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# taz.de -- Kolumne: Draußen im Kino: Die Zeit geht schneller
> Berlinale-Stress: Man geht früh zu Bett, steht früh auf und schaut Filme,
> Filme, Filme. Was für eine Herausforderung!
Bild: Viereckige-Augen-Regisseur Lav Diaz
Gesundheitsmäßig angeschlagen erledigt man die Berlinale vernünftig, geht
früh zu Bett, steht früh auf und verzichtet sogar auf den Forumsempfang,
der diesmal allerdings auch fern im Westen, in der Akademie der Künste,
gegeben wurde. Statt dort zu sein, sitzt man am Schreibtisch und stellt
sich vor, wie man sich mit Freunden unterhalten hätte. Das ist weniger
traurig, als es sich anhört; wenn man älter ist, geht die Zeit ja schneller
voran, und man hat das Gefühl, die nächste Berlinale stehe schon wieder
unmittelbar bevor.
Der Blick zurück scheint sich im Alter aber auch zu verkürzen; es dauerte
jedenfalls eine halbe Stunde, bis ich merkte, dass „Kollektivet“, der
Wettbewerbsfilm von Thomas Vinterberg, in den siebziger Jahren spielt. Vor
20 Jahren hatte Vinterberg die „Dogma“-Bewegung mitbegründet. Sein „Fest…
hatte alle umgehauen. „Kollektivet“ ist weder gut noch schlecht. Schön
allerdings, dass er auf die üblicherweise in solchen Zusammenhängen
verwendete Musik verzichtet; stattdessen läuft gegen Ende Elton Johns
„Goodbye Yellow Brick Road“.
Umgehauen hat mich der Dokumentarfilm „Curumim“ von Marcos Prado. Der Film
erzählt die Geschichte von Marco „Curumim“ Archer, einem Brasilianer, der
2004 mit 13,5 Kilo Kokain am Flughafen von Jakarta erwischt wurde. Zunächst
gelingt ihm die Flucht; nach 16 Tagen wird er verhaftet und zum Tode
verurteilt. Als Lebensversicherung hat Curumim noch 3,5 Kilo Kokain zu
Hause.
Juri, ein italienischer Bekannter, reist damit nach Indonesien, um von dem
Erlös mit Curumims Fall betraute Leute zu bestechen. Er wird ebenfalls
erwischt, kommt aber nach sieben Jahren frei. Elf Jahre lang sitzt Curumim
mit anderen Drogenschmugglern und islamistischen Terroristen in einem
indonesischen Hochsicherheitsgefängnis.
## Er glaubt ans Überleben
Curumim kannte den Regisseur Marcos Prado von früher. Er ging davon aus,
dass er eines Tages begnadigt werden würde, und schlug dem Regisseur vor
sein Leben zu verfilmen. Der Film besteht aus Szenen seines
Gefängnisalltags, die Curumim mit versteckter Kamera aufnahm, aus
Telefongesprächen, Interviews mit Freunden, Rückblicken auf das
abenteuerliche Leben des Schmugglers. Curumim unterhält seine
Zellengefährten mit lustigen Darbietungen. Bis kurz vor seiner Hinrichtung
glaubt er an sein Überleben.
Prados Film ist ein beeindruckendes Plädoyer gegen die Todesstrafe. Die
Hinrichtung wird nicht ausgespart, ist aber ein Re-Enactment. Das Gespräch
nach dem Film, mit dem Regisseur und Juri, der inzwischen als Kellner in
Spanien arbeitet, war einer der beeindruckendsten Momente der Berlinale.
2015 wurden in Indonesien 14 Menschen wegen Drogenschmuggel hingerichtet.
Nur die philippinische Hausangestellte Mary Jane Veloso wurde vom
indonesischen Präsidenten begnadigt, weil der Fall weltweit Aufsehen
erregte und die öffentliche Meinung, die in Indonesien die Todesstrafe
befürwortet, auf ihrer Seite war.
Schön war es, sich den philippinischen Achtstundenfilm „A Lullaby to the
Sorrowful Mystery“ anzuschauen. Vielleicht dauert der Film so lange, weil
die Protagonisten vor allem zu Fuß gehen. Der Film ist eine
Herausforderung, aber die um diese Herausforderung kreisenden
Interviewversuche nach dem Film, ob die Augen einem nicht wehtun würden und
so weiter, kamen mir ein bisschen blöde vor in einer Welt, in der so viele
Menschen den ganzen Tag auf ihre Smartphone starren.
19 Feb 2016
## AUTOREN
Detlef Kuhlbrodt
## TAGS
Schwerpunkt Berlinale
David McAllister
Filmstart
Schwerpunkt Berlinale
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