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# taz.de -- Comedy-Special „Inside“ auf Netflix: Wohnzimmerkomik
> Das Netflix-Special „Inside“ zeigt den Comedian Bo Burnham in seiner
> Wohnung während der Pandemie. Sein Witz entkommt dem Comedy-Klischee.
Bild: In der Pandemie wird Comedy ganz bodenständig
Wenn Comedians ihr Live-Programm für die Nachwelt festhalten dürfen, heißt
diese Aufzeichnung Comedy-Special. Doch allzu besonders geht es dabei
selten zu, vielmehr sieht die Sache immer gleich aus, ob bei [1][Ellen
DeGeneres] oder Dave Chappelle, bei Ramy Youssef oder Enissa Amani.
Ein Mensch steht gut ausgeleuchtet auf der Bühne, im Saal sitzen begeistert
lachende Zuschauer*innen und die Kamera hält einfach drauf. Doch
„Inside“, das neue Programm von Bo Burnham, das [2][seit Kurzem bei Netflix
zu sehen ist], zeigt, dass es auch anders und wirklich speziell geht.
Entstanden sind die rund anderthalb Stunden Material, die der 30-jährige
Amerikaner in „Inside“ präsentiert seit dem Beginn der Coronapandemie.
Entsprechend gibt es statt Live-Publikum und gleißenden Scheinwerfern hier
bloß Burnham allein vor heimischen Kameras zu sehen, in einem kleinen Raum
zwischen Keyboard und Kommode. Der Titel ist Programm: der Komiker, der
seine Karriere als Teenager bei Youtube begann, bleibt angesichts der
grassierenden Pandemie drinnen, in diesem Zimmer genauso wie in seinem
Kopf.
Statt bloß in einem Rutsch seine Nummern durchzuspielen, hat Burnham in
Eigenregie ein kleinteiliges Mosaik aus in den vergangenen 12 Monaten
entstandenen Aufnahmen zusammengesetzt. Die Stadien des ihn umgebenden
Verwahrlosungschaos im spartanisch eingerichteten Raum variieren genauso
wie die Länge seiner Haare oder des Bartwuchses. Und weil es keine
Interaktion mit einem Publikum gibt, setzt er weniger auf zielsichere
Pointen und gesprochene Worte als auf selbst komponierte Popsongs, in denen
er seine Gedanken zum Ausdruck bringt.
Thematisch ist die Bandbreite groß und reicht von [3][coronabedingten
Schwierigkeiten] wie Facetime-Telefonaten mit der Mutter bis hin zu
allgemeinen Beobachtungen dessen, was Millennials in den Untiefen der
digitalen Welt umtreibt, seien es Reaction-Videos oder Sexting-Probleme.
## Eigentlich Ein-Mann-Spielfilm
Zu den Höhepunkten gehört die satirische Nummer „White Woman’s
Instagram“, doch ums Witzigsein geht es Burnham gar nicht in erster
Linie. Auch das Thema psychische Gesundheit nimmt einen großen Raum ein,
schließlich erlitt Burnham während der Tour mit seinem letzten Programm
„Make Happy“ vor fünf Jahren mehrere Panikattacken und kehrte der Bühne
bewusst den Rücken.
Ist „Inside“ also das Ergebnis autobiografischer Aufarbeitung? Oder ist der
Bo Burnham, dem wir hier dabei zusehen, wie ihn die Isolation in
Pandemiezeiten immer weiter in den Wahnsinn zu treiben scheint, nicht doch
eine Kunstfigur?
Schließlich ist es kein Geheimnis, dass der Raum, in dem dieses Special
entstanden ist, bloß ein Gästehaus auf dem eigenen Grundstück ist und
hinter der verschlossenen Tür in Wirklichkeit ein Alltag fernab von
Einsamkeit und Verzweiflung mit seiner Lebensgefährtin, der Filmemacherin
Lorene Scafaria, und den gemeinsamen Hunden liegt.
Die große Stärke des Programms liegt ohnehin anderswo, nämlich vor allem
darin, wie Burnham die eigene Rolle als Komiker und die Gattung Stand-up
auslotet, hinterfragt und auf den Kopf stellt; ganz anders, aber kaum
weniger drastisch als die Kollegin Hannah Gadsby vor einigen Jahren mit
„[4][Nanette]“.
Er macht das inhaltlich, etwa wenn er sich fragt, ob er als weißer Mann mit
seiner Comedy die Welt retten kann. Aber eben auch formal, denn Burnham,
der als Regisseur und Autor auch schon den originellen Coming-of-Age-Film
„Eighth Grade“ verantwortete und als Schauspieler eine tragende Rolle im
Oscar-prämierten Film „Promising Young Woman“ spielt, geht nicht nur mit
vollem Körpereinsatz ans Werk, sondern stellt angesichts der räumlichen
Einschränkungen viel gestalterisches Talent in Sachen Kameraarbeit,
Beleuchtung und Schnitt unter Beweis.
Am Ende ist „Inside“ deswegen weniger ein Comedy-Special als viel mehr eine
Art clever geschriebener und konstruierter Ein-Mann-Spielfilm über einen
singenden Comedian. Und als solcher absolut sehenswert.
17 Jun 2021
## LINKS
[1] /US-Talkshow-Moderatorin/!5766398
[2] https://www.netflix.com/de/title/81289483
[3] /Studierende-in-der-Pandemie/!5774931
[4] /Comedy-Star-Hannah-Gadsby/!5517757
## AUTOREN
Patrick Heidmann
## TAGS
Netflix
Comedy
Pandemie
Schwerpunkt Coronavirus
Transgender
USA
Enissa Amani
Netflix
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