# taz.de -- Ausstellung „Körper als Protest“: Wie unheimlich er doch ist | |
> Die Wiener Albertina zeigt den „Körper als Protest" ganz ohne | |
> kämpferische Posen. Hier protestiert der Mensch nicht mit dem Körper, | |
> sondern gegen ihn. | |
Bild: John Coplans, „Back with Arms Above“ (1984). | |
Bei manchen Ausstellungen fragt man sich, wie sie zu ihrem Titel kommen. | |
Unter [1][„Körper als Protest“] lässt sich vieles vorstellen, aber ganz | |
sicher nicht das, was die Wiener Albertina derzeit in einer kleinen, aber | |
recht feinen Schau präsentiert. | |
Kein aufgeritztes Fleisch ist zu sehen, keine kämpferischen Posen, kaum | |
mithilfe von Körpereinsatz ausgeführte politische Aktion. Die Ausstellung | |
versteht sich bewusst als Kontrapunkt zum in Österreich immer noch | |
allgegenwärtigen Wiener Aktionismus, der in den Blutorgien und | |
Ritualspielen Hermann Nitschs seinen populärsten Ausdruck fand. | |
Die Albertina-Schau geht es ruhiger an. Im Zentrum stehen die Arbeiten des | |
wenig bekannten Fotografen John Coplans (1920–2003), etliche davon aus den | |
Beständen der Albertina. Der gebürtige Brite emigrierte früh in die USA und | |
war dort lange Jahre Herausgeber des Magazins Artforum und leitete das | |
Akron Art Museum in Ohio. Coplans war also bestens vertraut mit der | |
Kunstszene und Theorie, bevor er im Alter von 64 Jahren begann, seinen | |
eigenen, alternden Körper zu fotografieren. | |
Glasklar und von extremer Schärfe sind die großen Polaroid-Aufnahmen, jede | |
Pore des nicht besonders schönen Körpers ist sichtbar. Coplans dreht und | |
verschränkt diesen Torso wie verwundert zu Posen, die komisch, lächerlich | |
wirken und langsam, wie in Zeitlupe, ins Unheimliche kippen. Niemals zeigt | |
er sein Gesicht. | |
## Ein stark behaarter Leib | |
An einen Faun erinnert der stark behaarte Leib, der trotz des nackten | |
Genitals oft weiblich wirkt in seinem Posieren. Die Geschlechter- und | |
vielleicht auch Gattungsgrenzen verwischen. In dem wohl bekanntesten Bild | |
„Back with Arms above“ (1984) sieht man Coplans Rücken als einen viereckig, | |
leicht abgerundeten Fleischklotz, über dem, von hinten emporgehoben, zwei | |
Fäuste schweben wie die Fühler einer Schnecke. | |
Die groß aufgenommenen verschränkten Finger („Interlocking Fingers No. 17�… | |
2000), könnten auch archaische Gewächse am Meeresgrund sein. Man muss den | |
Körper nicht verfremden, man muss ihn nur etwas biegen nur nah genug | |
herangehen, um zu sehen, wie fremd er ist, weil er lebt. Coplans hat sein | |
fotografisches Körperprotokoll bis kurz vor seinem Tod fortgeführt. Die | |
späten Aufnahmen sind noch nicht öffentlich zu sehen. | |
Der alternde Leib verformt sich selbst zur Groteske, der junge Körper | |
dagegen muss gezupft, gezogen und verbogen werden, um zum Mittel | |
künstlerischen Ausdrucks zu taugen, so scheint es. | |
In der Fotoserie „Studies for Holograms“ von 1970 reißt Bruce Nauman große | |
Grimassen, formt seinen Mund zum Donald-Duck-Schnabel, dehnt sich die | |
Mundwinkel extrem weit nach außen, in der Videoperformance „Pinch Neck“ | |
zupft und formt er experimentell, aber nicht besonders aufregend an seinem | |
Bein herum. | |
## Den kleinen Finger in die Eichelspitze | |
Auch Robert Mapplethorpes schöne Männerrücken wirken im Kontext der | |
Ausstellung und im Kontrast zu Coplans eher banal – drastisch ist die | |
Fotografie „Lou, NYC, 1978“, auf der sich das Model den kleinen Finger in | |
die Eichelspitze seines erigierten Penis schiebt. | |
Radikaler aber ist das Altern. Mit sehr klaren und doch warmen Bildern | |
zeichnet die japanische Künstlerin Miyako Ishiuchi in der Fotoserie „1906 | |
to the Skin“ (1991–1993) das Porträt eines 87-jährigen Tänzers, Kazuo On… | |
Dünn wie Seidenpapier ist die haarlose Haut seines Körpers, der männlich | |
oder weiblich sein könnte. Die Füße sind geschunden. | |
Diese Fotografien sind nicht drastisch, sie zeigen nur ruhig und zart den | |
Körper als eine Landschaft des Verfalls, der Austrocknung. Erschreckend vom | |
Tod gezeichnet ist auch die Arbeit der Konzeptkünstlerin Ketty La Rocca, | |
die 1976 mit 38 Jahren an einem Hirntumor starb. | |
In die Röntgenaufnahme ihres Kopfes montierte sie an die Stelle des Hirns | |
fotografisch eine geballte Faust – „you“, „you“, „you“ ist an den… | |
Rand der Schädeldecke ins Bild geschrieben, wie Schreie, die nicht | |
ausbrechen können. Vielleicht protestieren sie. | |
## Der Mensch protestiert nicht mit dem Körper, sondern gegen ihn | |
Der Körper als Protest wirkt auf den ersten Blick recht unspektakulär und | |
beliebig. Beim genaueren Hinsehen zeigen sich aber ästhetische | |
Korrespondenzen, die Ausstellung kreiert ihre ganz eigene Atmosphäre. | |
Unheimlich an ihr ist, das kaum ein Gesicht sehen ist auf den Bildern und, | |
mit Ausnahme einer Videoperformance von Hannah Wilke, gar keine Augen. Als | |
gehöre der Kopf nicht zum Körper, als ginge es hier eben nur um den Torso, | |
die Masse, das Fleisch. | |
Dass den Körper so explizit auszustellen eine Kritik an gängigen idealen | |
Schönheitsvorstellungen sei, wie der Wandtext etwas lahm kommentiert, ist | |
wirklich zu wenig gesagt. Vielmehr zeigt die Ausstellung den unheimlichen | |
Körper. Er sträubt sich, er sieht anders aus, er ist anders und er | |
entwickelt sich anders, als wir ihn gerne hätten. Der Mensch protestiert | |
nicht mit dem Körper, sondern gegen ihn. Das Spiel wird er nicht gewinnen. | |
10 Nov 2012 | |
## LINKS | |
[1] http://www.albertina.at/jart/prj3/albertina/main.jart?rel=de&content-id… | |
## AUTOREN | |
Andrea Roedig | |
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