# taz.de -- Awareness-Team auf dem Hamburger Fanfest: „Wir hören zu“ | |
> Beim Fanfest auf dem Heiligengeistfeld in Hamburg kommt auch ein | |
> Awareness-Team zum Einsatz. Das Konzept hat seinen Ursprung in der linken | |
> Szene. | |
Bild: Mitunter sehr emotional: Public Viewing auf dem Hamburger Heiligengeistfe… | |
Hamburg taz | In lilafarbenen Warnwesten stehen sie da. Ihre Blicke | |
konzentriert in die Menge gerichtet. Bis sie an einer Gruppe junger | |
Menschen, die heftig diskutieren, hängen bleiben: „Da könnte vielleicht | |
etwas los sein“, sagt der eine besorgt: „Lass einfach kurz nachschauen“, | |
stimmt die andere zu. Die beiden laufen los. Auf die Rückseite ihrer lila | |
Westen ist in hell leuchtenden Buchstaben „Awareness“ gedruckt. Sie gehören | |
zum Sicherheitskonzept der Uefa-Fanmeile auf dem Hamburger | |
Heiligengeistfeld, gleich neben dem Millerntorstadion. | |
Awareness bedeutet „aufeinander achten“. Das Konzept wurzelt in | |
unterschiedlichen Traditionen, etwa der Schwarzen Frauenbewegung oder | |
Community-Arbeit. In Deutschland hat es sich zuerst in linken Subkulturen | |
verbreitet. Heutzutage ist es auf den meisten Festivals selbstverständlich, | |
auch in der Clubszene zunehmend üblich. | |
Für das [1][Fanfest] hat der Veranstalter, die Hamburger Bergmann-Gruppe, | |
die Firma L’Unità damit beauftragt. Die Bremer sind Vorreiter im Bereich | |
Sicherheit und Awareness auf Großveranstaltungen. Als erste in Deutschland | |
bieten sie Awareness nicht als ehrenamtlichen Verbund, sondern als | |
Dienstleistung gegen Bezahlung an und werden dafür von | |
Veranstalter:innen gebucht. | |
Gründer Kai Villbrandt hatte in seiner Tätigkeit als Türsteher die | |
Notwendigkeit erkannt, betroffenenorientierte und parteiliche Arbeit beim | |
Feiern anzubieten. Mit dem Verband der Bremer Musikspielstätten hat er 2017 | |
die Kampagne „Gemeinsam sicherer feiern“ ins Leben gerufen und dafür ein | |
Awareness-Konzept verfasst. Damit arbeitet L’ Unità bis heute, die | |
Mitarbeiter:innen der Firma werden regelmäßig geschult. | |
## Aufmerksamkeit für Betroffene | |
Nilo, lila Weste, Funkgerät, arbeitet seit anderthalb Jahren bei L’ Unità | |
und hat schon viele Einsätze gemacht. Nilo sieht eine große | |
[2][Notwendigkeit für Awareness bei Großveranstaltungen]. In der | |
Vergangenheit habe sich oft gezeigt, dass der Fokus zu stark auf | |
Täter:innen liege und Betroffene von sexuellen Belästigungen oder | |
anderem übergriffigem Verhalten zu kurz kämen: „Häufig wird die handelnde | |
Person des Geländes verwiesen, die betroffene Person fällt jedoch hinten | |
runter.“ Es gebe keine Strukturen für sie. „So kann es sein, dass die | |
Person, die ja nichts gemacht hat, das Gelände verlässt oder das nächste | |
Mal zweimal überlegt, ob sie überhaupt wiederkommen möchte.“ | |
Ziel des Awareness-Konzepts ist es, solche Situationen zu verhindern und | |
dafür zu sorgen, dass sich [3][alle wohlfühlen]. Beim Fanfest arbeitet | |
L’Unità dafür auch mit Volunteers zusammen. | |
Das Einsatzteam ist auf dem Feld meist in Zweiergrüppchen unterwegs, die an | |
Eingängen und auf dem Feld die Augen offenhalten und Präsenz zeigen. Auch | |
der Moderator auf der Bühne verweist in seinen Ansagen auf die Arbeit des | |
Teams und bittet darum, dass alle aufeinander achtgeben. | |
Damit das Awareness-Team erreichbar ist, wurden über 270 gelb-lilafarbene | |
Plakate mit QR-Codes aufgehängt. Wird er gescannt, ploppt auf dem | |
Handybildschirm eine Nachricht auf: „Wir sind gleich bei dir. Bitte warte | |
einen Moment, das Team wurde benachrichtigt und meldet sich sofort bei | |
dir.“ Man muss keine App installieren, besitzt man eine ausländische Nummer | |
oder ist das Handy auf Englisch eingestellt, wechselt die Sprache. Und die | |
eigene Telefonnummer bleibt immer verdeckt. | |
Es funktioniert: Betroffene haben auf diesem Weg nach Hilfe gefragt und | |
wurden über den Standort des QR-Codes vom Team gefunden. „Es kam aber auch | |
zu einigen Fehlalarmen, weil Menschen aus Neugierde den Code gescannt | |
haben“, sagt Nilo. „Das ist aber nicht schlimm.“ | |
## Von sexuellen Übergriffen bis zu Panikattacken | |
Häufig melden sich aber nicht Betroffene selbst, sondern andere | |
Institutionen aus dem Sicherheitskonzept wie Security oder Sanitäter:innen, | |
die auf dem Gelände etwas beobachtet haben. Das ganze Sicherheitsteam auf | |
der [4][Fanmeile] ist mit Funkgeräten verbunden, um einander unterstützen | |
und ergänzen zu können. „Damit steht und fällt gute Awareness-Arbeit auf | |
Großveranstaltungen, man weiß, dass man sich gegenseitig im Rücken hat“, | |
sagt Nilo. | |
Das Awareness-Team hat ganz unterschiedliche Fälle zu betreuen: Von | |
sexuellen Übergriffen bis zu Panikattacken, Überkonsum von Drogen oder | |
einfach Redebedarf ist alles dabei. In allen Fällen steht die | |
Betroffenenperspektive im Zentrum der Arbeit: „Es ist ganz klar, dass | |
nichts stattfindet, was die Betroffenen selbst nicht wollen“, sagt Nilo. | |
Niemand werde dazu gedrängt eine Anzeige zu stellen. „Wir arbeiten | |
parteilich, hören den Betroffenen zu und stellen ihre Aussagen nicht | |
infrage. Dadurch, dass sie entscheiden können, was sie tun wollen und was | |
nicht, wird ihnen wieder eine gewisse Handlungsmacht zurückgegeben.“ | |
## „Safer Space“ im Container | |
Im „Safer Space“ können Betroffene zur Ruhe kommen und von dem Trubel | |
Abstand nehmen. Der Container befindet sich am Rand der Fanzone und ist von | |
Absperrzäunen umgeben. Vor dem Eingang stehen Tisch und Bänke. Der | |
Innenraum ist nicht gerade groß und dient nebenbei als Einsatzzentrale, | |
Treffpunkt und Aufenthaltsraum. Neben einem Sofa stehen Getränke und | |
Snacks. An einem Tisch sitzt jemand von L’Unità, der das Awareness-Handy | |
bedient. Bevor eine betroffene Person den Container erreicht, wird eine | |
Nachricht per Funkgerät übermittelt: Alle müssen raus, um sicherzustellen, | |
dass dort eine ruhige Atmosphäre herrscht, in der man nicht noch mehr | |
Reizen ausgesetzt ist. Bei Bedarf kann dort über das Geschehene gesprochen | |
werden. Auch eine Beratung über mögliche Konsequenzen wie eine Anzeige ist | |
möglich. | |
Gerade Fußballspiele von Nationalmannschaften bieten [5][Nährboden für | |
aggressives Verhalten], ganz egal ob Deutschland, Spanien oder die Türkei | |
spielt. Deshalb sind Awareness-Konzepte gerade bei einer | |
Europameisterschaft von besonderer Bedeutung. Nilo sagt, das Konzept sei | |
auch in Fußballstadien zunehmend verbreitet. Seit der Coronapandemie hätten | |
immer mehr Vereine begonnen, eigene Awareness-Konzepte umzusetzen: | |
QR-Codes, Safe Words, mit denen man sich an die Bar wenden kann, oder | |
Telefonnummern. | |
„Beim Fußball ist das Besondere vor allem die Masse an Menschen, verbunden | |
mit einer sehr emotionalen Stimmung, gerade bei beliebten Spielen“, sagt | |
Nilo. Wenn Deutschland gespielt habe, sei es vermehrt zu Konflikten auf dem | |
Heiligengeistfeld gekommen und das Awareness-Team besonders oft gerufen | |
worden. Das liege vor allem daran, dass an diesen Tagen besonders viele | |
Menschen da waren, bis zu 50.000 finden auf der Fanmeile Platz. Auch das | |
Wetter spiele eine Rolle und beeinflusse das Verhalten: An heißen Tagen | |
seien Menschen gestresster. Alkohol fördere aggressives Verhalten. | |
Am vergangenen Freitag, beim Spiel Deutschland–Spanien, gab es einige | |
Panikattacken, vor allem bei jüngeren Menschen. Es war so voll, dass die | |
Ampel, die die Besucher:innenzahl regelt, in Dunkelorange leuchtete. | |
## Handschuhe, Traubenzucker, Spucktüten | |
An diesem lauen Sommerabend steht die Ampel auf Grün, beim [6][Halbfinale | |
Frankreich gegen Spanien] sind keine Massen auf der Fanmeile. Die Stimmung | |
ist trotzdem ausgelassen: Menschen schwirren umher, holen sich Eis oder | |
kühle Getränke und verfolgen gespannt das Spiel. In voller Lautstärke | |
ertönt die Stimme des Kommentators. Beim Ausgleichstor zum 1:1 bebt das | |
Feld dann doch. | |
Das Awareness-Team ist wie immer im Einsatz. Sie haben Handschuhe, | |
Traubenzucker, Desinfektionstüten, Spucktüten und Stressbälle in ihren | |
Taschen. Die Schicht ist ruhig, die Aufmerksamkeit trotzdem gefragt. Gerade | |
an solch einem schwülen Abend seien Fälle durch zu viel Alkoholkonsum zu | |
erwarten, sagt ein Teammitglied. Es wird dunkel. „Zeit, in die Ecken zu | |
schauen, ob da jemand sitzt“, sagt eine aus der Schicht, die beiden machen | |
sich wieder auf den Weg. | |
## Es gibt Luft nach oben | |
Das Awareness-Team hat im Laufe des Turniers viel positives Feedback | |
bekommen. Trotzdem gibt es Luft nach oben: „Natürlich wäre es wünschenswert | |
und würde eine Inklusion Betroffener fördern, wenn wir möglichst divers | |
aufgestellt wären“, sagt Nilo. „Aber man kann auch nicht Menschen, die in | |
der Gesellschaft ständig marginalisiert werden, in diese Aufgabenbereiche | |
reindrängen.“ Die Arbeit könne retraumatisierend für Menschen sein, die von | |
Diskriminierung betroffen sind. | |
Trotzdem wären Stellenausschreibungen, die sich explizit an marginalisierte | |
Gruppen richten, wichtig – allein, um die Notwendigkeit zu verdeutlichen. | |
Und Schulungen zu unterschiedlichen Diskriminierungsformen für das gesamte | |
Team seien umso wichtiger. Darum bemühe L’Unità sich schon lange. | |
Für viele Besuchende ist es auch der allererste Kontakt mit einem solchen | |
Konzept. „Es ist immer ein schöner Moment, wenn Menschen, die noch nicht | |
wissen, wer wir sind, von den Securitys auf uns verwiesen werden“, sagt | |
Nilo. „Die allermeisten sind dankbar und freuen sich zu hören, was unsere | |
Arbeit ist.“ Am Sonntag werden sie beim Finale ihren letzten Einsatz bei | |
der EM haben, klar ist aber: Awareness-Teams werden auch in Zukunft | |
gebraucht werden. | |
12 Jul 2024 | |
## LINKS | |
[1] https://www.hamburg-tourism.de/sehen-erleben/veranstaltungen/uefa-euro-2024… | |
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## AUTOREN | |
Johanna Weinz | |
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