# taz.de -- Brandenburger Verein im Grenzgebiet: „Über die Grenze geprügelt… | |
> Um Geflüchtete zu unterstützen, ist Miriam Tödter von „Wir packen’s an… | |
> in Polen unterwegs. Sie wünscht sich mehr Solidarität mit allen | |
> Flüchtenden. | |
Bild: Das Team von „Wir packen's an“ mit den Spenden für Geflüchtete | |
taz: Frau Tödter, Sie waren für [1][Ihre Hilfsorganisation „Wir packen’s | |
an“] in Polen unterwegs, zuerst an der Grenze zur Ukraine, dann an der nach | |
Belarus. Was haben Sie erlebt? | |
Miriam Tödter: Schon auf dem Weg zur ukrainischen Grenze ist mir der viele | |
Verkehr aufgefallen: Richtung Osten viele Laster und Transporter, Richtung | |
Westen viele Minibusse, teilweise Reisebusse, offenkundig mit | |
Kriegsflüchtenden an Bord. Wir sind in den Grenzort Cieszanów gefahren, | |
dort hat die Organisation Folkowisko, die eigentlich Festivals organisiert, | |
eine humanitäre Verteilstation aufgebaut. | |
Und denen helfen Sie? | |
Ja, die brauchen ganz viel Lebensmittel, vor allem Sachen, die man ohne | |
Zubereitung und in einer Schlange stehend zu sich nehmen kann. Die | |
Geflüchteten stehen auf der ukrainischen Seite immer noch stunden- bis | |
tagelang an. | |
Warum eigentlich? | |
Von den Freiwilligen vor Ort wurde uns gesagt, dass es dafür drei Gründe | |
gibt. Einmal wird nach Männern im wehrfähigen Alter geguckt, die dürfen das | |
Land ja nicht verlassen. Dann werden alle registriert, damit man im Fall | |
von größeren militärischen Zerstörungen weiß, wer noch im Land war. Auch | |
kann man so spätere Familienzusammenführung erleichtern, wenn man weiß, wer | |
in welche Richtung das Land verlassen hat. Drittens glauben die | |
Freiwilligen, dass die ukrainischen Offiziellen krasse Bilder von den | |
Warteschlangen wollen, weil sie nicht wollen, dass die gesamte | |
Zivilbevölkerung die Ukraine verlässt. Vermutlich eine Mischung von all | |
dem. | |
Sie versorgen also die Leute in der Schlange? | |
Ja, unsere Partnerorganisation hat mit dem lokalen Bürgermeister und im | |
kleinen Grenzverkehr mit der ukrainischen Seite erreicht, dass die | |
Helfer*innen über die Grenze dürfen und die Leute versorgen können, wenn | |
sie in dieser Schlange stehen. Die Leute sind völlig erschöpft, es ist | |
kalt, teilweise hat es noch geschneit. Sie bekommen diese wärmenden | |
Rettungsdecken, die wir aus der Seenotrettung kennen, Energiegetränke, | |
Schokoriegel. | |
Das bringen Sie aus Berlin? | |
Ja, wir hatten schon zwei Fuhren mit dem Lkw, ich bin beim zweiten Mal | |
mitgefahren. Inzwischen haben wir eine Kooperation mit dem [2][Soli-Bus]. | |
Das ist ein Berliner gemeinnütziger Verein, der sich bei uns gemeldet hat. | |
Sie fahren regelmäßig mit dem Bus zur Grenze, um Leute abzuholen, vor allem | |
Schwarze Menschen, PoCs, aber auch andere. Auf dem Hinweg nehmen sie jetzt | |
unsere Lebensmittel mit. | |
Wie ging Ihre Fahrt weiter? | |
Also, am 8. März waren wir losgefahren, erst nach Cieszanów, dort haben wir | |
zwei Drittel des Lkws ausgeladen, dann sind wir weiter nach Hajnówka an der | |
Grenze zu Belarus. Dort arbeiten wir mit der Grupa Granica zusammen. Das | |
ist diese Koalition, die sich letzten Herbst gebildet hat aus kleinen | |
Gruppen und zivilgesellschaftlichen Organisationen zur Unterstützung der | |
Geflüchteten, die über die belarussische Grenze gekommen sind. Eine Zeit | |
lang war dort weniger los, aber jetzt kommen wieder mehr Geflüchtete über | |
diese Grenze. | |
Das sind weiterhin vor allem Menschen aus Nahost? | |
Ja, im Moment kommen [3][ziemlich viele syrische Menschen;] aber auch Leute | |
aus Jemen, Irak, Afghanistan. | |
Haben Sie selber mit Flüchtlingen sprechen können? | |
Bei diesem Trip nicht. Im vergangenen Herbst war ich selber bei einem | |
Einsatz in diesem Waldgebiet dabei. Aber dort hat die polnische Regierung | |
angefangen, eine Mauer zu bauen. Darum weichen die Flüchtenden nach Norden | |
aus, wo die Grenzlandschaft sehr sumpfig ist. Die Helfer*innen von Grupa | |
Granica haben uns erzählt, dass sie jetzt viele Hilfeanrufe bekommen von | |
Menschen, die in diesen Sümpfen feststecken. | |
Was machen sie dann? | |
Selber können sie die Leute nicht retten, weil das Sumpfgebiet viel zu | |
ausgedehnt ist und viel von dem Sumpf in der Sperrzone liegt, die die | |
Regierung entlang der polnisch- belarussischen Grenze eingerichtet hat. | |
Wenn also Hilferufe kommen, rufen die Helfer*innen die Feuerwehr an, | |
teilweise sogar das Militär. Weil nur das Militär Drohnen hat, mit denen | |
man in diesem Sumpfgebiet die Leute finden kann. | |
Was passiert denn mit denen, die gerettet werden? | |
Wenn die offiziellen Rettungskräfte, Militär oder Grenzschutz als Erstes zu | |
den Geflüchteten gelangen, werden sie in der Regel illegal, oft mit Gewalt, | |
wieder [4][über die Grenze nach Belarus geschubst, getreten, geprügelt], | |
geworfen. Darum versuchen die Helfer*innen zu organisieren, dass Leute | |
bei der Rettung dabei sind, damit es einen gewissen Schutz vor Pushbacks | |
gibt. Wer „Glück“ hat, kommt in eines der Detention-Center, die in der | |
Region eingerichtet wurden. Die Zustände in diesen Lagern müssen | |
schrecklich sein: 20 Leute auf einem Zimmer, nur einmal die Woche darf man | |
telefonieren, keine geschlechtergetrennten Duschen. | |
Haben Sie den Eindruck, es gibt in der Öffentlichkeit ein Unbehagen über | |
diese unterschiedliche Behandlung von Flüchtlingen? | |
In der polnischen Öffentlichkeit wohl nicht. Die Leute von Grupa Granica, | |
die diesen Unterschied stark kritisieren, sind eine absolute Minderheit. | |
Und in Deutschland? | |
„Wir packen’s an“ sagt ja sehr deutlich, dass wir solidarisch mit allen | |
Menschen auf der Flucht sind. Toll, wie die ukrainischen Leute willkommen | |
geheißen werden. Aber wir sagen auch, wir wünschten, das wäre für alle so! | |
29 Mar 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Demonstrationen-zum-Weltfluechtlingstag/!5779527 | |
[2] https://www.soli-bus.org/ | |
[3] /Offener-Brief-zur-Fluchtpolitik-der-EU/!5820776 | |
[4] /Grenze-Polen-zu-Belarus/!5834432 | |
## AUTOREN | |
Susanne Memarnia | |
## TAGS | |
Pushbacks | |
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
Soziales Engagement | |
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