# taz.de -- Buslinie M29: Geliebt und gehasst | |
> Der M29 polarisiert. Für viele Berliner von Roseneck bis Hermannplatz ist | |
> er ein tägliches Ärgernis, etwa wegen der auf dieser Linie erfundenen | |
> Busraupe. | |
Bild: Er kommt tatsächlich | |
Der M29er ist eine Buslinie der Gegensätze. Wer die knapp 16 Kilometer | |
lange Strecke von Anfang bis Ende fährt, vom Hermannplatz bis Roseneck oder | |
umgekehrt, sieht viele Gesichter dieser Stadt. Görli und Ku’damm, Omis mit | |
Rollator und Eltern mit Kinderwagen, Anwälte und Arbeitslose, | |
Secondhandshops und Kadewe, Dreadlocks und Fönfrisuren, schicke Villen und | |
schmuddelige Altbauten. Auch der M29er selbst polarisiert: Viele lieben | |
ihn. Und viele hassen ihn. | |
Rund 60.000 Fahrgäste sind laut BVG täglich in den gelben Doppeldeckern | |
zwischen Kreuzberg und Schmargendorf unterwegs. Im Laufe eines Tages lenken | |
insgesamt 71 FahrerInnen die Busse durch die Stadt. | |
Ton Steine Scherben setzten der Linie ein akustisches Denkmal: „Mensch | |
Meier kam sich vor wie ’ne Ölsardine. / Irgendjemand stand auf seinem | |
rechten großen Zeh. / Das passierte ihm auch noch in aller Herrgottsfrühe / | |
im 29er kurz vor Halensee …“ | |
Dafür muss man wissen: Erst seit 2004 trägt der 29er das M im Namen – für | |
Metrobus. Eingeführt wurde die Linie 29 bereits 1954, als Ersatz für die | |
zuvor eingestellte Straßenbahn über den Kurfürstendamm. Zunächst war der | |
29er nur zwischen Roseneck und Anhalter Bahnhof unterwegs, später | |
verlängerte man die Strecke bis zum Oranien- und dann bis zum Hermannplatz. | |
Laut BVG sind tagsüber 23 Busse gleichzeitig auf der Linie unterwegs. Und | |
weil der Verkehr mal besser, mal schlechter fließt, weil vor allem in | |
Kreuzberg gerne mal Lieferwagen in der zweiten Reihe parken, kommt es zu | |
Verspätungen – und damit zur „Pulkbildung“, wie die BVG mehrere direkt | |
hintereinander fahrende Doppeldecker nennt. Ein aus Fahrgastsicht | |
ärgerliches Phänomen: Erst kommt lange kein Bus. Und dann gleich drei auf | |
einmal: die Busraupe. | |
Die BVG erklärt das folgendermaßen: Wenn ein Bus Verspätung hat, warten | |
mehr Menschen an der Haltestelle. Der Ein- und Ausstieg dauert bei vielen | |
Fahrgästen länger. Also warten noch mehr Leute an der nächsten Haltestelle, | |
es dauert noch länger, bis sie ein- und ausgestiegen sind. Verspätung führt | |
also zu mehr Verspätung. | |
Manchmal überholen leere Busse volle Busse. Manchmal wende ein Bus, der | |
hinter einem anderen fahre, auch frühzeitig, so BVG-Sprecher Markus | |
Falkner. Das geht aber nur, wenn keine Fahrgäste mehr an Bord sind. Falkner | |
sagt: „Für die Leitstelle ist die Pulkbildung schwer bis gar nicht zu | |
lösen.“ Kaum zu glauben: Die Pünktlichkeit der Linie lag laut BVG 2016 | |
trotzdem bei 85 Prozent – und damit nur leicht unter dem Durchschnitt aller | |
BVG-Busse. (Antje Lang-Lendorff) | |
## Nie ohne einen Coffee to go | |
Am Hermannplatz geht es los morgens, der Bus ist noch leer, der Fahrer | |
entspannt, weil er gerade Kaffee trinken durfte und rauchen. „Einmal AB | |
bitte“, mit der rechten Hand das Wechselgeld und das Thermopapier-Ticket | |
eingesackt, mit der linken den Coffee to go vom Café Süß balancierend, | |
unter den linken Arm noch einen aufgebackenen Teigling geklemmt, geht es | |
die Treppe hinauf zur Bus-Beletage. | |
Der Platz, mein Platz, ist wie fast immer frei. Es ist der Platz direkt | |
rechts von der Treppe, er hat etwas mehr Beinfreiheit als der Sitz am | |
Notausgang im Flugzeug. Der Clou an diesem M29-Ritual ist, dass es so | |
verlässlich ist wie der Wachwechsel am Buckingham-Palace, bis ins Detail: | |
Im Oberdeck angelangt, drehe ich mich halb um die eigene Achse. Und genau | |
in dem Moment, in dem ich mich vorsichtig setzen möchte, gibt der Fahrer | |
Gas und ich werde mit einem Ruck so in das hässlich gemusterte Fauteuil | |
geschleudert, dass der Kaffee ein wenig überschwappt. Solange das klappt, | |
ist es egal, ob der Bus pünktlich kommt. (Martin Reichert) | |
## | |
## Drama an jeder Haltestelle | |
Früher, als es noch der 129er war, fuhr ich den Bus M29 sogar aus Spaß: | |
vorn oben im Doppeldecker von Kreuzberg zum Ku’damm – herrlich. Heute hasse | |
ich diese Linie. Der Grund: Nie weiß man, wann der Bus kommt, weil er | |
irgendwo feststeckt, etwa in der Oranienstraße. Und wenn er kommt, weiß man | |
nie, wann er wirklich ankommt. | |
Den Bus plagt zudem eine ausgesprochene Wetterfühligkeit: Bei Regen oder | |
Schnee ist er häufig überfüllt, weil viele Radler, die ihm sonst im Weg | |
sind, mitfahren wollen – und dann noch meckern, dass es voll ist. Du stehst | |
nicht im überfüllten Bus, du bist der überfüllte Bus, denke ich dann. | |
Das Schlimmste aber ist die Fehlkonstruktion der Bustüren: Steht nur ein | |
Mensch im unsichtbaren Sicherheitsbereich der Tür, kann diese nicht | |
schließen und der Bus fährt minutenlang nicht los – ein Drama, das sich an | |
jeder Haltestelle wiederholt. Warum baut die BVG nicht Busse, deren Türen | |
prompt schließen wie in U- und Straßenbahnen? (Richard Rother) | |
## | |
## Immer, immer und immer wieder | |
M29, ick hasse dir. Du bist schuld, dass ich ungefähr alle zwei Wochen eine | |
SMS an meinen Chef schicken muss: „Bin leider zu spät, Bus kommt seit 20 | |
Minuten nicht …“ Ist schon ein Runninggag unter KollegInnen: „Na, warum so | |
abgehetzt? Mal wieder mit dem Bus gefahren?“ Selbst schuld, höre ich im | |
Subtext, warum fährst du auch nicht, wie jedeR anständige GroßstädterIn, | |
selbst bei Regen, Sturm und Hagel mit dem Rad. | |
Nun habe ich selbstredend vollstes Verständnis dafür, dass man im | |
großstädtischen Verkehr mal zu spät kommen kann. Aber: Ich steige morgens | |
an der Haltestelle Pannierstraße ein, das ist exakt zwei Stationen nach der | |
Endhaltestelle Hermannplatz. Liebe BVG, wie kann es sein, dass ein Bus | |
bereits zwei Haltestellen nach Beginn der Fahrt 15 Minuten Verspätung | |
hat??? Zumal am Herrmannplatz in der Regel zwei, drei Busse rumstehen. | |
Noch schlimmer ist die Rückfahrt am Nachmittag oder Abend: Immer, immer, | |
immer fährt einem der Bus vor der Nase weg! Halb so wild, sagen Sie, in | |
fünf Minuten kommt doch der nächste? Pustekuchen. Immer, immer, immer | |
wartet man an der Charlottenstraße, der zugigsten Haltestelle der Welt | |
(muss am GSG-Hochhaus liegen), garantiert 10 bis 15 Minuten – und dann | |
kommen gleich drei Busse!!! | |
Hektisch versuchen sich 100 durchgefrorene Wartende in den überfüllten | |
Doppelstöcker zu quetschen, der schlecht gelaunte Busfahrer ruft: „Nicht | |
drängeln! Da kommt doch schon der Nächste!“ Wer so blöd ist, darauf zu | |
reagieren, und sich dem zweiten Bus zuwendet, guckt in die Röhre: Der | |
braust einfach vorbei. Panisch winkt man dem dritten Bus: Dessen Fahrer ist | |
immerhin so gnädig anzuhalten. Puh, Glück gehabt! (Susanne Memarnia) | |
## | |
## Deniz Yücel soll wieder M29 fahren | |
Warum dieser Bus so ein Mythos ist, habe ich nie so ganz begriffen. Die | |
Linie 1 – klar, da gab es das berühmte Musical und die fährt so schön hoch | |
auf Stelzen durch die Stadt wie in Chicago, und auch noch von Ost nach | |
West. Aber der M29? Ja mei, ein stinknormaler Bus halt, stickig und so | |
voll, dass ich ihn meistens lieber mied, als wir noch an der Strecke | |
wohnten. Nur an Regentagen stieg ich ein – und traf fast immer einen tazler | |
oder eine tazlerin. | |
Am häufigsten Christian Specht und Deniz Yücel. Vielleicht ist diese | |
Buslinie ja nur für die taz eingerichtet worden und wird deshalb von uns | |
zum Mythos erklärt. Aber das kann auch nicht sein, denn da wäre sie ja | |
nicht so voll. Voll mit überzeugten Busfahrern wie Deniz, der Autos, | |
Fahrräder, Halbmarathons und andere Korsos nur im Notfall braucht. Das | |
Einzige, was ich mir vom M29 noch wünsche, ist also, dass Deniz wieder | |
mitfährt. (Lukas Wallraff) | |
11 Apr 2017 | |
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