# taz.de -- Berlinale – Wettbewerb außer Konkurrenz: Neues vom Mars | |
> Den Wahnsinn des Alltags mit Wahnsinn austreiben: Der Berlinale-Film „Des | |
> nouvelles de la planète Mars“ von Dominik Moll. | |
Bild: François Damiens und Veerle Baetens in „Des nouvelles de la planète M… | |
Wo leben wir eigentlich? Der Informatiker Philippe Mars träumt sich nachts | |
ins All, schwebt im Astronautenanzug langsam der Erde zu. Bis der Wecker | |
oder sein Handy klingelt und den Landevorgang abrupt verkürzt. Was unschön | |
ist, denn Mars hat auf der Erde nur Frust zu erwarten. Seine Frau, von der | |
er getrennt lebt, lädt bei ihm die Kinder ab, ohne sich an Absprachen zu | |
halten. | |
Die Kinder selbst nerven ihn mit radikalem Vegetarismus oder | |
familienfeindlichem Strebertum, bei der Arbeit muss er seinen psychisch | |
auffälligen Kollegen Jerôme bewachen, und für seine Schwester ist er | |
lediglich als Hundesitter in der Not von Bedeutung. Mars begegnet all dem | |
mit größtmöglicher Abgeklärtheit, seinen Frust behält er, so gut es geht, | |
für sich. Seine Maxime ist: Probleme vermeiden. | |
Die beginnen sich bei ihm jedoch immer stärker zu häufen: Der nervenkranke | |
Jerôme, der zwischenzeitlich in der Psychatrie gelandet ist, steht eines | |
Nachts vor seiner Tür und begehrt Unterschlupf, weil er ausgebrochen ist. | |
Und stellt immer dreistere Forderungen an seinen neuen „Freund“. Irgendwann | |
ist der Punkt erreicht, an dem auch Philippe nicht mehr weiter weiß. | |
Der französische Regisseur Dominik Moll erzählt in „Des nouvelles de la | |
planète Mars“ eine freundlich böse Parabel über Entfremdung und | |
Fremdbestimmung. Er lässt seinen Protagonisten so passiv auf die Umstände | |
reagieren, dass sie seinen eigenen Bewegungsradius immer weiter | |
einschränken. Wie ein Gorilla im Käfig, der sich von den Gitterstäben | |
fernhält, um ihre Gegenwart weniger deutlich zu spüren, muss er sich an | |
einem Punkt vorhalten lassen. | |
## Alltag und Triebunterdrückung | |
Tatsächlich ist Philippe mit seiner gutmütigen Art bereit, sich so viel | |
gefallen zu lassen, dass man sich fragt, wie viel von seinem eigenen Leben | |
noch übrig bleibt. François Damiens gibt diesen „Loser“, als den ihn der | |
Freund seiner Tochter einmal bezeichnet, mit fassungsloser | |
Schicksalsergebenheit. Als Gegenspieler steht ihm Vincent Macaigne in der | |
Rolle des insistierend wahnhaften Jerôme zu Seite, was einen Großteil der | |
Chemie des Films bestimmt. | |
Wobei sich die Frage, welcher Wahnsinn nun der gravierendere ist – der von | |
Jerôme oder der Alltagswahnsinn von Philippe – zusehends verschiebt. Moll, | |
der mit „Harry meint es gut mir dir“ im Jahr 2000 eine ähnlich gebaute | |
Geschichte über einen Ausbruch aus den Zwängen von Alltag und | |
Triebunterdrückung mit begnadetem schwarzen Humor erzählt hat, will diesmal | |
ein bisschen viel. | |
Die Entscheidung, den Film außer Konkurrenz laufen zu lassen, ist daher | |
nachvollziehbar. So schön die Irrsinnsbilder auch sind, die Moll findet – | |
ein Boss, der Philippe regelmäßig Fruchtgummis in Gestalt von Schlümpfen | |
oder Krokodilen anbietet, ein monströses Hackmesser, das Jerôme mit zur | |
Arbeit bringt, um sich damit zu „beruhigen“ – am Ende weichen sie mehr und | |
mehr einem auf den buchstäblich großen Knall zusteuernden Action-Finale, | |
das die Grenze zum Klamauk dann doch zum Nachteil des Films überschreitet. | |
20 Feb 2016 | |
## AUTOREN | |
Tim Caspar Boehme | |
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