# taz.de -- Beziehungen Deutschland-USA: Ein Freund, ein guter Freund | |
> Die USA waren immer der engste Partner der Bundesrepublik. Zwei Jahre | |
> nach der Wahl Donald Trumps ist alles anders – oder? | |
Bild: Vorbereitungen zu einem deutsch-amerikanischen Volksfest | |
BERLIN taz | Als sie vergangenen Sommer von New York nach Berlin zog, | |
wunderte sich Madeleine Schwartz über manches in ihrem neuen Alltag. Über | |
das schlechte Essen in den Restaurants, über die vielen Franzosen in der | |
Stadt und die komischen Debatten über Schwaben. Und sie staunte über ein | |
Wort, das ihr immer wieder begegnete: Viele Leute, die sie als | |
amerikanische Journalistin traf, stellten sich ihr als Botschafter des | |
„Transatlantizismus“ vor. „Der Begriff gehörte vorher nicht zu meinem | |
Wortschatz“, sagt sie Anfang Oktober in einem Café in Prenzlauer Berg. | |
„Aber hier ist er überall.“ | |
Schwartz, 28 Jahre alt, hat in Harvard studiert und in New York für ein | |
Literaturmagazin gearbeitet. Sie kam mit einem Stipendium nach Berlin, um | |
über europäische Politik zu schreiben. Mit dem Blick von außen machte sie | |
sich auf die Suche nach dem deutschen Transatlantizismus – und tauchte ein | |
in eine Welt, die ständig um das Verhältnis zwischen Europa und den USA | |
kreist. | |
Es ist eine Welt, in der politische Stiftungen wöchentlich Newsletter mit | |
„transatlantischen Must-Reads“ verschicken und sich Politiker, Diplomaten | |
und Journalisten immer wieder bei den gleichen Konferenzen und | |
Hintergrundrunden treffen. Bei Veranstaltungen des German Marshall Fund, | |
der Atlantik-Brücke, der Deutschen Atlantischen Gesellschaft oder der | |
American Academy. | |
Konkrete Entscheidungen werden dort nicht getroffen, aber es passiert | |
etwas, das mindestens genau so wichtig ist: Die Transatlantiker prägen die | |
Art und Weise, wie das politische Berlin auf die deutsch-amerikanischen | |
Beziehungen blickt. | |
All diese Veranstaltungen, erzählt Schwartz, durchzieht ein düsterer Ton. | |
„Wenn es um Außenpolitik geht, ist das zentrale Thema in Berlin die Krise | |
des transatlantischen Verhältnisses.“ | |
## Linke wie Rechte, Grüne wie Liberale | |
Für viele Politiker, Diplomaten und Politikjournalisten war es | |
jahrzehntelang selbstverständlich, Transatlantiker zu sein. Die | |
Vorstellung, dass Europas Sicherheit und Wohlstand auf einem engen Bündnis | |
mit den USA beruhen, hat ihre Wurzeln in der Nachkriegszeit und dem | |
Marshallplan. Sie überdauerte den Kalten Krieg und heftige Zerwürfnisse, | |
etwa als 2003 Deutschland und Frankreich Georg W. Bush nicht in den | |
Irakkrieg folgen wollten. Grundsätzlich in Frage gestellt wurde sie aber | |
nicht. | |
Auch wenn Linke in Deutschland oft eine Fixierung auf die Nato und das | |
Militär kritisieren, finden sich Transatlantiker doch im gesamten | |
politischen Spektrum. Es gibt linke genauso wie rechte, [1][grüne oder | |
liberale]. | |
Seit der Wahl [2][Donald Trumps] sitzt der größte Kritiker der | |
transatlantischen Zusammenarbeit aber im Weißen Haus. In seinem | |
America-First-Denken ist jede internationale Kooperation nur ein Versuch, | |
die USA über den Tisch zu ziehen. Das Pariser Klimaabkommen, der Iran-Deal, | |
jetzt womöglich der INF-Vertrag, der atomare Mittelstreckenraketen | |
verbietet – nach und nach kündigt er all die mühsam ausgehandelten | |
Verträge, beginnt Handelskriege und drängt Nato-Partner zu mehr | |
Militärausgaben. | |
An dieser Politik wird der [3][Ausgang der Midterms] nichts ändern. Das | |
gemischte Ergebnis können beide Seiten als Erfolg darstellen, weshalb sich | |
Trump danach sofort als Sieger feierte und weiter auf Konfrontation setzt. | |
Die Außenpolitik ist sowieso Sache des Präsidenten, für die er keine | |
Mehrheit im Repräsentantenhaus braucht. | |
## Keine spezifisch amerikanische Malaise | |
Für deutsche Transatlantiker geriet mit der Wahl Trumps alles ins Wanken, | |
was bisher als unumstößlich galt. Ratlos standen sie vor einem Amerika, das | |
auf einmal in großen Teilen fremd und feindlich wirkte. In der Folge klang | |
vorsichtige Selbstkritik an. Zu elitär und homogen seien die eigenen | |
Kreise, weshalb man die Anti-Establishment-Stimmung nicht erkannt habe. Was | |
ist nach zwei Jahren Trump-Präsidentschaft übrig vom transatlantischen | |
Denken? Und wie soll es weitergehen? | |
Thomas Kleine-Brockhoff stellt sich in seinem Job diese Fragen jeden Tag. | |
Er leitet das Berliner Büro des German Marshall Fund, einer Stiftung, die | |
seit 1972 die Erinnerung an den Marshallplan wachhält. Sie organisiert | |
Gesprächsrunden, Konferenzen und fördert Nachwuchspolitiker. Cem Özdemir | |
und Niels Annen, heute Staatsminister im Auswärtigen Amt, waren als | |
Transatlantic Fellows so eine Weile in den USA. | |
Kleine-Brockhoff bittet in sein Büro am Potsdamer Platz. Im Regal steht ein | |
Foto von Henry Kissinger und ihm, durch die Fenster geht der Blick die | |
Straße hinunter auf den Reichstag, man fühlt sich hier nahe der Macht. | |
Also, wie hat Trump das transatlantische Denken verändert? Es gebe einen | |
grundsätzlichen Irrtum, der ihm oft begegne, sagt Kleine-Brockhoff: „Was | |
wir sehen, ist keine spezifisch amerikanische Malaise. Trump ist das | |
Symptom eines Risses, der durch die US-Gesellschaft genauso wie durch die | |
europäischen verläuft.“ Dieser Riss trenne Globalisten und Nationalisten, | |
Trumper und Never-Trumper in den USA, [4][Orbanisten] und Never-Orbanisten | |
in Europa. | |
## Nicht alle fremdeln mit Trump | |
Deshalb sei es ein Fehler, die Beziehungen nun als eine Konfrontation | |
zwischen Europa und den USA zu verstehen: „Entweder man setzt sich aufs | |
hohe Ross und sagt: Die verlassen uns und verabschieden sich von der | |
liberalen Weltordnung. Oder man sucht hier wie dort nach Verbündeten.“ | |
Es ist ein Gedanke, den man häufig in Gesprächen mit Transatlantikern hört. | |
Der Hinweis, dass internationale Beziehungen nicht nur aus Kontakten | |
zwischen Regierungsmitgliedern bestehen, dass die Zivilgesellschaft | |
wichtiger denn je sei, und man beachten müsse, was alles abseits des Weißen | |
Hauses passiere. „Trump trifft bei Menschenrechtsverletzungen auf eine voll | |
ausgebildete, 250 Jahre alte Demokratie“, sagt Kleine-Brockhoff. Als | |
Beispiel nennt er die Trennung von Migranten und ihren Kindern an der | |
Grenze, die der Präsident nach heftigen Protesten aussetzte. | |
Aber nicht alle in Berlin fremdeln mit Trump, es gibt da auch neue Nähe. Am | |
4. Juli, dem amerikanischen Unabhängigkeitstag, lädt die US-Botschaft in | |
Berlin traditionell zu einem Volksfest am Rand des Tempelhofer Felds ein. | |
Mit Dixie-Band, Donuts und Lagerbier. In diesem Jahr ist es der erste | |
größere Auftritt von Trumps neuem Botschafter Richard Grenell, der zwei | |
Monate zuvor sein Amt antrat. | |
Grenell sorgte sofort für Empörung, als er kurz nach seiner Ankunft in | |
einem [5][Interview mit der rechten US-Website Breitbart sagte], er wolle | |
konservative Kräfte in Europa stärken. Ein Botschafter, der sich offensiv | |
in die Politik einmischt, das kannte man in Berlin so noch nicht. Nach | |
heftigem Gegenwind sagte er in einem weiteren Interview: „Ich habe nicht | |
die Absicht, mich in politische Angelegenheiten aktiv einzumischen.“ | |
## Wir haben mächtige Freunde | |
Auf dem Tempelhofer Feld liest Grenell, in blauem Blazer mit Einstecktuch | |
und weißen Chucks, ein paar kurze Sätze über Patriotismus auf der Bühne vor | |
und schneidet einen Schokoladenkuchen an. Er steigt herunter, schüttelt | |
Hände, lächelt mit makellosen Zähnen und bleibt, von seinen | |
Sicherheitsleuten bewacht, am Rand des Festgeländes stehen. Amerikanische | |
Familien, Berliner Lokalprominenz, viele wollen sich dem Neuen vorstellen. | |
Dann kommt Jens Spahn, Gesundheitsminister, CDU-Rechtsausleger und einer | |
der Namen, die bereits lange vor Merkels Rückzugsankündigung immer wieder | |
für die Nachfolge der Parteichefin genannt wurden. Wie alte Schulfreunde | |
umarmen sich Spahn und Grenell, klopfen sich auf die Schultern, posieren | |
Arm in Arm für die Fotografin. | |
Es ist ein Auftritt, der beiläufig wirken soll und doch ganz auf Beachtung | |
abzielt. Seit Grenells Amtsantritt inszeniert Spahn mit ihm öffentlich eine | |
große Männerfreundschaft. Beide posten Fotos von gemeinsamen Abendessen und | |
privaten Treffen mit ihren Partnern. Die Bilder sollen zeigen: Da entsteht | |
ein neues transatlantisches Netzwerk, ein rechtskonservatives. Spahn, der | |
sich oft kritisch bis polemisch über Migration und Muslime äußert, macht | |
mit seiner Nähe zu Grenell Innenpolitik. Er zielt damit auf Angela Merkel, | |
deren Politik Trump immer wieder direkt attackiert. | |
Einige Monate später, Anfang Oktober, bringen Spahn die guten Kontakte zu | |
Grenell eine Einladung ins Weiße Haus ein. Eine halbe Stunde bekommt er, um | |
mit dem nationalen Sicherheitsberater John Bolton über den Kampf gegen | |
Epidemien und Terrorismus mit Bio-Waffen zu sprechen. Für einen | |
Gesundheitsminister ein ungewöhnlicher Termin. „Diese transatlantischen | |
Beziehungen sind größer als die Frage, was getwittert wird“, sagt Spahn | |
danach. | |
Den neuen Zeitgeist zeigt auch ein Foto, das am Morgen nach dem 4. Juli | |
[6][auf Twitter kursiert]. Der AfD-Bundestagsabgeordnete Udo Hemmelgarn | |
steht dort auf dem Fest lächelnd neben dem US-Botschafter. Grenell sei ein | |
lockerer Typ, der keine Berührungsängste gegenüber seiner Partei habe, | |
schreibt Hemmelgarn. Für die AfD ist das Bild ein symbolischer Erfolg: Seht | |
her, wir haben mächtige Freunde, sagt es. | |
## Liebich und die Atlantik-Brücke | |
Auf dem Tempelhofer Feld ist am 4. Juli auch Stefan Liebich von der | |
Linkspartei, er macht kein Foto mit Grenell. Auf Twitter postet er | |
stattdessen Bilder von Bernie Sanders, dem Women’s March und den Teenagern, | |
die für schärfere Waffengesetze demonstrieren. Dazu schreibt er: „Die | |
Vereinigten Staaten von Amerika sind mehr als Donald Trump. Alles Gute zum | |
Independence Day!“ | |
Liebich ist außenpolitischer Sprecher der Linkspartei. In seinem | |
Abgeordnetenbüro hängt ein Bild von Berlin, auf dem der Fernsehturm rot | |
blinkt und die Stadt ein bisschen wie New York wirkt. „Sie haben den | |
einzigen Transatlantiker in der Linken gefunden“, sagt er zur Begrüßung mit | |
ironischem Ton. Liebich hat einen Außenseiter-Status – bei den | |
Transatlantikern und mit seinem USA-Interesse auch in der eigenen Partei. | |
Die Linkspartei will die Nato auflösen, antiamerikanische Reflexe werden in | |
ihr immer wieder gepflegt. | |
Liebich kennt das aus der eigenen Biografie: „Ich bin in der DDR groß | |
geworden, in einem SED-Elternhaus, deshalb habe ich kritisch und ablehnend | |
auf die USA geschaut“, erzählt er. 2002 macht er das erste Mal Urlaub in | |
den Vereinigten Staaten, kurz nach den Anschlägen von 9/11. Er steht am | |
Krater von Ground Zero, der noch frisch und tief ist. Er spürt die | |
Verletzlichkeit des Landes und kehrt mit einem veränderten Blick zurück. | |
Hinzu komme aber auch eine politische Überlegung: „Man kann schwer mit | |
einer Partei Mitte-links-Regierungen anstreben, die den wichtigsten Partner | |
Deutschlands grundsätzlich ablehnt.“ | |
2009 wird er in den Bundestag gewählt, er macht Außenpolitik und geht in | |
die deutsch-amerikanische Parlamentariergruppe. 2013 wird er Mitglied der | |
Atlantik-Brücke, des bekanntesten Elite-Netzwerks der Transatlantiker. Dort | |
wird man nur auf Einladung aufgenommen, die Veranstaltungen finden hinter | |
verschlossenen Türen statt. Vorsitzender ist seit vielen Jahren ein | |
gewisser Friedrich Merz, Spitzenmanager sitzen im Vorstand, genauso | |
Ex-Bild-Chef Kai Diekmann, aber auch der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann. | |
Angela Merkel zählt zu den Mitgliedern, genauso Jens Spahn. | |
In der Linkspartei gilt die Organisation vielen als Werkzeug des | |
US-Imperialismus. Auf einem Parteitag 2015 gibt es einen Antrag, Liebich | |
wegen seiner Mitgliedschaft aus der Partei zu schmeißen. Das wird | |
abgelehnt. | |
## Kalter Krieg noch sehr präsent | |
„Es gibt eine krass entwickelte Verschwörungstheorie zur Atlantik-Brücke“, | |
sagt Liebich. Ihre Bedeutung werde überschätzt. Früher, in der alten | |
Bundesrepublik und bis in die 2000er Jahre hinein, habe sie einen gewissen | |
Einfluss auf die öffentliche Meinung genommen, das sei aber Vergangenheit. | |
„Ich habe diese Organisation in den letzten Jahren wie so viele andere | |
erlebt. Man trifft sich zu Vereinssitzungen, es gibt Newsletter und | |
Veranstaltungen – und die sind mal interessant, mal langweilig.“ Die | |
internen Debatten seien dort viel kontroverser als oft von außen | |
angenommen: „Es gibt da natürlich einen Mainstream. Ich setzte mich mit dem | |
Abschied von der Nato dort nicht durch, aber die Anwesenden müssen sich mit | |
meinen Argumenten auseinandersetzen. In der Gesellschaft setzen wir uns als | |
Linke mit unseren 8 bis 10 Prozent auch oft nicht durch, aber man hört | |
uns.“ | |
Und trotzdem: Auf Druck aus der eigenen Partei hat er im Sommer seinen | |
Abschied aus der Atlantik-Brücke angekündigt, gegen Ende des Jahres wird er | |
seine Mitgliedschaft auslaufen lassen. Als er im Januar zum | |
außenpolitischen Sprecher der Fraktion gewählt wurde, gab es dort | |
Vorbehalte, dass er mit dieser Mitgliedschaft voreingenommen wirken könnte. | |
Es ist ein bisschen absurd: In dem Moment, in dem Konservative wie Spahn | |
und sogar Rechtspopulisten engere transatlantische Kontakte knüpfen, wird | |
Liebich von seinen Parteifreunden gedrängt, seine zu beschneiden. | |
Trump attackiert die Nato, das Freihandelsabkommen TTIP ist seit seiner | |
Wahl quasi tot – beides hat auch die Linkspartei immer strikt abgelehnt. | |
„Die Freude darüber bleibt einem angesichts von Trumps unberechenbarer | |
Politik im Hals stecken“, sagt Liebich. „Aber richtig ist auch: Die | |
aktuelle Debatte um die Zukunft der Nato wurde nicht durch die Ostermärsche | |
angestoßen.“ Mit der neuen Dynamik könne man arbeiten. | |
Sowohl bei den Transatlantikern als auch in der Linken sei der Kalte Krieg | |
noch sehr präsent, sagt Liebich. „Jede Kritik an amerikanischer Politik | |
bedeutet da gleich eine Annäherung an Russland. Aber das ist kein | |
Automatismus.“ Den Jüngeren aus den urbanen Milieus, die zunehmend in die | |
Linkspartei eintreten und sie verändern, liege dieses Blockdenken auch | |
fern. „Die lehnen Putins Homophobie ebenso strikt ab wie Trumps Sexismus.“ | |
Es gibt Transatlantiker, die sich so lang eingraben wollen, bis Trump nicht | |
mehr Präsident ist – und solche, bei denen langsam ankommt, dass sich | |
grundsätzlich etwas verschiebt, sagt Liebich. „Man merkt aber, dass es | |
vielen noch schwerfällt zu sagen: So geht das nicht weiter.“ Bei manchen | |
Transatlantikern fühle er sich an Menschen in der DDR erinnert, die sich | |
nach dem Mauerfall auf ein neues System einstellen sollten. „Die hatten es | |
auch schwer, sich umzugewöhnen.“ | |
## Weg von Teheran nach Washington | |
Im Abgeordnetengebäude Unter den Linden muss man von Liebichs Büro nur | |
einmal um die Ecke laufen, um mit einem weiteren Politiker zu sprechen, | |
dessen Weg zu den Transatlantikern eher ungewöhnlich war. Einem, der trotz | |
Trump am besonderen Verhältnis zu Amerika festhalten will. Das Büro von | |
Omid Nouripour ist an diesem Herbstmorgen nach dem Wochenende noch | |
ausgekühlt. Er springt von seinem Stuhl auf und dreht erst mal die Heizung | |
hoch. Dann beginnt der außenpolitische Sprecher der Grünen-Fraktion zu | |
erzählen, von seinem Weg von Teheran nach Washington. | |
Bis er 13 Jahre alt war, lebte Nouripour mit seinen Eltern in Iran. Mit 14 | |
Jahren drohte ihm der Militärdienst, der Erste Golfkrieg ging da gerade zu | |
Ende. Die Familie floh nach Frankfurt am Main. „Die Amerikaner waren damals | |
unter denjenigen, die Saddam Hussein im Golfkrieg die Waffen geliefert | |
hatten“, sagt Nouripour. Sympathien hatte er für sie keine. | |
In Frankfurt verbringt er seine Freizeit dann auch mit Kindern von | |
US-Soldaten. Er lernt die Soft Power kennen, die Anziehungskraft der | |
amerikanischen Popkultur: die Turnschuhe von Nike, das Basketballspiel von | |
Michael Jordan, den Hip-Hop von Public Enemy. Als grüner Nachwuchspolitiker | |
wird er 2002 vom State Department zu einer Reise in die USA eingeladen, es | |
geht um Diversity. Er ist beeindruckt, wie viel weiter die USA da sind: | |
„Das waren die ersten drei Wochen meines Lebens, seit wir 1988 nach | |
Deutschland gekommen waren, in denen mich die Leute zwar permanent gefragt | |
haben: ‚Was machst du?‘ Aber niemand hat mich gefragt: ‚Wo kommst du her?… | |
Er wird zum Transatlantiker, und er kämpft gegen den Ruf an, dass man damit | |
zu einer abgehobenen Klasse gehört, die sich nur zwischen | |
Regierungsgebäuden und Kaminzimmern hin- und herbewegt. „Ich bin in 40 | |
US-Staaten gewesen, nicht immer nur in Washington.“ Er besucht in West | |
Virginia den Wahlbezirk mit der höchsten Trump-Wählerrate in den USA. Er | |
sieht, wie Armut, Drogen, Perspektivlosigkeit die ehemalige Bergbaugegend | |
zerfressen. „Kaum jemand glaubte dort 2016 Trumps Versprechen, aber einer | |
sagte zu mir: ,Wir hatten die Wahl zwischen einem Mann, der uns das Blaue | |
vom Himmel herunter versprach – und einer Frau, die nicht mal Mitgefühl für | |
unsere Situation zeigte.'“ Und klar, sagt Nouripour, Teil des Problems sei | |
es, dass viele seiner Kollegen in Washington sich zu wenig für diese | |
Menschen interessierten. | |
Nouripour sitzt im Vorstand der Atlantik-Brücke. „Die ist schon lange kein | |
CDU-Blockverein mehr.“ Aber ja, die Geschlossenheit sei nicht immer schlau. | |
Am Anfang sei er kaum zu den Sitzungen gegangen, jetzt sei das anders. „Man | |
muss permanent miteinander reden, um zu checken, was als Nächstes | |
passiert.“ | |
## „Das ist mega-absurd“ | |
Bei Diskussionen mit Bürgern hört er jetzt manchmal den Ratschlag, | |
Deutschland solle nun gleichen Abstand zu Washington und Moskau halten. | |
„Das ist mega-absurd“, sagt er und hebt die Stimme. „Wir kommen da nie auf | |
denselben Nenner, wie wir ihn mit den USA haben, Trump hin oder her.“ | |
Und wie soll es nun weitergehen? Europa zusammenhalten, sagt er. Und: | |
„Hinfahren, reden, reden, reden.“ Es klingt nach: nicht die Hoffnung | |
aufgeben. Selbst wenn Trump morgen abtrete, werde es keine einfache | |
Rückkehr zum Davor mehr geben, sagt Nouripour. „Es ist noch zu früh, den | |
Schaden zu bemessen.“ | |
Noch einmal zurück zu Madeleine Schwartz. Sie war überrascht, wie intensiv | |
jede Drehung der amerikanischen Politik in Deutschland verfolgt wird, | |
erzählt sie im Café in Prenzlauer Berg. „In den USA gibt es auch | |
Zeitungsartikel über die Zukunft der Nato, aber das ist nicht vergleichbar | |
mit der Debatte hier.“ | |
Für den britischen Guardian schrieb Schwartz [7][einen großen Essay] | |
darüber, wie sich das deutsch-amerikanische Verhältnis in der Geschichte | |
verändert hat. „Was über die Jahre auffällt: Der Begriff des | |
Transatlantischen ist sehr schwammig, je nach Interesse wird er anders | |
gefüllt.“ | |
Eine Konstante gibt es aber, seit mehr als 50 Jahren: die Rede von der | |
existenziellen Krise. Schwartz zieht ein Buch aus ihrer Handtasche, die | |
Seiten sind bräunlich-vergilbt. 1965 schrieb Henry Kissinger über „The | |
Troubled Partnership“. Den apokalyptischen Sätzen begegne man heute fast | |
eins zu eins wieder, sagt Schwartz. Sie liest laut: „Die Geschichte des | |
Westens ist voll von Tragödien, die sich abspielten, weil die im Grunde | |
allen gemeinsamen Interessen das Opfer kleinlicher Rivalitäten geworden | |
waren.“ | |
Die Warnung verklang weitgehend ungehört, Kissingers Buch interessierte | |
kaum jemanden. Nur in einem einzigen Buchladen habe es sich gut verkauft, | |
erzählte er einmal. Der Buchhändler dort hatte es bei den | |
Beziehungsratgebern einsortiert. | |
12 Nov 2018 | |
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