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# taz.de -- Amerikanischer Berlinale-Film „Goat“: Beweisen, dass du keine P…
> Das Wort „Goat“ steht für Frischfleisch. Der gleichnamige Film behandelt
> in krassen Bildern die Aufnahmerituale von US-Studentenverbindungen.
Bild: In „Goat“ ist eine Frage besonders wichtig: „Wie männlich bist du?…
Die Eröffnungssequenz von Andrew Neels „Goat“ zelebriert bereits gepflegte
Testosteronausschüttung. Junge Männer mit freien Oberkörpern schreien in
irrer Ekstase in die Kamera, lassen die Muskeln spielen – und das in
Zeitlupe. Aufgerissene Münder, rollende Augen, verzerrte Gesichtszüge: Die
überschüssigen Jungsenergien werden durch stilisierte Langsamkeit ins
Groteske überhöht.
Aber in dem Bild, das der Film als kurzen Prolog voranstellt, macht sich
gleich mal ein latentes Unbehagen breit. Die Grenzen zwischen Euphorie und
Aggression sind fließend, auch der Adressat dieser kollektiven
Selbstberauschung bleibt unkenntlich. Wohin also mit der nicht ausgelebten
Männlichkeit? Andrew Neel umreißt die Themen seines zweiten Spielfilms
ökonomisch in wenigen Einstellungen, die genauso fragmentarisch und brüchig
bleiben wie die Biografie seiner Hauptfigur.
Der 19-jährige Brad (Ben Schnetzer) steht kurz vor dem Wechsel auf die
Universität, ist sich aber nicht sicher, ob er dem Beispiel seines älteren
Bruders Brett (Nick Jonas) folgen will. Brad versteht die sozialen Codes
seines Altersgenossen, das performative „Bro“ und „Dude“, und dennoch w…
er von seiner Persönlichkeitsstruktur her wie ein Außenseiter. Als er nach
einer Party von zwei Gleichaltrigen überfallen und böse aufgemischt wird,
nimmt der Sommer eine traumatische Wende.
Als würden ihm die banalen Sorgen der Adoleszenz nicht schon genug
zusetzen, befallen ihn nach dem Angriff ganz grundsätzliche Zweifel an
seiner männlichen Eignung. Zum Selbstbeweis entscheidet er sich dazu, Brett
an die Universität zu folgen, wo der ältere Bruder beste Verbindungen zur
angesehensten Studentenverbindung hat: allesamt Trustfundkids mit daddy
issues und einem ausgeprägten Überlegenheitskomplex.
## In Gewaltritualen Bestätigung suchen
Für Brad sind sie ein Schritt in Richtung Anerkennung. Er ahnt nicht, dass
sich sein traumatisches Sommererlebnis [1][im Vergleich zu den
Aufnahmeritualen] wie eine Schulhofschikane ausnimmt. Die Prüfungen
bestehen aus körperlicher Gewalt, seelischer Erniedrigung
(„Guantanamo-Style“) und „Full Metal Jacket“-Drills. Aber Brad will sich
und seinem Bruder beweisen, dass er keine pussy ist
„Goat“ (eine Bezeichnung für das Campus-Frischfleich) basiert auf den
Memoiren von Brad Land, die in den USA vor zehn Jahren für Aufsehen
sorgten, weil sie ungewohnt heftige Einblicke in die Kultur der
Studentenverbindungen gewährten. Die Produzentin Christine Vachon
(“[2][Boys don’t cry“]) sicherte sich die Rechte. David Gordon Green, tro…
zwischenzeitig stagnierender Hollywood-Karriere immer noch ein Experte für
komplizierte Übergangsriten, nahm sich des Skripts an.
„Goat“ profitiert deutlich von seiner Expertise, besonders in den ruhigeren
Momenten, die sich weniger mit ambivalenter Faszination an den
entwürdigenden Aufnahmeprüfungen ergötzen. Ohne Ben Schnetzer wäre das
Drehbuch allerdings nur die Hälfte wert. Er verleiht dem an seinen Gefühlen
verzweifelnden Brad eine Verletzlichkeit, die im krassen Gegensatz zu den
auf Überdeutlichkeit angelegten Darstellungen der Machtstrukturen stehen.
Neels Film über eine verunsicherte Jugend, die in Gewaltritualen
Bestätigung sucht, taugt zwar nur bedingt zum repräsentativen
Generationenporträt, aber ihm gelingen ein paar schlüssige Momente der
Hinterfragung eines auf sozialer und physischer Überlegenheit beruhenden
Männlichkeits- und Gemeinschaftsideals. Wobei James Francos Kurzauftritt
als alternder Fratboy eher in die Kategorie „interessantes Kuriosum“ fällt.
Die Stärken von „Goat“ liegen entschieden in den offeneren Szenen. Dass der
Film statt auf ein moralisches Ende auf ein (selbst-)therapeutisches setzt
(die Rückkehr an den Tatort), erinnert an Greens seltenes Gespür für die
soziale Funktion von Orten.
19 Feb 2016
## LINKS
[1] https://www.berlinale.de/de/programm/berlinale_programm/datenblatt.php?film…
[2] https://www.youtube.com/watch?v=mYpUhVvfGeg
## AUTOREN
Andreas Busche
## TAGS
Schwerpunkt Berlinale
Coming-of-Age
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