# taz.de -- Berlinale-Film über Mexikos Drogenkrieg: 3.600 Tote pro Jahr | |
> Obszöne Gewaltkultur im Drogenmilieu und der aussichtslose Kampf der | |
> Polizei in Ciudad Juárez: Shaul Schwarz Dokumentarfilm „Narco Cultura“. | |
Bild: Blick auf die gefährlichste Stadt der Welt: Ciudad Juarez. | |
Richi Soto liebt seine Heimatstadt Ciudad Juárez. „Ich bin hier geboren, | |
meine Eltern auch, Juárez ist eine schöne Stadt.“ Doch die mexikanische | |
Millionen-Metropole an der Grenze zu den Vereinigten Staaten hat ein | |
Problem. Ein sehr großes. Allein im Jahr 2011 wurden hier 3.600 Menschen | |
ermordet. Erschossen, enthauptet, zerstückelt, verbrannt. Und Richi Sotos | |
Job ist es, die Leichen einzusammeln und die Tatorte zu untersuchen. Soto | |
ist Kriminalbeamter in einer Stadt, die seit 2006 zum Hauptaustragungsort | |
des Drogenkriegs in Mexiko geworden ist. | |
Ciudad Juárez könnte tatsächlich ein schöner, zumindest lebendiger und | |
interessanter Ort auf der Weltkarte sein. Dass legen die eindrücklichen | |
Panoramaaufnahmen des Regisseurs Shaul Schwarz in „Narco Cultura“ nahe. | |
Sein Dokumentarfilm entwickelt eine an den Fotokünstler Jeff Wall | |
erinnernde eigenartige Fiktionalität, ohne dass er seine Protagonisten | |
besonders in Szene setzen muss. | |
Schwarz und sein Team begleiten Richi Soto und die anderen Ermittler, die | |
täglich zu den Tatorten ausrücken und selber im Fadenkreuz der Narcos | |
stehen. Ein Polizist in Juárez muss sich im Einsatz selber mit Sturmhaube | |
maskieren, rechnet jeden Tag beim Verlassen des Wohnorts oder des | |
Polizeigebäudes mit dem eigenen Tod. Schwarz muss als Filmer nicht viel | |
inszenieren. | |
## Nur der syrische Bürgerkrieg ist blutiger | |
Eine unglaublich gute Kameraführung genügt, um diesen Dokumentarfilm, | |
basierend auf der Banalität des Alltags eines Polizisten in Juárez, in ein | |
actiongeladenes, an Quentin Tarantinos Pulp-Ästhetik erinnerndes Epos zu | |
verwandeln. Mit dem Unterschied, dass das surreal erscheinende Gemetzel | |
hier echte Leichname hinterlässt. Blutiger als der mexikanische Drogenkrieg | |
ist derzeit nur der syrische Bürgerkrieg, was aber kaum jemandem in Europa | |
bewusst ist. | |
Die brutale Auseinandersetzung – mit ihren seit 2006 allein in Mexiko | |
50.000 Toten – hat grenzüberschreitend eine florierende, folkloristische | |
Gewaltkultur geschaffen. Regisseur Schwarz begleitet den | |
Narcocorrido-Sänger Edgar Quintero aus Los Angeles. Er verherrlicht vom | |
Norden aus ganz legal mit seiner Band Buknas de Culiacan die Gewalt des | |
mexikanischen Sinaloa-Kartells. | |
Typen wie die von den Buknas de Culiacan oder El Komander treten | |
martialisch auf. Mit Patronengurten oder Bazooka-Attrappen gehen sie auf | |
die Bühne, vollgedröhnt mit Koks begeistern sie ihr | |
Latino-Trash-Unterschichtspublikum. „Me gusta la mala vida“, „I like guns… | |
„Narco Cultura“ zeigt eine obszöne männliche Stumpfheit, wie sie sich kein | |
Privatfernsehen ausdenken könnte. Und weibliche Fans nördlich des Rio | |
Grande halten das Ganze tatsächlich für eine Robin-Hood-Veranstaltung: „I�… | |
like to be a girlfriend of a Narco.“ | |
Auch Richi Sotos Leicheneinsammler-Einheit in Ciudad Juárez bekommt von den | |
Narcos regelmäßig einen Corrido in den Polizeifunk eingespielt. Es ist die | |
Botschaft der Kartelle an die Polizei, wenn sie in Juárez mal wieder ein | |
Massaker angerichtet haben. | |
Shaul Schwarz’ „Narco Cultura“ zeigt Vorgänge, von denen nur wenige wiss… | |
wollen, und ist darin auch ästhetisch überzeugend. Der Film geilt sich | |
nicht am Trash und der Brutalität auf, aber er stellt sie dar. Über die | |
Hintergründe des war on drugs, die fortdauernde Illegalisierung der | |
Drogenökonomie, erzählt dieser Film nichts. Was vielleicht auch nicht seine | |
Aufgabe ist. Don Winslows Romane jedenfalls nehmen sich im Vergleich | |
geradezu milde und sanft aus. Prädikat: unbedingt ansehen. | |
13 Feb 2013 | |
## AUTOREN | |
Andreas Fanizadeh | |
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