# taz.de -- Cartoon-Zeichner über das Lustigsein: „Ich klaue Ideen bei meine… | |
> Tobias Vogel zeichnet unter dem Pseudonym @kriegundfreitag | |
> Strichmenschen: nachdenkliche, verzweifelte, aber vor allem lustige. | |
Bild: Nicht kopierbar: Die Strichmännchen von Tobias Vogel sind seine Handschr… | |
Tobias Vogel aka @kriegundfreitag zeichnet lustige Strichmenschen mit | |
schwarzem Fineliner in dicke Skizzenblöcke. Seine Cartoons veröffentlicht | |
er auf Twitter und in eigenen Büchern. Vogels kleines Atelier liegt im | |
Hamburger Oberhafen-Quartier, wo die taz ihn getroffen hat. | |
taz: Herr Vogel, wie lange denken Sie über eine Strichmensch-Zeichnung | |
nach? | |
Tobias Vogel: Das ist extrem unterschiedlich. Teilweise schießen mir die | |
Ideen quasi fertig in den Kopf und ich habe nicht bewusst darüber | |
nachgedacht. Das sind Ideen, die mir das Universum zu schenken scheint und | |
teilweise kaue ich tagelang auf Ideen rum bis etwas Vernünftiges daraus | |
wird. Manchmal habe ich schon eine Pointe, aber mir fällt keine Rampe ein | |
um dahin zu führen. | |
Mitten im Lockdown Ende 2020 haben Sie getwittert, dass Sie Ihren | |
Versicherungsjob kündigen werden und von der Kunst leben wollen. Wie | |
funktioniert der Plan? | |
Sehr gut! Ich habe ehrlich gesagt nicht mit der großen Resonanz auf meine | |
Ankündigung gerechnet. Das war nicht so dramatisch wie es wirkte. Ich habe | |
vorher auch schon vom Künstler:innendasein gelebt, war allerdings in | |
Elternzeit und hatte den Job im Hintergrund, den ich wieder hätte anfangen | |
können. Da ich damals gemerkt habe, dass es auch ohne feste Anstellung | |
funktioniert, habe ich meinen Plan umgesetzt. Und es funktioniert. | |
Strichmenschen kann jede:r zeichnen. Warum sind Ihre besonders? | |
Das weiß ich auch nicht so genau. Viele sagen, dass meine Strichmenschen | |
einen Look haben, der nicht so einfach zu kopieren ist. In sozialen | |
Netzwerken zeichnen Menschen ja gerne als Hommage Strichmenschen-Comics. | |
Die sehen dann doch irgendwie anders aus als meine. Das ist wie mit einer | |
Handschrift. Es ist auch nicht einfach eine Handschrift zu kopieren. | |
Ähnlich scheint es mit den Zeichnungen zu sein, so simple wie sie sein | |
mögen. | |
Ihr Humor ist auch wie eine persönliche Handschrift. Trocken, schwarz, | |
ironisch, kindlich. Woher haben Sie ihn? | |
Das ist eine gute Frage. Ich bin höchstwahrscheinlich von allen möglichen | |
Anderen beeinflusst. Ich konsumiere viele Serien, Bücher, Podcasts. | |
Wahrscheinlich sind da diverse Einflüsse in mich eingesickert. Irgendwann | |
habe ich gemerkt, dass meine Ideen andere Menschen zum Lachen bringen, ohne | |
dass ich bewusst darauf hinarbeite. Mein Humor hat sich sozusagen von | |
alleine in mir entwickelt. | |
Sie waren also nicht als Kind schon besonders lustig? | |
Nee, das kann ich nicht behaupten. Ich war nicht der typische Klassenclown. | |
Und ich kann auch nicht behaupten, dass andere mehr über mich gelacht | |
hätten. Zum Zeichnen bin ich ja erst spät gekommen. Ich war zwar schon | |
immer kreativ, aber auch richtungslos. Erst mit Mitte 30 bin ich zu meiner | |
jetzigen Ausdrucksform gelangt. Wahrscheinlich brauchte diese Ader ihre | |
Zeit um sich entwickeln zu können. | |
Sind Sie in Ihrem Alltag auch lustig? | |
Ich hoffe doch. Das würde ich schon behaupten. Was ich vermisse, das ist | |
eine Kehrseite der Selbstständigkeit, dass ich keine | |
Arbeitskolleg:innen habe, mit denen ich mir die Bälle hin und her | |
werfen kann. Das habe ich an meinem vorherigen Job sehr gemocht. Ich hoffe, | |
dass ich da schon mal die ein oder andere Pointe gelandet habe. | |
Das soziale Umfeld ist auch inspirierend. | |
Auf jeden Fall! Das, was andere Menschen machen inspiriert mich. Ich bin | |
auch sehr interessiert daran, was andere Kreative fabrizieren. Das sieht | |
man in meinem Bücherregal. Ich bin offen für fremde Einflüsse, die ich in | |
meiner eigenen Form umsetze. Wenn man offen für das Leben, für die Welt und | |
für seine Umgebung ist, kann alles eine Inspiration sein. Das kann ein | |
Dialog sein, den man aufschnappt oder ein Werbespot. Ansätze für Ideen kann | |
man überall finden, wenn man mit offenen Augen durch die Welt geht. | |
Ihr Band „Babysachen“ zeugt davon, dass auch Ihr zweijähriger Sohn | |
inspirierend für Sie ist. | |
Absolut. Ich hätte nicht gedacht, dass kleine Kinder so witzig sind. Gerade | |
jetzt, wo er langsam fließender spricht, sagt er jeden Tag Dinge, die ich | |
im Grunde nur aufschreiben muss und sie sind ein Knaller. Es ist fast | |
Ideenklau, den ich bei meinem Zweijährigen betreibe. | |
In Ihrem Regal steht ein Band der feministischen Comiczeichnerin Liv | |
Strömquist. | |
Ja, ich finde ihn fantastisch. Liv Strömquist gibt einem Gedanken viel mehr | |
Raum zur Entfaltung als ich. Es sind regelrechte Essays, die sie mit ihren | |
Illustrationen produziert. Das habe ich selbst noch nicht gemacht und ich | |
weiß nicht, ob ich das intellektuelle Rüstzeug dafür hätte. Vielleicht | |
lasse ich es mal darauf ankommen und versuche auch etwas Längeres. Ihre | |
Kunst ist es komplexe Ideen niedrigschwellig rüberzubringen. | |
Wie hat das Zeichnen bei Ihnen angefangen? | |
Das war kurz bevor ich meinen Twitter-Account gestartet habe, Anfang März | |
2017. Ich war mit meiner Frau in Eimsbüttel unterwegs. In einer | |
Buchhandlung habe ich Bücher zum Thema „Zeichnen lernen“ gesehen und dachte | |
vielleicht wäre das ein netter Ausgleich zu meinem Versicherungs-Job. Ich | |
habe mir ein Skizzenbuch gekauft und bin relativ schnell bei den | |
Strichmenschen gelandet, für die man natürlich keine Zeichnen-Lernen-Bücher | |
braucht. Als ich die Zeichnungen auf Twitter veröffentlicht habe, gingen | |
sie sofort durch die Decke. Das war unglaublich. Nach einem Monat hatte ich | |
schon eintausend Follower:innen. | |
Ihr neuer Band heißt „Psyche, du kleiner Schlingel“. Beschäftigt Sie das | |
Thema Psyche? | |
Ja, auf jeden Fall. Ich bin nicht der Typ, der aus seinem Herzen eine | |
Mördergrube macht und alles nur mit sich allein aushandelt. Das ist ja | |
etwas, was man Männern oft nachsagt. Ich bin dafür das eigene Seelenleben | |
offenzulegen. Das will ich aber nicht auf obszöne Weise machen, indem ich | |
alles hinschreibe, wie es in mir gerade stattfindet. Wenn, dann soll es auf | |
eine pointierte Weise sein. Das versuche ich in meinen Cartoons umzusetzen. | |
Ihre Zeichnungen sind lustig und nachdenklich zugleich. Verkörpern die | |
Strichmenschen Ihre eigenen Gedanken? | |
Nicht immer. Meine Zeichnungen sind vielleicht zu 70 Prozent | |
autobiografisch. Teilweise denke ich mir Sachen schlicht aus. | |
Welche Zeichnung ist zum Beispiel autobiografisch? | |
In meinem älteren Band „Schweres Geknitter“ fragt eine gute Fee einen | |
Strichmenschen, welchen Wunsch sie ihm:ihr erfüllen kann: „Ewiges Leben, | |
Reichtum?“ Der Strichmensch antwortet: „Sag mir bitte einfach, was mit mir | |
nicht stimmt.“ Die Sehnsucht das, was in meinem Leben schief zu gehen | |
scheint, auf eine simple Erklärung oder Diagnose herunterzubrechen, ist | |
autobiografisch. | |
Was ist schief gegangen? | |
(Lacht.) Wo soll ich anfangen? Ich bin wahnsinnig unstrukturiert. Ich lasse | |
viele Dinge Ewigkeiten schleifen. Ich bin teilweise das Cliché des | |
verkrachten Künstlers. Das ist kein Cliché, das ich zelebriere, sondern | |
eines, das ich sehr gerne sehr bald überwinden würde. Aber das ist nicht so | |
einfach. | |
Bei vielen Ihrer Strichmenschen lässt sich eine Depression vermuten. Haben | |
Sie damit selbst Erfahrung? | |
Tatsächlich nicht. Da fallen wahrscheinlich manche aus allen Wolken, wenn | |
sie das lesen. Ich habe ja vorhin das Beispiel mit der guten Fee gebracht: | |
Bei mir scheint das Verkrachte nicht aus einer psychischen Erkrankung, | |
sondern aus einer Persönlichkeitsdisposition zu stammen. Manchmal wünschte | |
ich, ich hätte dafür auch ein Label oder eine Diagnose. | |
Während der Corona-Zeit haben psychische Probleme zugenommen. Zeigt sich | |
das in Ihren Zeichnungen? | |
Nein, das würde ich nicht sagen. Die Quellen für psychische Probleme waren | |
bei mir auch schon vorher vorhanden. Als unser Sohn nicht in die Kita | |
konnte und ich nicht ins Atelier, als wir die ganze Zeit aufeinander | |
gehockt haben, da bin ich teilweise an meine Grenzen gekommen. Das ist aber | |
nicht verstärkt in die Cartoons eingeflossen. Ich würde nicht sagen, dass | |
die Depri-Cartoons, die ja ein bisschen ein Unter-Genre bei mir sind, | |
deswegen zugenommen haben. | |
Für wen zeichnen Sie die Strichmenschen? | |
Für niemanden speziell. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es mich beim | |
Zeichnen lähmt, wenn ich das Publikum mitdenke. Dabei kommt entweder gar | |
nichts oder nichts Gutes raus. Am besten funktioniere ich, wenn ich darüber | |
gar nicht nachdenke. Ich habe auch schon Sachen gepostet, die untergegangen | |
sind und totale Rohrkrepierer waren. | |
Warum sind Cartoons Ihre Ausdrucksform? | |
Ich habe lange davon geträumt einen Roman zu schreiben und bin daran | |
gescheitert, dass ich erstens zu unorganisiert und zweitens schlicht zu | |
faul bin. Ein Strichmenschen-Cartoon kommt mir da natürlich enorm entgegen. | |
Ich muss zwar länger darüber nachdenken, aber dafür muss ich nicht am | |
Schreibtisch sitzen. Das kann ich auch machen während ich die Wohnung | |
aufräume. Die eigentliche Zeichenarbeit geht schnell, das kommt mir als | |
notorischer Faulpelz sehr entgegen. | |
Was machen Sie, wenn Sie eine Strichmensch-Blockade haben? | |
Das passiert nicht. Blockaden entstehen, wenn man zu hohe Ansprüche an das | |
eigene Tun hat. Es ist kein Weltuntergang, wenn ich mal einen Flop lande. | |
In sozialen Netzwerken versendet sich das. | |
Wie reagieren Sie, wenn jemand Ihre Zeichnungen kritisiert? | |
Das kommt drauf an, was jemand kritisiert. Es ist absolut unmöglich, dass | |
allen gefällt was ich mache. Wenn kritisiert wird, dass etwas an meinen | |
Cartoons problematisch ist, dann nehme ich das ernst. Ich habe auch schon | |
Sachen gelöscht, wenn jemand mich darauf aufmerksam gemacht hat, dass etwas | |
nicht angemessen war. Ich bin quasi ein Twitter-Urgestein und bin | |
sensibilisiert. | |
31 Dec 2021 | |
## AUTOREN | |
Carla Geiger | |
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