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# taz.de -- "Tabu"-Ausstellung in Hannover: Afrika und Tibet werden eins
> Die Ausstellung "Tabu" in Hannover vereint zum ersten Mal ethnografische
> Exponate fünf niedersächsischer Sammlungen aus dem 19. Jahrhundert.
> Herausgekommen ist eine Schau, die viel mehr auf Geisterbahn-artige
> Gruselmomente als auf Information für die Besucher setzt.
Bild: Überraschend: Schamanengewand der sibirischen Ewenken samt Spiegel - fü…
Wenn man reinkommt, rasselt’s gewaltig. Das heißt, erst muss man durch die
schwarze Tür, auf der giftgrün „Tabu“ steht, und sich an den dunklen Raum
gewöhnen. Fein, denkt man, so soll es sein, schön unheimlich ist diese
Schau – wie in der Geisterbahn. So sind die Ausstellungen heute, immer ein
bisschen eventhaft-plakativ.
Ein Quäntchen Information wünscht man sich dann aber doch und schreitet zu
den Vitrinen. Ein geflochtenes Trauergewand aus Tahiti ist da zu sehen, man
will schnell auf das Schildchen schauen, da geht das Gelärme wieder los.
Aha, denkt man, das Rasseln der Schamanen, sehr stimmungsvoll, hört sicher
gleich auf. Aber das tut es erst, wenn man drei Schritte zurückgetreten
ist, dann kann man die Beschriftung aber nicht mehr lesen. So ist man hin
und hergerissen zwischen mystischem Lärm und pragmatischem
Informationsbedürfnis und geht genervt davon.
Ähnliches passiert noch an einigen weiteren Stellen – etwa bei der
Schlitztrommel aus Neuguinea; weithin tönt das Klacken durch den Saal.
Vielleicht haben die Ausstellungsmacher gedacht, man bekäme so Kontakt zu
den Geistern. Als Besucher begreift man aber nicht, dass dies eine dem
Tabu-Bruch analoge Grenzüberschreitung sein soll, die ganz bewusst gesetzt
wurde. So steht es jedenfalls im Katalog: dass dies eine interaktive Schau
ist, in der man mitspielen darf wie im Theater. Und tatsächlich wirkt die
Schau wie eine Requisitenkammer, allerdings eine nicht ganz aufgeräumte.
Da stehen Exponate aus Afrika, Brasilien, Alaska und China –
beziehungsweise Schamanen, Buddhisten und Taoisten – wie fremdelnde
Nachbarn nebeneinander. Das alles ist prächtig, farbenfroh, kostbar: die
Blätter-Röcke, der indianische Federschmuck, die übermodellierten
polynesischen Schädel, die buddhistischen Klangschalen. Und mehr oder
weniger haben sie alle mit Ritualen zu tun, die wiederum Tabus umfassen.
Aber eben nur bedingt. Und eine Stringenz im Sinne eines durchdeklinierten
Themas wie „interkulturelle Facetten ritueller Tänze“ bietet die
Ausstellung nicht. Sie gleicht vielmehr einer riesigen Wunderkammer aus dem
19. Jahrhundert. Und in unfreiwilligem Zynismus ist sie das auch: Erstmals
sind hier nämlich die ethnografischen Bestände fünf großer
niedersächsischer Sammlungen aus Hildesheim, Oldenburg, Braunschweig,
Göttingen und Hannover vereint, und man ist deswegen stolz auf die
Inszenierung.
Bei den Beschriftungen hakt es dann aber. Da ist gern mal von einem
Schutzschild, der böse Geister vertreibt, die Rede, ohne dass das
hinterfragt würde. Oder von Trommeln, die nur den Männerbünden bekannt
waren. „In einigen Gesellschaften gab es auch Frauenbünde“, steht da
schlicht. Ende der Diskussion. Die Kargheit dieser Beschriftungen verweist
auf die lückenhafte Überlieferung, wie es der Katalog vornehm formuliert.
Man kann es auch genauer sagen: Die Bestände aller präsentierten Sammlungen
stammen Großteils aus dem 19. Jahrhundert. Aus der Kolonialzeit also und
aus einst kolonialisierten Gebieten. In die Museen kamen sie durch nicht
näher definierte Schenkungen oder Ankäufe und nirgends erwähnen Katalog
oder Ausstellung, dass dies womöglich gestohlene Gegenstände sind und die
Bestohlenen den Kolonialherren sicher nicht die Bedeutung ihrer Riten
erklärt haben.
Abgesehen davon muss ernsthaft gefragt werden, ob eine Ausstellung, deren
Ansatz dem der berüchtigten „Völkerschauen“ des 19. Jahrhunderts ähnelt,
politisch korrekt ist. Denn sie setzt – und die Hell-Dunkel-Inszenierung
verstärkt das – auf sparsame Information und überlässt den Besucher seinem
ungläubigen Staunen über das, was diese exotischen Völker da so
veranstaltet haben. Dazu ein kleines, wohliges Schaudern. Ein
unwissenschaftlicher, letztlich ein rassistischer Ansatz.
Hinzu kommt, dass die Schau auch inhaltlich keine saubere Trennung zwischen
Tabu und Ritual vornimmt, sich – abgesehen von einer kurzen Erklärung der
Vokabel „Tabu“ – auch nicht bemüht, das Phänomen intensiver zu beleucht…
Auch die Trennung zwischen Naturreligionen, chinesischer Philosophie und
Buddhismus findet nicht statt: Was hat ein schamanischer Seehundshelm, der
die Götter besänftigen soll, mit einer tibetischen Klangschale und der
Porzellan-Büste eines taoistischen „Unsterblichen“ zu tun? Selbst wenn die
Ausstellungsmacher hier Grenzen – Tabus! – sprengen wollten, hätte man es
erklären müssen, anstatt wortlos „irgendwie rituelle“ Gegenstände
hinzustellen. Denn was hier als puristische Konfrontation von Disparatem
daher kommt, kann genauso gut konzeptionelle Oberflächlichkeit sein.
Da hilft es wenig, dass man am Ende der Ausstellung versucht, die Schau ins
Heute zu zerren, indem man einige Zitate berühmter Menschen zu
Kindsmissbrauch, Depression und Sterbehilfe an die Wand druckt und einen
Bildschirm aufstellt, auf dem die persönlichen Tabus der
Ausstellungsbesucher zu lesen sind. Denn das eigentliche Tabu dieser Schau
lautet Selbstreflexion. Und die kann man durch lautes Rasseln nicht
erzwingen.
5 Nov 2012
## AUTOREN
Petra Schellen
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