# taz.de -- Computerspielegucken mit Twitch: Schlimm, schlimm, schlimm | |
> Amazon hat für viel Geld eine Plattform gekauft, auf der Millionen | |
> Menschen anderen beim Zocken zusehen. Ein neues Untergangsszenario muss | |
> her. | |
Bild: Gaming-Fans verfolgen ein Match auf der Leinwand | |
In einer Folge der US-Serie Futurama tingelt Fry über einen Vergnügungspark | |
auf dem Mond. Dort kann man Skeeball spielen, so was wie Bowling. Außerdem | |
gibt es virtual Skeeball. Und es gibt virtual-virtual Skeeball, das virtual | |
Skeeball so gut simuliert, dass es wie echtes virtual Skeeball wirkt. | |
In ungefähr so ein Geschäft hat Amazon jetzt 1 Milliarde Dollar investiert: | |
in die Plattform Twitch. Dort werden Computerspiele live übertragen. | |
Millionen Gamer schauen sich Partien in virtuellem Fußball an oder | |
Weltraumkämpfe zwischen Zergs und Menschen oder Schlachten bei League of | |
Legends, in denen sich Cyberhelden-Teams gegenseitig grillen. Auch Google | |
wollte Twitch haben. Die großen Netzunternehmen sehen also offenbar im | |
Computerspielegucken die Zukunft. Da ist ja mal die Frage erlaubt: | |
Computerspiele anschauen statt selbst spielen? Hat die Jugend von heute | |
noch alle Synapsen beisammen? | |
Du sollst keinen Pixelwesen zujubeln. Werdet doch einfach wieder ganz | |
normale Computerspielsüchtige. Irgendwann setzt ihr euch Cyberspacehelme | |
auf und dann starrt ihr im Cyberspace in einen Fernseher, in dem zu sehen | |
ist, wie Avatare Computerspiele spielen, in denen sie Menschen sind. Das | |
geht nicht. Zu viel Metaebene. | |
Als ordentlicher Kulturpessimist kommt man überhaupt nicht mehr hinterher, | |
all diese Volten des Netzzeitalters in adäquate Verfallsszenarien zu | |
integrieren. Wobei sich der Verfall wie immer am eigenen Wertegerüst misst. | |
1954 zum Beispiel kam ein gewisser Fredric Wertham mit dem Buch die „Die | |
Verführung der Unschuldigen“ zu großem Ruhm. Darin wies er nach, dass | |
Comics die Jugend kaputt machen. | |
## Endgültig: die Jugend verblödet | |
In kontemporären Jugenduntergangsszenarien war erst das Bild des vorm | |
Bildschirm isolierten Soziopathen hip. Das ist dann etwas aus der Mode | |
gekommen, seit bekannt ist, dass man beim World of Warcraft neben spielen | |
auch chatten kann. Stattdessen schießen sich die Pessimisten auf die | |
Selbstdarsteller in den sozialen Netzwerken ein und beklagen den Druck, | |
ständig das eigene Geilsein zu posten. Was fehlt, ist demnach das Reine, | |
die echte Erfahrung, das wahre Brennen der Seele, zu finden nur offline. O | |
tempora, o mores. | |
Seit der Homo sapiens das Sprechen erfunden hat, erheben die Alten den | |
eigenen Erfahrungshorizont zur Norm, und wenn die Jungen die Höhlenwand | |
statt mit Tierblut auf einmal mit Kohle bemalen, zürnen die Geister der | |
Verstorbenen. Wetten, dass wir uns auch noch in 100 Jahren lieben und | |
streiten und töten und vermehren! Trotz Facebook und Twitch. | |
## Flirten mit Hesse | |
Worin liegt der Unterschied, ob ich mir Sonntagabend einen schlechten | |
Tatort, einen lausigen Bundesligakick oder eine Partie League of Legends | |
reinziehe? Gut, es mag manchem schwer verständlich sein, worin genau der | |
Reiz liegt, beim Spielen zuzuschauen, statt selbst am Joystick (heißt das | |
heute noch so?) zu sitzen. Ist aber auch egal. Alle Medien haben während | |
des Konsums etwas Isolierendes und danach etwas Kollektives. Seriensüchtige | |
reden über Serien und Jungs schauen gemeinsam online Online-Schlachten. Das | |
Kollektive gilt sogar für Bücher, die irgendwann auch mal angeblich die | |
Jugend verrohten. | |
Zwar ist ein Gespräch über eine wundervolle Hermann-Hesse-Depressionen | |
sicherlich ein anderer Bewusstseinszustand als sich auf dem Schulhof über | |
das jüngste League-of-Legends-Match zwischen den Jungs von SKT T1 K und | |
SAMSUNG White auszutauschen. Aber hey, das ist ein Unterschied, kein | |
Untergang. Außer, und das jetzt aus Erfahrung: Hermann Hesse eignet sich | |
besser zum Flirten. Viel besser. | |
27 Aug 2014 | |
## AUTOREN | |
Ingo Arzt | |
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