# taz.de -- Bäume vs. Kunst in Berlin: Plebejische Platanen | |
> An der Urania tobt ein Konflikt zwischen Natur und Kunst, | |
> Tempelhof-Schöneberg und Frankreich. Das Leben von acht Bäumen steht auf | |
> dem Spiel. | |
Bild: Von Bäumen umzingelt? Der „Arc 124,5 °“ an der Urania | |
Sie gehört ganz klar in die Top Ten der hässlichsten Orte Berlins: Die | |
Straße „An der Urania“ im Norden Schönebergs ist von geradezu erlesener | |
Scheußlichkeit. Die überbreite, verlärmte Schneise, Anfang der 60er als | |
autogerechte „Südtangente“ angelegt, wird von gesichts-, ja charakterlosen | |
Gebäudefronten gesäumt, unter anderem der absurden Spiegelfassade der | |
Urania. Das Einzige, was das Auge halbwegs erfreut, ist eine Doppelreihe | |
Bäume auf der Mittelinsel, meist kräftige Platanen, und eine Stahlskulptur | |
dazwischen, ein Bogensegment, dessen eines Ende sich bis zur Höhe von 12 | |
Metern emporschwingt. | |
Ausgerechnet diese beiden Elemente, Natur und Kunst, werden jetzt | |
gegeneinander ausgespielt. Konkret: Acht kerngesunde Bäume – sieben | |
Platanen und eine Linde – sollen gefällt werden, damit man den „Arc de | |
124,5°“ des Franzosen Bernar Venet wieder besser sieht. Jetzt, wo kein Laub | |
den Blick versperrt, ist das Œuvre problemlos zu erkennen. Im Sommer ragt | |
das hohe Ende quasi aus einem dichten grünen Futteral heraus. Schlimm? Nö. | |
Aber die Sache ist kompliziert. | |
Im Oktober bekam Bezirksbürgermeisterin Angelika Schöttler (SPD) einen | |
Brief aus der Senatskanzlei. Staatssekretär Christian Gaebler (SPD) | |
schrieb, Monsieur Venet und die französische Botschafterin hätten beim | |
Regierenden Bürgermeister Michael Müller (SPD) zum wiederholten Mal „ihren | |
Wunsch deutlich zum Ausdruck gebracht“, dass Venets Werk durch das Fällen | |
der Bäume den. ihm „angemessenen Präsentationsrahmen“ erhalte. Das, so | |
Gaebler, sei „im gesamtstädtischen Interesse“ – denn der „Arc“ sei e… | |
Geschenk der „ehemaligen Schutzmacht“ Frankreich an die Stadt zur | |
750-Jahr-Feier 1987. Ergo: Bis zum Beginn der Vegetationsperiode am 1. März | |
sollten die Bäume weg sein. | |
Sind sie aber nicht. Zwar unterstützte in der BVV Tempelhof-Schöneberg eine | |
große Mehrheit aus SPD, CDU, FDP und AfD Gaeblers Wunsch. Allein: Die | |
Grünen sind dagegen – und sie stellen mit Christiane Heiß die für | |
Grünflächen zuständige Stadträtin. Bindend sind BVV-Beschlüsse auch nicht, | |
aber der Druck ist groß. Trotzdem glaubt der grüne Bezirksverordnete | |
Bertram von Boxberg, dass seine Stadträtin standhaft bleibt: „Kein normaler | |
Mensch würde diese Bäume fällen.“ Das Gelände um den Bogen neu gestalten, | |
die Bäume ein wenig beschneiden – mehr sei nicht drin. | |
## Braucht Venets Werk die Weite? | |
SPD-Fraktionschefin Marijke Höppner sieht das komplett anders: „Ich gehe | |
davon aus, dass Frau Heiß es macht“, sagt sie, „jetzt noch kurz nach dem 1. | |
März oder eben im Herbst.“ Die SPD, die erst auch pro Baum war und dann | |
ihre Meinung änderte, habe es sich mit ihrer Entscheidung „nicht leicht | |
gemacht“. Aber sie selbst sei Hobby-Steinmetzin und könne einschätzen, wie | |
es Venet gehe, dessen Skulpturen von der sie umgebenden Weite lebten. | |
Besonders ärgerlich, so Höppner, sei das Verhalten der Grünen, die zu einem | |
„Kettensägenmassaker“, dem kürzlich im Volkspark Mariendorf 40 Bäume zum | |
Opfer fielen, geschwiegen hätten. Offenbar lebe dort nicht die grüne | |
Wählerschaft. | |
Sicher ist: Nahe der Urania liegen Wittenbergplatz, Tauentzien und Ku'damm, | |
und die dortige Klientel steht vermutlich mehr auf „international | |
herausragende Bildhauer“ (Gaebler) als auf plebejische Platanen. Wie man | |
hört, unterstützt das mit Heimtierfutter reich gewordene | |
Kunstsammler-Ehepaar Jochheim den Künstler nach Kräften und verspricht, die | |
Pflanzung von 20 Bäumen an anderer Stelle aus eignener Tasche zu bezahlen. | |
Der Ausgang ist offen. Zwar räumt die Senatskanzlei auf taz-Anfrage ein, | |
sie erwarte keine diplomatischen Verstimmungen, wenn die Grünen bei ihrer | |
Linie blieben. Allerdings gehe man fest davon aus, dass der BVV-Beschluss | |
umgesetzt werde – und wenn nicht, könne der Senat die Sache an sich ziehen. | |
Für diesen Fall rechnet Boxberg mit einer juristischen Klärung: „Es gibt | |
genug Menschen, die sich für Bäume einsetzen und klagen würden.“ | |
Auf change.org läuft die [1][Petition „Keine Baumfällungen an der | |
Urania!“], gestartet wurde sie von den Grünen im Bezirk | |
Tempelhof-Schöneberg. | |
28 Feb 2019 | |
## LINKS | |
[1] https://www.change.org/p/spd-cdu-und-fdp-in-tempelhof-sch%C3%B6neberg-keine… | |
## AUTOREN | |
Claudius Prößer | |
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