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# taz.de -- Bund-Länder-Beschluss zu Corona: Ein irreführender Indikator
> Bund und Länder machen die Hospitalisierungsrate zum bundesweit
> einheitlichen Corona-Indikator. Leider ist sie schlecht berechnet und
> unbrauchbar.
Bild: Eine Oberärztin mit einem Coronapatienten in einer Intensivstation in Th…
Man muss auch mal loben können. Und deswegen gleich vorab: Ja, es ist
richtig gut, dass sich die Minsterpräsident:innen mit den
Vertreter:innen der Bundesregierung [1][endlich zusammengesetzt haben.]
Nach wochenlangem Zögern zwar erst, was angesichts der rasant ansteigenden
Corona-Zahlen fatal ist – [2][für viele sogar letal]. Aber immerhin haben
sie sich nun ohne allzugroßen Radau auf bundesweit geltende Maßnahmen
geeinigt. Das war mehr als überfällig.
Richtig und wichtig ist auch, dass sie dem noch relativ neuen Warnwert,
[3][der Hospitalisierungsrate,] landeseinheitliche Schwellenwerte gegeben
haben, die nun in allen Bundesländern die gleichen Konsequenzen nach sich
ziehen. Das macht das Handeln der Regierenden erklärbar, ein Fakt, der
angesichts der verständlicherweise noch immer großen Verunsicherung durch
die Coronapandemie nicht zu unterschätzen ist.
Dumm nur, dass sich die Ministerpräsidentenkonferenz mit der
Hospitalisierungsrate den am schlechtesten berechneten Warnwert gewählt
hat. Da nutzen auch die neu eingeführten Schwellenwerte 3, 6 und 9 nichts
mehr. Sie gaukeln Klarheit vor, wo doch nur Tapsen im Nebel möglich ist.
Dabei könnte die Hospitalisierungsrate eigentlich ein klug gewählter
Wegweiser sein. Sie gibt an, wie viele Menschen pro 100.000
Einwohner:innen in den letzten 7 Tagen wegen einer Covid-19-Erkrankung
in eine Klinik aufgenommen wurden.
## Leicht erkrankte Infizierte fallen raus
Anders als bei der 7-Tage-Inzidenz, die die Entwicklung aller neu
registrierten Infizierten beschreibt, konzentriert sich die
Hospitalisierungsrate nur auf diejenigen, die so schwer erkrankten, dass
sie in Kliniken behandelt werden müssen. Infizierte ohne Symptome und auch
nur leicht Erkrankte fallen raus. Sie misst damit den Stand der Pandemie
tatsächlich an einem Punkt, an dem es heikel wird: in den Krankenhäusern.
Das heißt, sie würde ihn messen, wenn es denn geeignete Daten gäbe. Die
aber fehlen. Zwar veröffentlicht das Robert-Koch-Institut (RKI) seit Mitte
Juli fast täglich die Hospitalisierungsrate. Aber zwischen dem Beginn des
Krankenhausaufenthalts eines Covid-19-Falls und dem Zeitpunkt, an dem diese
Information am RKI eingeht, entsteht ein zeitlicher Verzug. Und der beträgt
teilweise mehrere Wochen.
Daher muss der Tageswert der Hospitalisierungsrate stets im Nachhinein nach
oben korrigiert werden. Nicht um ein paar zu vernachlässigende Stellen
hinter dem Komma, sondern meist um 80, manchmal sogar um 100 Prozent. Mit
anderen Worten: Die tatsächliche Hospitalisierungsrate ist fast doppelt so
hoch wie angegeben. Den exakten Wert kennt man erst Wochen später. Als
aktueller Warnindikator ist die Hospitalisierungsrate somit schlichtweg
unbrauchbar.
Am Montag vergangener Woche meldete das RKI zum Beispiel eine
Hospitalisierungsrate von 3,93, mittlerweile wurde sie um 85 Prozent auf
7,26 korrigiert. Das RKI kennt und benennt das Problem in seinen
Wochenberichten. Dort veröffenticht es mittlerweile regelmäßig eine Kurve
mit der sogenannten „adjustierten Hospitalisierungsinzidenz“, die den
erwarteten Wert hochrechnet.
In der jüngsten Ausgabe von Donnerstagabend ist [4][die bundesweite
Hospitalisierungsinzidenz schon auf 10 gestiegen] – und zwar am vergangenen
Samstag. Daten für die letzten Tage zeigt die Kurve nicht. Zudem kann man
nicht einmal ausrechnen, wie sehr dieser Samstagswert angestiegen ist. Denn
am Wochenende berechnet das RKI die Rate nicht, was sie nochmals
unbrauchbarer macht.
Noch verwirrender ist, dass das RKI auf seiner Homepage eine Kurve der
„7-Tage-Inzidenz Hospitalisierungen“ zeigt, die am Ende stets fällt. Sie
erweckt also den Anschein, dass die Belastung der Krankenhäuser sinkt.
Dabei fehlen bei den jüngsten Werten schlichtweg nur die Nachmeldungen.
Eine irreführende Grafik, die schon zu zahlreichen Missverständnissen
geführt hat – selbst in der Berichterstattung über die Pandemie.
So ist in vielen Medienberichten immer wieder zu lesen oder zu hören, dass
die aktuelle Hospitalisierungsrate mit dem bisherigen Allzeithoch
verglichen wird. Die 7-Tage-Inzidenz-Hospitalisierungen lag an Weihnachten
letztes Jahr bei fast 16. Der am Donnerstag gemeldete Tageswert von 5,3
hörte sich da noch vergleichsweise harmlos an. Wenn man aber davon ausgehen
muss, dass die Rate längst über 10 liegt und stetig steigt, sieht es schon
ganz anders aus.
Ein Warnwert, der die Lage verharmlost. Geht es noch absurder? Leider ja.
Denn nun soll dieser Wert bundesweit Orientierung geben. Legt man die vom
RKI zuletzt veröffentlichten Hospitalisierungsraten der Länder zugrunde,
dann würde in Hessen derzeit der Schwellenwert 1 überschritten. Geht man
aber davon aus, dass der tatsächliche Wert mindestens 80 Prozent höher
liegt, würde in Hessen Warnstufe 2 gelten.
Und rechnet man damit, dass sich die Rate sogar noch verdoppelt, würde
sogar der Schwellenwert 3 überschritten und damit die höchste Warnstufe
erreicht werden. In mindestens 13 der 16 Bundesländer sind wegen des
Datenverzugs die Coronawarnstufen zu niedrig und damit die Gegenmaßnahmen
unangemessen lau. Die Zahl der Infektionen wird unzureichend gebremst. Und
am Ende sterben mehr Menschen als bei einem wirksamen Warnsystem. Könnte
man da nicht einfacher Lotto spielen?
Oder die Coronamaßnahmen aus dem Kaffeesatz des Bundeskanzleramts
herauslesen? Ganz so schlimm ist es nicht. Schließlich lässt sich aus den
Änderungen der Hospitalisierungsrate noch immer eine Tendenz herauslesen.
Dass aber die verantwortlichen Politiker:innen glauben, aus einem
äußerst wackeligen Wert konkrete Schlüsse ziehen zu können, ist alles
andere als beruhigend.
19 Nov 2021
## LINKS
[1] /Bund-Laender-Treffen-zur-Coronalage/!5812582
[2] /Coronalage-in-Deutschland/!5816509
[3] /Debatte-um-Coronamesswerte/!5806454
[4] https://twitter.com/ECMOKaragianni1/status/1461404581070577666
## AUTOREN
Gereon Asmuth
## TAGS
Schwerpunkt Coronavirus
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fatal.
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