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# taz.de -- Beschwiegene Polizeigewalt: Nach dieser Nacht
> Eine russlanddeutsche Familie ist überzeugt: In den Neunzigern hat die
> Polizei einen von ihnen misshandelt. Warum hat sich niemand gewehrt?
Bild: Halt! Polizeikontrolle auf einer deutschen Autobahn 1992
Dieser Text ist Teil einer innerredaktionellen Debattenreihe der
taz,ausgelöst durch die Kolumne [1][„All cops are berufsunfähig“]. Als
pluralistisches Haus verschweigen wir diese Kontroverse um die Arbeit der
Polizei und unsere unterschiedlichen Blickwinkel auf diese nicht. Es werden
weitere, konträre Texte folgen. Die Beiträge lesen Sie auf unserer
Webseite: [2][taz.de/kolumnendebatte]
Vor ein paar Tagen habe ich versucht, meiner Mutter zu erklären, was in der
taz gerade los ist. Polizei, Müll, Seehofer, Stress. Sie hörte, wie immer,
gut zu. Und erzählte mir eine Geschichte, die ich noch nie gehört hatte.
Anfang der Neunziger, kurz nachdem wir nach Deutschland gekommen waren,
fuhr ihr Cousin, nennen wir in Witali, auf der bayerischen Autobahn. Die
Polizei hinter ihm. Er hielt nicht gleich an. Ob er etwas getrunken hatte
oder nicht, weiß meine Mutter nicht. Jedenfalls verbrachte Witali die Nacht
auf der Wache, wo er schlimm verprügelt worden sein soll. Die Polizisten
sollen auf seinen Kopf eingeschlagen haben. Witalis Mutter hat später
gesagt, dass er nach dieser Nacht nie mehr derselbe war. Und dass er
erzählt habe, das Verhalten der Polizisten habe sich verändert, als sie
merkten, dass er kaum Deutsch spricht.
Was damals geschah, wird sich heute nicht mehr herausfinden lassen. Witalis
Mutter ist gestorben, er wurde psychisch sehr krank. Was auch immer
geschah, meine Familie glaubt, es sei so passiert wie hier beschrieben. Und
das ist das Interessante. Warum haben sie nichts unternommen? Warum höre
ich die Geschichte erst jetzt? Ein Onkel habe damals gesagt, so erzählt es
meine Mutter: „Was für ein Idiot! Warum hält er nicht an? Er weiß doch, wie
die Polizei ihn, den Russen, behandeln wird.“
In den Neunzigern kamen Hunderttausende aus der Sowjetunion nach
Deutschland, grob zusammengefasst unter dem Begriff „Russen“. Die Stimmung
war angespannt, der Focus titelte „die Brutalowelle rollt“, Nazis griffen
Aussiedlerheime an, diverse Politiker hetzten (keine Grüße gehen raus an
Sie, Herr [3][Lafontaine]). Es kam einfach niemandem in den Sinn, sich zu
wehren. Meine Mutter sagt: „Wir waren froh, dass er nach Hause kam, und das
war’s“. Sie haben es hingenommen. Vielleicht auch, weil sie solches
Verhalten von sowjetischen Polizisten kannten. Oder weil sie dachten: Wir
haben ohnehin keine Chance. Wäre es heute anders?
28 Jun 2020
## LINKS
[1] /!5689584/
[2] /kolumnendebatte%20Beitrags-ID%204222516
[3] https://www.youtube.com/watch?v=DQ9LVScZgW4
## AUTOREN
Viktoria Morasch
## TAGS
Schwerpunkt Debatte über Kolumne in der taz
Schwerpunkt Polizeigewalt und Rassismus
Spätaussiedler
Migration
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Schwerpunkt G20 in Hamburg
Migrantifa
Schwerpunkt Rassismus
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