
korrigierte. In den Krematorien Pekings und Schanghais berichteten | |
internationale Medien relativ konsistent, dass die Anzahl an Leichen im | |
Vergleich zu Normalzeiten derzeit nahezu das Zehnfache betragen würde. | |
Wirtschaftlich sind zumindest die positiven Effekte der Corona-Öffnung am | |
Horizont sichtbar, doch kurzfristig wird der Übergangsprozess ebenfalls | |
schmerzhaft sein. Der am Dienstag vom renommierten Wirtschaftsmagazin | |
Caixin herausgegebene Einkaufsmanagerindex ist im Dezember ein weiteres Mal | |
gesunken, auch der staatliche Einkaufsmanagerindex liegt derzeit auf dem | |
niedrigsten Wert seit Februar 2020. Das bedeutet im Klartext: [5][Die | |
Wirtschaftstätigkeit der in China ansässigen Unternehmen ist Ende des | |
Jahres signifikant geschrumpft]. | |
Am Sonntag meldete sich nun auch Kristalina Georgiewa, bulgarische Chefin | |
des Internationalen Währungsfonds (IWF), unmissverständlich zu Wort. „China | |
hat sich 2022 dramatisch abgebremst. Das erste Mal seit 40 Jahren liegt das | |
Wirtschaftswachstum des Landes voraussichtlich unter dem globalen Wachstum | |
– wegen der Null-Covid-Maßnahmen“, sagte die 69-Jährige in einem Interview | |
mit dem US-Sender CBS. Nun sind es die übereilten Lockerungen, die für die | |
nächsten drei bis sechs Monate „schlechte Nachrichten“ bedeuten. | |
Die rapide Corona-Welle könnte allerdings auch dazu führen, dass der | |
Übergang zu einer Art postpandemischen Normalität vergleichsweise schnell | |
erreicht wird. Bislang haben die großen Investmentbanken ihre | |
Wachstumsprognosen immerhin leicht nach oben korrigiert: Goldman Sachs geht | |
etwa für das Jahr 2023 nach vormals 4,8 Prozent von nun mehr 5,2 Prozent | |
aus. Verglichen mit dem Niveau, auf dem sich die Volksrepublik vor der | |
Pandemie befand, ist dies jedoch weiterhin zu niedrig. | |
3 Jan 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Covid-19-in-China/!5903092 | |
[2] /Testpflicht-fuer-Einreisende-aus-China/!5903618 | |
[3] /Covid-in-China/!5902539 | |
[4] https://www.who.int/china | |
[5] /Coronapandemie-in-China/!5906064 | |
## AUTOREN | |
Fabian Kretschmer | |
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