# taz.de -- Chappatte über Ende der „NYT“-Cartoons: „Der Mob bestimmt di… | |
> Die „New York Times“ druckt keine politischen Cartoons mehr. Für Zeichner | |
> Patrick Chappatte ist klar: Sie ist vor den sozialen Medien eingeknickt. | |
Bild: „Das Netz ist gleichermaßen ein Fluch und eine Chance für uns“ | |
taz: Herr Chappatte, wie haben Sie von der Entscheidung der New York Times | |
erfahren, dass diese keine politischen Cartoons mehr veröffentlichen will? | |
Patrick Chappatte: Ich habe vor zwei Wochen die Mail erhalten. Ich hatte | |
aber so etwas schon seit einigen Monaten befürchtet, seit es die | |
Kontroverse über die Netanjahu-Zeichnung von António Moreira Antunes | |
gegeben hat. Damals schon hat die New York Times entschieden, [1][dass | |
keine Comicstrips mehr über Agenturen eingekauft werden]. Da hieß es noch, | |
man würde die eigenen Zeichner weiter beschäftigen. Dennoch war ich | |
besorgt. Ich habe damals zu CNN gesagt, dass es sich für einen politischen | |
Cartoonisten gerade anfühlt, als betreibe man Eiskunstlauf auf sehr dünnem | |
Eis. | |
War das nicht schon immer so? | |
Selbstverständlich, aber ich spreche von dieser ganz speziellen Situation | |
bei der New York Times, von diesem weltweiten Skandal. Die Zeitung hat sich | |
ganze fünfmal geäußert – zwei Stellungnahmen, ein Editorial, eine Kolumne | |
und eine Verlautbarung des Herausgebers. Ich muss sagen, ich war überrascht | |
– ich dachte, man hätte die Wogen geglättet und dass wir das hinter uns | |
lassen könnten. | |
Es handelte sich bei der als antisemitisch kritisierten Karikatur ja nicht | |
um Ihr Werk. | |
Was für eine Ironie. Ich habe mich schon weltweit für Zeichner eingesetzt, | |
die im Gefängnis waren, im Exil oder die entlassen wurden. Aber es ist mir | |
nie untergekommen, dass jemand seinen Job wegen der Zeichnung eines anderen | |
verloren hat. | |
[2][Auf Ihrer Webseite kommentieren Sie] den Schritt der New York Times und | |
zeigen Verständnis für Redaktionen, die unter dem Druck eines, wie Sie | |
sagen, „moralistischen Mobs“ stünden. | |
Ich habe nichts von „Verständnis“ geschrieben. Ich kritisiere ein Phänome… | |
dass uns wieder und wieder begegnet in letzter Zeit. Einfach gesagt: Es | |
gibt neue Medien, die stärker sind als die alten. Nämlich soziale Medien. | |
Und in den sozialen Medien bestimmt der Mob die Debatte. | |
Was die Kritik an der skandalträchtigen Netanjahu-Karikatur angeht, sind | |
Sie aber doch mit dem Mob einer Meinung? | |
Ich distanziere mich von Online-Mobs, die wie ein Gewitter über Redaktionen | |
herfallen, damit will ich mich nicht gemeinmachen. Wenn Sie eine | |
unaufgeregte Diskussion über jene Karikatur möchten, gerne. [3][Ich habe | |
neulich ein Video gemacht], allerdings auf Französisch, in dem ich darlege, | |
warum jene Karikatur problematisch war. | |
Erklären Sie's mir noch mal? | |
Zunächst finde ich persönlich, dass es kein besonders guter Cartoon ist, es | |
schmerzt mich, das über einen Kollegen zu sagen, aber ich schau mir die | |
Zeichnung ungern an. Die New York Times hätte sie nicht zeigen sollen. Es | |
gibt da vieles, was nicht funktioniert, was problematisch ist und was dazu | |
führt, dass viele Menschen die Zeichnung als antisemitisch wahrnehmen. | |
Etwa, dass der Hund einen Davidstern trägt – anstatt der israelischen | |
Flagge. | |
Generell ist die Darstellung von Menschen als Tiere etwas, mit dem ich | |
meine Probleme habe. Dieses Animalisieren des anderen, das kann in eine | |
Richtung gehen, die man vielleicht nicht intendiert hat. Dazu kommt die | |
Kippa auf dem Kopf von Trump – das verstehe ich einfach nicht. Würde ich | |
mit António sprechen, der ein geschätzter Kollege ist, dann würde ich ihn | |
fragen: „Warum ist da eine Kippa? Was willst du damit sagen?“ | |
Ich habe die Zeichnung auch einem Freund im Libanon gezeigt, einem | |
Intellektuellen, der selbst schon unter israelischen Bomben gelitten hat. | |
Und der sagte sofort: „Das da ist problematisch. Ein Hund mit Davidstern, | |
das kann nicht richtig sein!“ Aber ist die Zeichnung damit antisemitisch? | |
Ich denke nicht, dass die Absicht antisemitisch war. Dass dann sofort | |
Vergleiche mit dem „Stürmer“ gezogen werden, finde ich unerträglich, das | |
sollten wir unterlassen. | |
Können soziale Medien nicht gerade helfen, genau solcher Kritik schneller | |
Gehör zu verschaffen? | |
Mehr noch, dieselben sozialen Medien, die ich eben angeprangert habe, sind | |
ein Empowerment für politische Zeichner. Es ist paradox. Cartoons waren | |
noch nie so sichtbar. Sie sind dort die ideale Darstellungsform. Das Netz | |
ist gleichermaßen ein Fluch und eine Chance für uns. [4][Mein | |
Abschieds-Tweet] vom Montagmorgen ist ja auch über ebendiese sozialen | |
Netzwerke gegangen, deshalb sprechen wir ja jetzt gerade überhaupt | |
miteinander. | |
Nur: Letztes Jahr hat die Süddeutsche Zeitung [5][die Zusammenarbeit mit | |
dem Zeichner Dieter Hanitzsch beendet], sehr plötzlich und rasch, wegen | |
einer Netanjahu-Karikatur, die ich persönlich nicht für antisemitisch | |
halte. Ich kritisiere die Haltung der Redaktionen, die nicht bereit sind, | |
sich dem Mob entgegenzustellen. | |
Laut Chefredaktion der Süddeutschen Zeitung gab es Gespräche mit Hanitzsch. | |
Man habe sich einfach nicht einigen können, was eine antisemitische | |
Zeichnung ausmacht. Das klingt nicht nach einer plötzlichen, raschen | |
Entscheidung. | |
Sie machen Spaß! Die haben ihn gefeuert, und zwar wenige Tage nachdem sie | |
seine Zeichnung für die Zeitung akzeptiert hatten. Ich bin kein Fan von | |
Hanitzsch und ich mochte diesen Cartoon nicht – aber ich finde, das ging | |
allzu schnell. Was bei allen diesen Fällen fehlt, und da schließe ich die | |
New York Times mit ein, ist eine Diskussion. Die Medien sind dafür da, zu | |
informieren, einzuordnen, zu analysieren. Aber wenn sie selbst zum Thema | |
werden, scheitern sie. | |
14 Jun 2019 | |
## LINKS | |
[1] https://www.nytimes.com/2019/05/01/business/new-york-times-cartoon-anti-sem… | |
[2] https://www.chappatte.com/en/the-end-of-political-cartoons-at-the-new-york-… | |
[3] https://www.youtube.com/watch?time_continue=34&v=eXxroknAXi8 | |
[4] https://twitter.com/chappatte/status/1138143676654395393 | |
[5] /Nach-antisemitischer-Karikatur/!5506999 | |
## AUTOREN | |
Peter Weissenburger | |
## TAGS | |
Cartoon | |
New York Times | |
Dieter Hanitzsch | |
Antisemitismus | |
Comic | |
Karikaturist | |
Karikatur | |
Karikatur | |
Karikatur | |
Süddeutsche Zeitung | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Cartoon-Zeichner über das Lustigsein: „Ich klaue Ideen bei meinem Sohn“ | |
Tobias Vogel zeichnet unter dem Pseudonym @kriegundfreitag Strichmenschen: | |
nachdenkliche, verzweifelte, aber vor allem lustige. | |
„Guardian“ entlässt Zeichner Steve Bell: Schluss mit lustig | |
Der „Guardian“ trennt sich vom langjährigen Cartoonisten. Man müsse spare… | |
heißt es. Aber es gab auch immer wieder Kritik an Steve Bell. | |
Kommentar Preis für Emma-Cartoonistin: Falsche Ehre für Kopftuchklischees | |
Die Cartoonistin Franziska Becker soll vom Journalistinnenbund für ihr | |
Lebenswerk ausgezeichnnet werden. Eine befremdliche Entscheidung. | |
Kommentar Preis für Dieter Hanitzsch: Antisemitische Bildsprache | |
Dem kritikresistenten Dieter Hanitzsch wird ein Preis verliehen, obwohl er | |
eine antisemitische Karikatur veröffentlichte. Das ist skandalös. | |
Preis für Karikaturist Dieter Hanitzsch: „Schandbild für die Münchner Kult… | |
Dieter Hanitzsch hatte 2018 eine antisemitische Karikatur gezeichnet. Am | |
Donnerstag bekommt er einen Preis für sein Lebenswerk verliehen. | |
Antisemitische Karikatur in der „SZ“: Der kriegslüsterne und mächtige Jude | |
Die „Süddeutsche Zeitung“ hat sich für eine veröffentlichte Zeichnung | |
entschuldigt, die mehrere antisemitische Stereotype transportiert. |